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Amnerkungen. I. S. 22.

aufgestellten Proceßsystems und ist wieder das letzte, wenn auch modificirt, von den
Glofsatoren, der Praxis und der Gefetzgebung der Römischen Curie adoptirt und
fortgebildet worden, dann beruht der ganze mittelalterliche Oräo PräioiaririL, dann
beruht auch der auf ihn zurückführende heutige ordentliche Proceßgang Rm letzten
Ende nur auf jener äußeren Anordnnng der Materien im Codex. Jch werde daher
keinen Widerspruch zu befürchten haben, wenn ich den hcutigen Proceß trotz aller
Modificationen, die er feit den Glosfatoren erfahren hat, für eine Corruption des
Römifchen Processes erkläre. Denn jene Modificationen sind eben nur Modificationen
und haben den ursprünglichen Grundstock des Orcko juckioiui-ius nicht beseitigt." —
Gerade die entgegengesetzte Anschauung hatte 38 Jahre früher Friedrich August
Nietzsche in seiner Recenfion von Heffters Jnstitutionen des römischcn und deutschen
Civilprocesses vertreten (Allgemeine Literatur - Zeitung, Halle und Leipzig, Jahr-
gang 1827 Nr. 2, Ergänzungsblätter Nr. 6). Er fagt: eine genauere Durchmusternng
der Werke der Glossatoren „dürfte die lleberzeugung begründcn, daß das Verfahren
unserer heutigen Gerichte zwar nicht mehr altgermanisch, noch weit weniger aber
römisch ist, sondern sich vielmehr aus den altdeutschen Bräuchen und Formen, wenn
auch unter dem Einflusfe des römischen Rechts, doch der Hauptsache nach selbständig
entwickelt hat" (S. 10). — Beide, Wieding wie Nietzsche, haben den „gemeinen
deutschen Proceß" im Auge. Der energische Hinweis auf die Bedeutung der
particularrechtlichen Proceßgestaltung in Deutschland ist das Verdienst von Julius
Wilhelm Planck; vgl. auch desfen Festrede „über die historische Methode auf
dem Gebiet des deutschen Civilproceßrechts", gehalten am 27. December 1888 in der
k. b. Akad. d. W. (München 1889.) — Das von Planck gegebene Vorbild hat leider
zunächst wenige Nachfolge gefunden. Zutreffend schreibt Stobbe, Geschichte der
deutschen Rechtsquellen, 1864 (II. S. 256): „Für die Geschichte des Civilprocesfes
ist noch außerordentlich viel zu thun. Die Lehrbücher und die meisten Monographien
des Civilprocesses pflegen sich, selbst wenn sie die Absicht haben, rechtshistorisch zu
Werke zu gehen, auf dieBestimmungen des römischen und canonischen Rechts, der Reichs-
kammergerichts- und der Hosrathsordnungen zu beschränken und die in großer Zahl
erhaltenen particulären Genchtsordnungen sast ganz unberücksichtigt zu lassen. Ilnd
doch ist in ihnen ein außerordentlich reiches Material enthalten sür die Geschichte
des Processes und die Art und Weise, wie die gemeinrechtlichen Vorschristen zur
Ausführung gekommen sind. Die Methode, welche wir schon seit mehr als einem
Jahrhundert für das deutsche Privatrccht befolgen, aus den Particularrechten,
die dem deutschen Recht gemeinsamen, leitenden Jdeen zu gewinnen,
harrt noch ihrer Anwendung auf die Geschichte des Processes. Auch das Werk von
Wetzell stellt nur den Kammergerichtsproceß dar und benützt wenig die ältere parti-
cularrechtliche Literatur und Gesetzgebung". — Erst ganz neuerdings hat Georg
Kleinseller mit höchst dankenswerthem Fleiße die deutsche territoriale Proceß-
gesetzgebung durchsorscht (vgl. die oben S. 24 angeführte Schrist) und die um-
sassenden Ergebnisse verwerthet zur Löiung eines der wichtigsten Probleme unseres
heutigen Proceßrechts (die geschichtliche Entwickelung des Thatsacheneides in Deutsch-
land, Berlin 1891). Kleinseller bezeichnet die Entwickelung des Rechtseides zum
Thatsacheneide, sormell betrachtet, als eine particularrechtliche, und bemerkt dann:
„Materiell jedoch kann die Entwickelung insofern eine gemeinrechtliche genannt
werden, als die Grundlagen derselben, die einzelnen Rechtssätze, von der Particular-
gesetzgebung zuerst dem fremden (gemeinen) Rechte, später einem Reichsgesetz, dem
J.R.A. entnommen wurden. Dieses Verhältniß von gemeinem und particulärem
Rechte beherrschte aber die Entwickelung des ganzen Proceßrechts" (S. 13, 14). Die
 
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