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Kein besseres Beispiel gibt es, sich den Wandel in Dürer's
Stil zu veranschaulichen, als den Allerheiligenbildrahmen in
seiner Vollendung vom Jahre 1511. Nicht leicht ist ein grösserer
Gegensatz denkbar als er hier besteht zwischen dem Entwurf
von 1508 und seiner jetzigen Gestalt, die doch nur durch einen
Zeitraum von drei Jahren von einander getrennt sind. Damals
lebte die Erinnerung an Italien noch gar mächtig in Dürer fort,
eng schliesst er sich im ganzen Altaraufbau an sie an, und wo
naturalistische Motive auftreten — wie namentlich in der un-
teren Querleiste — da sind sie in harmonischer Weise durch-
gebildet im Sinne italienischer Formenanschauung. Jetzt werden
in reicher Fülle rein aus der Natur genommene Elemente an-
gebracht, die alle Teile überziehen und so in den Vordergrund
treten, dass man darüber den Aufbau des Ganzen, der seinen
italienischen Charakter gewahrt hat, fast vergisst. Zum ersten-
male tritt jetzt auf, was Dürer auch später noch verhängnisvoll
werden sollte: vor der Fülle der Einzelheiten muss
die Klarheit der Gesamtanlage zurücktreten.
Von Einzelheiten erinnert an Italien nur noch die Füllung
der Postamente mit geflügelter Kugel und Vase, aus der eine
nach beiden Seiten sich aufrollende Profilblattranke hervor-
wächst, und der am Anlauf der Predella angebrachte Perlstab.
Alle anderen Teile aber sind, wie in Filigranarbeit, mit den
feinsten Aestchen und Blättern übersponnen, die allerorten
hervorwachsen und jedes nur immer freigebliebene Fleckchen
zu bedecken streben. Schon die Predellenfüllung ist viel reicher
geworden, die von den Seiten kommende Rebranke breitet sich
so stark aus, dass sie allen Platz einnimmt. Wohl ist noch der
Hauptzug in Form einer Wellenlinie gegeben, aber sie wird
unterdrückt von den vielen Blättern und Trauben. Ebenso ist
das architektonische Masswerk an den Seiten aufgegeben; es
hat sich ebenfalls aufgelöst in Rebblätter und Trauben. Und
selbst die Säule hat es sich gefallen lassen müssen, dass fast
zwei Drittel ihres Schaftes mit diesem Reblaub umsponnen
wird (Taf. VII, c). Wie ein Gitter verschlungen, in die Zwischen-
räume Trauben und Blätter sendend, steigt es in die Höhe, bis
ihm endlich durch einen ebenfalls aus Rebranken bestehenden
Ring Einhalt geboten wird, und es all sein Leben in tollem
Kein besseres Beispiel gibt es, sich den Wandel in Dürer's
Stil zu veranschaulichen, als den Allerheiligenbildrahmen in
seiner Vollendung vom Jahre 1511. Nicht leicht ist ein grösserer
Gegensatz denkbar als er hier besteht zwischen dem Entwurf
von 1508 und seiner jetzigen Gestalt, die doch nur durch einen
Zeitraum von drei Jahren von einander getrennt sind. Damals
lebte die Erinnerung an Italien noch gar mächtig in Dürer fort,
eng schliesst er sich im ganzen Altaraufbau an sie an, und wo
naturalistische Motive auftreten — wie namentlich in der un-
teren Querleiste — da sind sie in harmonischer Weise durch-
gebildet im Sinne italienischer Formenanschauung. Jetzt werden
in reicher Fülle rein aus der Natur genommene Elemente an-
gebracht, die alle Teile überziehen und so in den Vordergrund
treten, dass man darüber den Aufbau des Ganzen, der seinen
italienischen Charakter gewahrt hat, fast vergisst. Zum ersten-
male tritt jetzt auf, was Dürer auch später noch verhängnisvoll
werden sollte: vor der Fülle der Einzelheiten muss
die Klarheit der Gesamtanlage zurücktreten.
Von Einzelheiten erinnert an Italien nur noch die Füllung
der Postamente mit geflügelter Kugel und Vase, aus der eine
nach beiden Seiten sich aufrollende Profilblattranke hervor-
wächst, und der am Anlauf der Predella angebrachte Perlstab.
Alle anderen Teile aber sind, wie in Filigranarbeit, mit den
feinsten Aestchen und Blättern übersponnen, die allerorten
hervorwachsen und jedes nur immer freigebliebene Fleckchen
zu bedecken streben. Schon die Predellenfüllung ist viel reicher
geworden, die von den Seiten kommende Rebranke breitet sich
so stark aus, dass sie allen Platz einnimmt. Wohl ist noch der
Hauptzug in Form einer Wellenlinie gegeben, aber sie wird
unterdrückt von den vielen Blättern und Trauben. Ebenso ist
das architektonische Masswerk an den Seiten aufgegeben; es
hat sich ebenfalls aufgelöst in Rebblätter und Trauben. Und
selbst die Säule hat es sich gefallen lassen müssen, dass fast
zwei Drittel ihres Schaftes mit diesem Reblaub umsponnen
wird (Taf. VII, c). Wie ein Gitter verschlungen, in die Zwischen-
räume Trauben und Blätter sendend, steigt es in die Höhe, bis
ihm endlich durch einen ebenfalls aus Rebranken bestehenden
Ring Einhalt geboten wird, und es all sein Leben in tollem