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Schulz, Fritz Traugott
Typisches der großen Heidelberger Liederhandschrift und verwandter Handschriften nach Wort und Bild: eine germanistisch-antiquarische Untersuchung — Göttingen, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.3971#0057
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57

des Dichters in grellen Kontrast gesetzt ist zu der Freude der
Geschöpfe über die sich verjüngende Natur, so auch im Bilde;
wir sehen förmlich, wie die Vögel singen, wie sie lustig auf
und nieder fliegen, wie sie frohlocken über den einziehenden
Frühling; die ganze Erde prangt in üppigem Blumenschmuck,
alles ladet zur Freude ein. Nur der Dichter bleibt traurig
gegenüber den Freuden der wiedererwachenden Natur; bittrer
und schwerer Kummer lastet auf seiner Seele. Und weshalb
ist er so traurig gestimmt? Die übrigen Strophen des Liedes
geben uns Auskunft: er hat die Huld seiner Herrin ver-
scherzt, weil er es in allzustürmischem Verlangen und allzu-
grossem Selbstvertrauen" wagen wollte, ihr einen Kuss zu rau-
ben. Und in so tiefe Trauer sehen wir ihn hier versenkt,
dass er nicht einmal fühlt, wie ein Eichhörnchen lustig und
frech auf seinem Rücken herumspaziert.

Um nun auf die silbenzählende Handbewegung der Rech-
ten etwas näher einzugehen, so scheint mir diese, ebenso wie
die Rudolfs von Neuenburg, wie wir weiter unten sehen
werden, keine zufällige zu sein. Bekanntlich hat Heinrich
von Veldeke*), den der grösste der mittelalterlichen Epiker,
der Baier Wolfram von Eschenbach seinen Meister nennt, auf
dessen Schultern Hartmann von Aue in Alemannien steht,
der in Thüringen Schule gemacht, bekanntlich hat dieser in
Bezug auf die poetische Technik neue Grundsätze vertreten
und durchzuführen gesucht; das Geheimnis der Kunst, das er
mitzuteilen hatte, war der reine Reim. Sein Verdienst ist es,
den letzten Schritt gethan zu haben in der Entwickelung der
Assonanz zum reinen Reim, dem sich die geistliche Poesie
des XL Jahrhunderts zwar zusehends genähert, den sie aber
nicht erreicht hat. Wie nun jeder technische, die Form be-
treffende Fortschritt von den Zeitgenossen hoch geschätzt und
gleich allgemein bekannt wurde,. so gilt das auch von dem
Veldekes; und ich glaube, dass die Annahme, dass der Maler
das, was Rudolf von Ems mit Worten sagt, dass nämlich
Veldeke „rehter i.e. reiner rime alrerste began", durch die

1) Vgl. Wilh. Scherer, Gesch. d. D, Litt. Berlin 1891. S. 145
—146 u. S. 733,
 
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