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Der jüngste Reichsabschied.

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Wohl die werthvollste Gabe des neuen Gesetzes war das in vollem
Umfange restaurirte Eventualprincip. Aber das war eben nur die Wieder-
aufnahme eines längst fchon in den Kammergerichtsordnungen — zeitweilig
mehr, dann wieder weniger — zur Geltung gebrachten Gedankens. Die-
jenige Verwerthung aber, welche anderthalb Jahrhunderte vorher (1521)
die zweite Wormser Kammergerichtsordnung von einer solchen Contrahirung
des Verfahrens gemacht hatte, kommt im jüngsten Reichsabschiede, dessen
Vorbild in dieser Richtung der Speirer Reichsabschied von 1570 war,
nicht zur Geltung: die bei durchgeführtem Eventualprincip mögliche,
zu übersichtlicher Ordnung des Proceßstoffs so überaus heilsame, auf
deutschrechtlicher Grundlage ruhende Sonderung des Behauptungs- und
des Beweisverfahrens ist aus der Ordnung von 1521 nicht übernommen.
Es bleibt bei der romanischen Verschlingung und gleichzeitigen Erledigung
der Behauptungen und der Beweise: nach eingegangener Klagebeantwortung
tritt der Kläger, nach eingegangener Einredebeantwortung der Beklagte den
Beweis seiner selbständigen, vom Gegner verneinten Behauptungen an
zugleich werden etwaige Replik- und Duplikbehauptungen vorgeschützt, deren
Beweis danach, sobald sie vom Gegner bestritten sind, geführt wird
(§45ffe.); ein Versahren, das in dieser Weise auch nur einigermaßen
erträglich war, weil die Beweiserhebung nach wie vor in commissarischer
Verhandlung stattsand, mithin den gerichtlichen Proceßgang zunächst gar
nicht berührte.

Jmmerhin soll die Publication der beiderseitigen Zeugenbeweise
und die Beibringung des sonstigen Beweismaterials („andere Jura und
Dokumente") in einem und demselben Termin vorgenommen werden (ß 54),
so daß ein simultanes Deductions- und Schlußverfahren sür beide Theile
ermöglicht ist. Für dasselbe wird jeder Partei regelmäßig nur eine Schrift
gewährt (56, 57).

Auf die nur zugelassene, nicht vorgeschriebene Beweisanticipation
(35) ist wohl besonderes Gewicht nicht zu legen, und das zwar um
so weniger, als ja nach dem Proceßgange des jüngsten Reichsabschiedes
durch solche Anticipation nicht viel Zeit erspart wurde.

Die mit energischer Redewendung (34) verkündete gänzliche Ab-
schaffung des „Modus zu articuliren und uä urkienlos zu respondiren"
kann leicht zu der Annahme führen, als ob der jüngste Reichsabschied sich
von diesem romanisch-canonischen Formalismus vollkommen abgewandt und
damit zugleich die generelle Litiscontestation als unzulässig beseitigt habe.
— Diese Annahme wäre aber irrthümlich. Denn das Gesetz giebt im
Princip jenen Formalismus keineswegs auf, schränkt ihn auch nur zum
Theil ein, und ebensowenig wird die generelle Litiscontestation schlechthin
verworfen. Denn es besteht keine Strafe für die Verweigerung der speciellen
Antwort, es mangelt an einem processualischen Nachtheil, der die Gegen-
 
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