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Anmerkungen. VII. S. 408—429.
landläufigen Beschuldigung chicanöser Proceßführung und rabulistischer Beutelschnei-
derei verdankt das Sprichwort: „Juristen böse Cbristen" seine populäre Bedeutung
und Verbreitung. — Sittliche Hebung derer, welche das Recht handhaben sollen,
daß die Forderung, welch in den zahlreichen hodegetischen Schriften dieser Periode
an die Spitze gestellt wird" (S. 72, 73).
4V8 (Abs. 1). Der Ausschluß der Parteivertreter von den Verhandlungen
zur Güte ist schon im alten lübischen Rechte vorgeschrieben: „Nen vorsprake ne schal
dar manc wesen dar mcn ene sake vor euenen scbal" (6ocl. v. 1294, NXlV, bei
H a ch, d. a. lüb. Recht, S. 276).
416. Daß die Gliederung des Procesfes in feste Abschnitte aus dem
deutschen Rechte stamme, ist nach Plancks grundlegenden Untersuchungen wohl kaum
noch bestritten. Eine darüber hinausgehende Contrahirung der Vcrhandlung war
dem mittelalterlich deutschen Procesfe unbekannt; dieses „Eventualprincip" im engeren
Sinne hat die Reichskammergerichtsgesetzgebung zur Durchführung gebracht, gleich-
zeitig hat es sich aber auch selbständig in Sachsen entwickelt. Auf den sächsischcn
Proceß unmittelbaren Einfluß geübt hat wohl nur die Vorschrift des Speyrer
Reichsabschieds v. 1570 über Verbindung der eventuellen L.C. mit den dilatorischen
Einreden (vgl. Heimbach i. d. Blätt. f. Rechtspfl. in Thüringen Bd. 1, Jena1854,
S. 193 ff. und oben S. 139). — Daß die italienischen Statuten schon im Mittel-
alter das Eventualprincip mit äußerster Schärfe durchgeführt haben, ist nachgewiesen
von Wach, der ital. Arrestproc. Leipzig 1868, S. 194 ff. Daselbst (S. 198 rrot. 77)
findet sich die Bemerkung: „Wie lehrreich ist" der italienische mittelalterliche Proceß
„für eine Zeit, in welcher so vielfach ohne genügende Kenntniß der historischen Ent-
wickelung unseres Processes aus vorgefaßten Ansichten und subjectiver Auffassung
auf eine fundamentale Umgestaltung des bisherigen Rechtes hingearbeitet wird. Er
beweist uns unter anderin, wie wohl verträglich die Trennung von erstem und Beweis-
verfahren mit einer mündlichen Form des Procesfes ist, wie grundverkehrt es ist,
mit der im Schriftenwechsel ausgebildeten strengen Gliederung und Cumulation be-
stimmter Arten von Parteibehauptungen jene Trennung als unlösbar vereinigt zu
denken." — Freilich ist — vor allem, wenn man das rechtskräftige Beweisinterlocut
beseitigt, eine Entscheidung lediglich auf Grund der protocollirten Thatsachen, wie
es in Jtalien dcr Fall war, die erste Voraussetzung eines soliden und sachgemäßen,
rationellen Verfahrens. Jede andere s. g. mündliche Procedurform macht mindestens
die Appellation zu einem Unding, oder weicht nur scheinbar von dem Princip des
italienischen Processes ab, oder wird zu einem gänzlich rand- und bandlosen Verfahren,
zur richterlichen Willkürherrschaft führen.
4S9. Particularrechtliche Bestimmungen über die rovmto uetorum s. z. B.
obcn S. 60 (Stade), S. 359 (Hesfen), S. 373 (Würzburg), S. 381 (Baden).
Gönner, Hdb. III, Nr. 63, behandelt die wegen mangelnder Appellationssumme
statt der Appcllation an das Reichskammergericht zugelassenen Revision an das
oberste Landesgericht, weist zutreffend nach, daß dabei rrova durch die Particular-
gesetzgebung garnicht ausgeschlosfen werden d.urften (vgl. oben S. 114 u. I. R. A.
tz 113); berichtet aber trotzdem (S. 390), daß gerade dies außerordentlich be-
stritten sei. —
VIII.
435. Holtze (I. 162ff.) sucht nachzuweisen, daß der Entwurf wesentlich
unter Benutzung der bis dahin für das Reichskammergericht erlassenen Ordnungen
gearbeitet worden sei. Ein gewisser Zusammenhang besteht allerdings, insofern auch
Anmerkungen. VII. S. 408—429.
landläufigen Beschuldigung chicanöser Proceßführung und rabulistischer Beutelschnei-
derei verdankt das Sprichwort: „Juristen böse Cbristen" seine populäre Bedeutung
und Verbreitung. — Sittliche Hebung derer, welche das Recht handhaben sollen,
daß die Forderung, welch in den zahlreichen hodegetischen Schriften dieser Periode
an die Spitze gestellt wird" (S. 72, 73).
4V8 (Abs. 1). Der Ausschluß der Parteivertreter von den Verhandlungen
zur Güte ist schon im alten lübischen Rechte vorgeschrieben: „Nen vorsprake ne schal
dar manc wesen dar mcn ene sake vor euenen scbal" (6ocl. v. 1294, NXlV, bei
H a ch, d. a. lüb. Recht, S. 276).
416. Daß die Gliederung des Procesfes in feste Abschnitte aus dem
deutschen Rechte stamme, ist nach Plancks grundlegenden Untersuchungen wohl kaum
noch bestritten. Eine darüber hinausgehende Contrahirung der Vcrhandlung war
dem mittelalterlich deutschen Procesfe unbekannt; dieses „Eventualprincip" im engeren
Sinne hat die Reichskammergerichtsgesetzgebung zur Durchführung gebracht, gleich-
zeitig hat es sich aber auch selbständig in Sachsen entwickelt. Auf den sächsischcn
Proceß unmittelbaren Einfluß geübt hat wohl nur die Vorschrift des Speyrer
Reichsabschieds v. 1570 über Verbindung der eventuellen L.C. mit den dilatorischen
Einreden (vgl. Heimbach i. d. Blätt. f. Rechtspfl. in Thüringen Bd. 1, Jena1854,
S. 193 ff. und oben S. 139). — Daß die italienischen Statuten schon im Mittel-
alter das Eventualprincip mit äußerster Schärfe durchgeführt haben, ist nachgewiesen
von Wach, der ital. Arrestproc. Leipzig 1868, S. 194 ff. Daselbst (S. 198 rrot. 77)
findet sich die Bemerkung: „Wie lehrreich ist" der italienische mittelalterliche Proceß
„für eine Zeit, in welcher so vielfach ohne genügende Kenntniß der historischen Ent-
wickelung unseres Processes aus vorgefaßten Ansichten und subjectiver Auffassung
auf eine fundamentale Umgestaltung des bisherigen Rechtes hingearbeitet wird. Er
beweist uns unter anderin, wie wohl verträglich die Trennung von erstem und Beweis-
verfahren mit einer mündlichen Form des Procesfes ist, wie grundverkehrt es ist,
mit der im Schriftenwechsel ausgebildeten strengen Gliederung und Cumulation be-
stimmter Arten von Parteibehauptungen jene Trennung als unlösbar vereinigt zu
denken." — Freilich ist — vor allem, wenn man das rechtskräftige Beweisinterlocut
beseitigt, eine Entscheidung lediglich auf Grund der protocollirten Thatsachen, wie
es in Jtalien dcr Fall war, die erste Voraussetzung eines soliden und sachgemäßen,
rationellen Verfahrens. Jede andere s. g. mündliche Procedurform macht mindestens
die Appellation zu einem Unding, oder weicht nur scheinbar von dem Princip des
italienischen Processes ab, oder wird zu einem gänzlich rand- und bandlosen Verfahren,
zur richterlichen Willkürherrschaft führen.
4S9. Particularrechtliche Bestimmungen über die rovmto uetorum s. z. B.
obcn S. 60 (Stade), S. 359 (Hesfen), S. 373 (Würzburg), S. 381 (Baden).
Gönner, Hdb. III, Nr. 63, behandelt die wegen mangelnder Appellationssumme
statt der Appcllation an das Reichskammergericht zugelassenen Revision an das
oberste Landesgericht, weist zutreffend nach, daß dabei rrova durch die Particular-
gesetzgebung garnicht ausgeschlosfen werden d.urften (vgl. oben S. 114 u. I. R. A.
tz 113); berichtet aber trotzdem (S. 390), daß gerade dies außerordentlich be-
stritten sei. —
VIII.
435. Holtze (I. 162ff.) sucht nachzuweisen, daß der Entwurf wesentlich
unter Benutzung der bis dahin für das Reichskammergericht erlassenen Ordnungen
gearbeitet worden sei. Ein gewisser Zusammenhang besteht allerdings, insofern auch