Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
zugleich aber Gegenstand vielfach voneinander abweichender Lehrmeinungen, selbst inner-
halb des lutherischen Lagers. Die Ermahnung zur Einigkeit der Theologen war durchaus
aktuell, wie die spätere Verfolgung von Melanchthons Anhängern durch Kurfürst August
erwies. [712]

Das bürgerliche Gegenstück zum Dessauer Abendmahl ist das Epitaph für den Witten-
berger Ratsherrn Caspar Niemegk von 1564. [713] Hier entfaltet sich die Szene der Anbetung Tafel 14g
des Christuskindes ganz frei in einem aus exakt gefügten Balken und Mauerwerk gebildeten
Raum, in den sorgloses Puttenspiel und der Ausblick in eine Schneelandschaft, eine der
frühesten in der deutschen Kunst, hineinwirken. Ein großer gemalter Portalbogen, hinter
dem auch die Stiftergestalten knien, faßt das Wunderwerk ein.

Vor diesen beiden Bildern ist die Frage aufzuwerfen, ob der jüngere Cranach nicht in den
Jahren 1560 bis 1563 eine Zeitlang in den Niederlanden gewesen ist. Sein Schüler Königs-
wieser hat den Herzog von Preußen 1565 um die Bewilligung einer Fahrt mach Antwerpen
und etwas weiter) [714] ersucht, freilich vergeblich. Die Dessauer Tafel geht offenbar auf das
Löwener Abendmahl des Dirck Bouts zurück [715] oder auf eine der von ihm angeregten Seite 434
Fortführungen des Bildgedankens. Zumindest die Winterlandschaft des Weihnachtsbildes ist
ein Motiv, das zu gleicher Zeit durch Brueghel der niederländischen Kunst erschlossen worden
ist. [716] Mit dem in Braunschweig ansässigen Peter Spitzer wirkten niederländische Bild-
gedanken in den Jahren 1563 bis 1565 sehr stark nach Wittenberg hinein. [717] Für das Jahr
1563 ist übrigens die Nachricht überliefert, daß Cranach von den Wittenberger Buchverlegern
der Abschied gegeben worden sei, was zumindest als zeitweilige Einschränkung der Arbeit
an Holzschnittillustrationen zu deuten ist.

Von den Gemälden der Jahre um 1565 geht keine starke Wirkung für das Gesamtwerk
Cranachs mehr aus. Es sind mehr glänzende Varianten eines gewissen Abschlusses als Keime
eines neuen Beginns. Das wirkliche Goldene Zeitalter Wittenbergs, von dem 1565 gesprochen
wurde, muß für den Maler bereits 1567 verdunkelt worden sein. Damals wurde sein Schwager
Christian Brück, der Kanzler Herzog Johann Friedrichs des Mittleren, als ein Feind des Seite 100
sächsischen Kurfürsten nach Abschluß der <Grumbachschen Händel) [718] durch grausame
Vierteilung hingerichtet, seine Familie durch Einzug des Besitzes bedroht. Wenn auch Cra-
nach in der Gunst des Kurfürsten blieb, so trat er doch von seinem Amt als Ratsherr und
Bürgermeister zurück. Nun, weder Hofmaler eines Fürsten noch Ratsperson und sicherlich
ohne Bindungen zu einer Zunft, ließ sich Lucas Cranach der Jüngere 1568 unter dem Rektorat
Caspar Peucers noch mit dem Zusatz Consul in das Matrikelbuch der Wittenberger Universi-
tät eintragen. Dies war vermutlich die letzte mögliche Verankerung seiner Existenz. Seinen
Söhnen, außer Augustin, dem Maler, hatte er bereits im Knabenalter die Immatrikulation
angedeihen lassen.

Die stärkste Erschütterung des geistigen Lebens in Wittenberg bedeutete die Unterdrückung
der Melanchthon-Anhänger durch Kurfürst August im Jahre 1575. Die humanistischen
Studien erhielten einen schweren Stoß, galten als gebrochen. [719] Ihre Vertreter, unter
ihnen Cranach vertraute Persönlichkeiten wie der erwähnte Dr. Peucer, wurden gefangen-
genommen oder aus dem Lande vertrieben. Die Rechtshändel, in die Cranach damals ver-
wickelt wurde, sind ein beredtes Zeugnis für den erlittenen Verlust an materieller Sicherheit
und Autorität.

Die Einförmigkeit der Bildthemen ist ein Ausdruck der neuen, verengten Gesinnung: alle
Handlungen, die Anlaß zu Verdächtigungen hätten geben können, wurden unterdrückt. Die

97
 
Annotationen