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der Umstand, dass Cremer in seine Lesepultvariante erwiesener-
massen mehrere alte Teile übernommen hat, nämlich die einzig verblie-
bene Originalleiste vom Ambo, Emails und Wappen von alten Kapitel-
kreuzen und die Ambrakette;

die Gebrauchsspuren an eben dieser Kette, die grosse Teile ihrer
Emaillierung eingebüsst hat;

die komplizierte Konstruktion der Verbindung zwischen Buchplatte
und achteckigem Halter, die Cremers Fähigkeiten gerade formal in keiner
Weise entspricht;

die Existenz des Verbindungsstückes aus altem Eichenholz, das für
die hohe Wahrscheinlichkeit eines jahrhundertelangen Gebrauchs spricht.

Verstärkt wird diese Hypothese durch das erwähnte Zeugnis des
Stadtrentmeisters de Be/9, der festhält, dass „der überaus schöne [...]
Pulpit" den Franzosen „entkommen" sei. Damit erhöht sich die
Wahrscheinlichkeit, dass die Situla tatsächlich seit den Zeiten Heinrichs
IL als Lesepulthalter auf dem Ambo eingefügt war. Hier stellt sich nun
ergänzend die Frage, ob die Situla im Gesamtprogramm des
Heinrichsambos überhaupt vorstellbar ist. Darauf wird später
eingegangen werden (Kapitel 8d).

3. Ikonographie und Programmatik

Der Körper der Situla ist in seiner Vertikale oktogonal gebrochen. Diese
achteckige Grundform wird modifiziert und angereichert durch das tekto-
nisch gliedernde horizontale System der Friese und Schmuckbänder.

Viele Forscher vermuteten eine Verbindung zwischen der achteckigen
Form der Situla und dem Oktogon der Aachener Pfalzkapelle. Elbern
führt ihre architektonische Gliederung, welche auch die Hierarchien mit
dem „gewappneten Volk Gottes" unten und den Häuptern von Reich und
Kirche in den „herrscherlichen Logen" oben darstelle, ausdrücklich als
gewollten Rückbezug auf Karls des Grossen Gründungsbau an.90 Grimme
sieht ebenfalls in Form und Proportionselementen das Vorbild der Pfalz-
kapelle hineinwirken91, auch Jung92 folgt diesem Gedanken, während
Skubiszewski den architekturalen Aufbau und die Wahl der oktogonalen
Form der Situla stärker von symbolischen Gesichtspunkten herleitet.93

Die den Zentralfries gliedernde Architektur veranlasste Käntzeler94 und
Rohault de Fleury95 zur Vermutung, sie sei die eines „romanischen Palas-
tes". Schramm betrachtet gar die Miniaturarchitektur unter dem thro-

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