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Schlosser, Alfred
Die Sage vom Galgenmännlein im Volksglauben und in der Literatur — Münster i.W., 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.68376#0015
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I. Teil.
Der Alraun im Volksglauben.
§ i.
Die Pflanze in der Sage.
Wie sagt doch nun das Volk vom Alräunchen? „Wenn ein
Erbdieb, dem das Stehlen durch Herkunft aus einem Diebsgeschlecht
angeboren ist, oder dessen Mutter, als sie mit ihm schwanger
ging, gestohlen, wenigstens groß Gelüsten dazu gehabt (nach andern,
wenn er zwar ein unschuldiger Mensch, in der Tortur aber sich für
einen Dieb bekennet) und der ein reiner Jüngling ist, gehängt
wird und das Wasser läßt (aut sporuia in torrain stkuuält), so
wächst an dem Ort der Alraun oder das Galgenmännlein. Oben hat
es breite Blätter und gelbe Blumen. Bei der Ausgrabung desselben
ist große Gefahr, denn wenn er herausgerissen wird, ächzt, heult
und schreit er so entsetzlich, daß der, welcher ihn ausgräbt, alsbald
sterben muß. Um ihn daher zu erlangen, muß man am Freitag vor
Sonnenaufgang, nachdem man die Ohren mit Baumwolle, Wachs
oder Pech wohl verstopft, mit einem ganz schwarzen Hund, der keinen
anderen Flecken am ganzen Leibe haben darf, hinausgehen, drei
Kreuze über den Alraun machen und die Erde rings herum abgraben,
so daß die Wurzel nur noch mit kleinen Fasern in der Erde stehen
bleibt. Danach muß man sie mit einer Schnur dem Hund an den
Schwanz binden, ihm ein Stück Brot zeigen und eilig davonlaufen.
Der Hund, nach dem Brote gierig, folgt und zieht die Wurzel heraus,
fällt aber, von ihrem ächzenden Geschrei getroffen, alsbald tot hin.
Hierauf nimmt man sie auf, wäscht sie mit rotem Wein sauber ab,
wickelt sie in weiß und rotes Seidenzeug, legt sie in ein Kästlein,
badet sie alle Freitag und gibt ihr alle Neumond ein neues weißes
Hemdlein. Fragt man nun den Alraun, so antwortet er und offen-
bart zukünftige und heimliche Dinge zu Wohlfahrt und Gedeihen.
Der Besitzer hat von nun an keine Feinde, kann nicht arm werden,
und hat er keine Kinder, so kommt Ehesegen. Ein Stück Geld, das
 
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