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Wittenberg wurde damit ein heftiger Stoß zugefügt, eine härtere Maßregelung führender
Lehrer war in den siebzig Jahren des Bestehens der Universität nicht erfolgt. Probleme, deren
Lösung das Land in eine seiner Bedeutung entsprechende bewegliche überregionale Politik
geführt hätten, wurden aufgeschoben. Der bereits weit gediehene Versuch bürgerlicher Rat-
geber, Kursachsen während der Regierungszeit Christians L, von 1586 bis 1591, im ähnlichen
Sinne aus unfruchtbarer Isolierung herauszuführen, scheiterte an der Haltung der Land-
stände, überwiegend Vertretern des Adels.

Das System geistiger Bevormundung und kultureller Verarmung, das während der Regie-
rung Kurfürst Augusts vervollkommnet worden war, blieb bestehen, engte unter damaligen
Verhältnissen produktive Künstler wie Cranach ein und ließ fast nur auf den Gebieten der
Architektur und des Kunsthandwerkes einen Rest von Entfaltungsmöglichkeiten zu.

Die Studien der Künstler gingen zurück, denn die Aufträge des Hofes bedurften ihrer
nicht. Das forschende Auge war allerdings nicht zu unterdrücken. Wären die Himmelsbeob-
achtungen zweier mitteldeutscher Maler aus diesen Jahren nicht überliefert, die lichterfüllten
Himmelslandschaften des jüngeren Cranach, seine Proben jahreszeitlicher und topographischer
Studien in verschiedenen Bildhintergründen wären Zeugnis genug. In Versuchen dieser Art
sprengte Cranach der Jüngere den Rahmen der väterlichen Ausbildung. Die gesamte Ent-
wicklung der Malerei den Entdeckungen des Auges unterzuordnen, fehlte es jedoch an gesell-
schaftlichem Nährboden. Das schwunghaft laufende Unternehmen der Wittenberger Werk-
statt begünstigte außerdem gewiß keine künstlerischen Experimente.

Nicht die Aufgabe, Besitz zu erringen, sondern die schwierigere, ererbten Besitz unter un-
günstigen Bedingungen zu verteidigen, war dem jüngeren Cranach gestellt. Daß die Apotheke
nicht zu seinem Erbteil gehörte, mag die Verwaltung vereinfacht haben, verbesserte seine
finanzielle Lage aber kaum. Mit dem Fortfall bedeutender Nebeneinnahmen wie der Hofmaler-
besoldung des Vaters lagen die Möglichkeiten des Unternehmens allein in der ökonomischen
Ausnutzung der Malerwerkstatt. Nur mit größter Anspannung waren Gewinne zu erzielen.
Der rasche Zusammenbruch des Unternehmens nach dem Tode des Meisters läßt den auf allen
Entscheidungen lastenden Druck ahnen. Die Verkettung der Familienvermögen der Brück
und Dasch mit dem unglücklichen Ausgang der Grumbachschen Händel bedeutete eine zu-
sätzliche Belastung. Der wohl durch dieses Ereignis erzwungene Rückzug aus dem Stadt-
regiment verstärkte den Verlust an öffentlicher Autorität und gestattete Feinden, in späteren
Jahren schwerwiegende Vorwürfe gegen die Geschäftsführung des Unternehmens vorzu-
tragen, Angriffe, die bei der damaligen bedenklichen Vermögenslage offenbar nicht aus der
Luft gegriffen waren. Die Leichenpredigt des Georg Mylius gibt von den späten Lebens- Seite 110
Verhältnissen wohl ein zu günstig gefärbtes Bild. Im Unterschied zu dem verdienten Bibel-
drucker Hans Lufft war das Begräbnis für Cranach zurückhaltender. Das würdige Epitaph
ließ der Schwiegersohn Polycarp Leyser erst beim Tode der Witwe setzen.

Auch gelegentliche Ehrungen konnten nicht ändern, daß das geistige Klima und die materi-
ellen Bedingungen für die Wittenberger Malerwerkstatt sich verschlechtert hatten. Größere
kulturelle Möglichkeiten boten die entstehenden Residenzstädte wie Dresden, deren Einrich-
tungen die gespeicherte Kraft des Territoriums auffingen. Die kompliziert zusammengesetzte
Kultur des Kaiserhofes in Prag gab am Ende des sechzehnten Jahrhunderts für deutsche Ver-
hältnisse das glänzendste Beispiel von den Möglichkeiten des Zeitalters, dem auch Kur-
sachsen nacheiferte. Selbst die Blüte Prags, von den Stürmen des Dreißigjährigen Krieges
bereits früh verweht, war im Zusammenhang der europäischen Kultur kaum mehr als eine

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