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Vielfalt potentieller Vorlagen und Einflüsse. Es müssen Vorlagen voraus-
gesetzt werden, die problemlos transportierbar und tradierbar waren. Ein
Niederschlag dieser Mobilität mögen die weit verbreiteten Musterbücher
sein, in denen z.B. aus Codices oder Kunstwerken vor Ort die besonders
interessierenden Motive zusammengetragen wurden. Abnutzungsspuren
bezeugen deren intensiven und zum Teil langjährigen Einsatz als werk-
zeugähnliche Hilfsmittel. Bezeichnenderweise haben sich die meisten der
aus dem Mittelalter bekannten Musterbücher nur als Fragmente erhal-
ten.473

Das Bauhüttenbuch von Villard de Honnecourt aus dem 13. Jahrhundert
illustriert, in welcher Form Kunstwerke der unterschiedlichsten Orte von
einem Künstler rezipiert wurden.474 Die ganz unverbunden angesammel-
ten Darstellungen im Wolfenbütteler Musterbuch um 1240 hingegen
stammen wohl alle aus demselben Zusammenhang, nämlich von einem
byzantinischen Evangelion. Einen Einblick auf eine fast als wahllos zu-
sammengetragen anmutende Motivsammlung bietet die Liste zu den
Bildthemen eines Musterbuches aus der Zeit um 1200, die sich in Frei-
burg i.Br. erhalten hat.475 Dessen Quellen gehen auf byzantinische und
westliche Vorlagen zurück. Wie sie zustande kam, ist jedoch nicht genau
nachzuvollziehen. Selten haben sich noch frühere Musterbücher erhalten
wie das Musterbuch des Ademar von Chabannes (Abb. 70) aus dem er-
sten Viertel des 11. Jahrhunderts.476 Darin hält der gelehrte französische
Mönch bildliche Formulierungen von Szenen und Architekturen fest, die
ihn besonders ansprachen, teilweise zusammengestellt aus antiken
Handschriften, die er kopiert hatte. Auch sie sind oft ohne ersichtlichen
Zusammenhang nebeneinander gestellt. Ein Motiv, das in unserem Zu-
sammenhang besonders erwähnenswert ist, besteht in der Darstellung
einer thronenden Sapientia vor einer korinthischen Tempelfront, um de-
ren Säulen sich zwei Velen schlingen. Hier haben wir einmal'vor Augen,
wie ein von der Situla her bekanntes Motiv - die unter einem geraden
Architrav thronende Sitzfigur zwischen von Velen umschlungenen Säulen
- in einem Musterbuch erfasst ist. So hat das Formenreservoir katalogar-
tiger Musterbücher zur Verbreitung von Motiven beigetragen.477

Zudem bargen die Schatzkammern der Herrscher und der Geistlichkeit
zahlreiche Kostbarkeiten, die als Vorlagen dienen konnten. Gerade die
Künstler der kaiserlichen Hofkapelle hatten Zugang zum Hort des Herr-
schers. Damit hatten sie einen stabilen Fundus zur Verfügung. Diesen
Aspekt betont Weilandt, der den Hof mit seinem ständigen Geben und
Nehmen zwischen Herrscher und Geistlichen als „eine Kunstbörse, Dreh-
und Angelpunkt ottonischer Kunst" bezeichnet.478 Die Stiftungsaktivität

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