Amuerkungen. VII. S. 400—405.
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es beym alten herkomen gelaßen werd, wo Jr dann je vf ain rechtztag mit
zn vilen sachen wclten vberylt werden, so mechten ir in zwayen oder dryen Proce-
dieren laßen vnd so die zurecht gesetzt geurteilt vnd entschaiden werden alßdann
andre furnemen vnd also darin ordnung halten das wolten wir euch g(nädige)r
meinung nicht uerhalten Datum Stutgart den letsten Dec. An. 65" (Reyscher,
Samml. altwürtb. Statntar-Rechte, S. 621—623).
4VV. Die richterliche Fürsorgepslicht für die Partei war dem alten
deutschen Rechte überhaupt nicht sremd: „Horet aber der Richter, daß ein vorspreche
durch seyne unverstandenheit eymc syne sach wil verlyßen, da he sust recht behilde,
ob he guten rait hett: he sal wol eyne warnunge thun, das be sich baß berade, unde
den man nit versmne an synen rechtin, verstehe he sichs nit, das he dan den man
uffgebe. Beheldet aber jener da boben den vorspröchin, unde versmnet he en, he
muß den schaden han. Aber der scheffen muß nymant warnen, hulse, raid ader taid
thun, ob he wol horet eyner sich versumen wil, stil schwigen, unde warthen, was
an en gestalt wirdt, das he das recht da ober wiße. Tud he anders, he tud widder
syn eyde" (Emmerich bei Schmincke, Noniinsnta Hnssiueu II 721; — ich citire
nach Ko pp ausf. Nachr. Th. I Stück. 4 tz 342). — Ein sociales Moment des dcutschen
Processes liegt anch in der Befugniß der Parteien, ganz allgemeine Urtheilsfragen
über die vorzunehmenden Proceßhandlungen zu stellen: „wat dar rechtes umme si"?
(Richtst. 14 K 3; 23 § 2). „So vrage, wo het scole bewisen. So scalme vinden
mit twen unde seventich scepenbaren vrien mannen edder echterborncn laten" (ebds.
10, tz 1; vgl. Planck, Grvf. I, S. 236). Und durch von den Parteien mit den
Fragen garnicht veranlaßte Zusätze in den Urtheilsantworten „werden — die Par-
teien erst ausmerksam gemacht aus Angriffs- oder Vertheidigungsmittel, die ihnen
bis dahin entgingen, u. Material in den Streit hineingezogen, was die Parteien
von sich aus vielleicht nicht beigebracht hätten" (Planck a. a. O. S. 308). — Die
Glosse z. Schs.sp. (III 30, K 2) läßt den Richter, dem das gesundene Urtheil un-
richtig scheint, zu den Schöffen sagen: „bespreket ju bat, eder halet dat ordel, dar
gi tu recht scun, eder he scal id dagen". Nach alledem ist es erklärlich, wenn der
Richtsteig (Oux. 4) dem Vorsprecher räth: „hüt die, dat tu dcn richtere nicht vor-
tornest, wen it is swerlik tu krigen vor einen ungewegen richtcre". — Ueber den
longobardischen Proceß im 11. Jahrhundert berichtet Bethmann-Hollweg
(V S. 332, 333): „das Verfahren ist durchaus inündlich und wird von Seiten des
Gerichts geleitet durch Fragen (irltorooAntionöZ), die der vorsitzende Richtcr (Oomos)
oder Einer der rechtskundigen Schöffen (Präsx) an die Parteien richtet. Die Ant-
worten der Partheien (r68xon8icm68) geben dem Proceß die fernere Richtung.
Weil sie aber meist rechtsunkundig waren, so legte gewöhnlich ein Schöffe ihnen
die Erklärung in den Mund und versicherte sich nnr ihrer Zustimmung, war also
insosern Richter (gnäox) und Fürsprecher (enrmiäiovm) zugleich und wandte dadurch
jedes Versehen, „,,die Gefahr im Rechtsgang"", ab".
-1V5. Den deutschen Juristenstand der Receptionszcit schildert eingehend
Stintzing, Gesch. d. dtsch. Rechtsw. I, S. 60ff.; er sagt u. a.: „Ehrgeiz und
Gewinnsucht der Doctoren waren wirksame Bundesgenossen für die steigenden An-
sprüche der Landesherren. Und in den untern Schichten des Juristenstandes sand sich
eine unsaubere Gesellschast zusanrmen, deren Treiben uns Zasius, Melanchthon,
Jacob Kögel und Andere schildern. Ansehen und Reichthum, heißt es, skelle die
Jurisprudenz in Aussicht. Ehrgeiz und Habsucht sühre ihr Jünger in Menge zu.
Wenige nur wählten sie aus edlen Motiven; daher. sei sie zu der gemeinen Fertig-
keit herabgesunken, zu streiten und einen Streit aus dem andern zu entspinnen. Der
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es beym alten herkomen gelaßen werd, wo Jr dann je vf ain rechtztag mit
zn vilen sachen wclten vberylt werden, so mechten ir in zwayen oder dryen Proce-
dieren laßen vnd so die zurecht gesetzt geurteilt vnd entschaiden werden alßdann
andre furnemen vnd also darin ordnung halten das wolten wir euch g(nädige)r
meinung nicht uerhalten Datum Stutgart den letsten Dec. An. 65" (Reyscher,
Samml. altwürtb. Statntar-Rechte, S. 621—623).
4VV. Die richterliche Fürsorgepslicht für die Partei war dem alten
deutschen Rechte überhaupt nicht sremd: „Horet aber der Richter, daß ein vorspreche
durch seyne unverstandenheit eymc syne sach wil verlyßen, da he sust recht behilde,
ob he guten rait hett: he sal wol eyne warnunge thun, das be sich baß berade, unde
den man nit versmne an synen rechtin, verstehe he sichs nit, das he dan den man
uffgebe. Beheldet aber jener da boben den vorspröchin, unde versmnet he en, he
muß den schaden han. Aber der scheffen muß nymant warnen, hulse, raid ader taid
thun, ob he wol horet eyner sich versumen wil, stil schwigen, unde warthen, was
an en gestalt wirdt, das he das recht da ober wiße. Tud he anders, he tud widder
syn eyde" (Emmerich bei Schmincke, Noniinsnta Hnssiueu II 721; — ich citire
nach Ko pp ausf. Nachr. Th. I Stück. 4 tz 342). — Ein sociales Moment des dcutschen
Processes liegt anch in der Befugniß der Parteien, ganz allgemeine Urtheilsfragen
über die vorzunehmenden Proceßhandlungen zu stellen: „wat dar rechtes umme si"?
(Richtst. 14 K 3; 23 § 2). „So vrage, wo het scole bewisen. So scalme vinden
mit twen unde seventich scepenbaren vrien mannen edder echterborncn laten" (ebds.
10, tz 1; vgl. Planck, Grvf. I, S. 236). Und durch von den Parteien mit den
Fragen garnicht veranlaßte Zusätze in den Urtheilsantworten „werden — die Par-
teien erst ausmerksam gemacht aus Angriffs- oder Vertheidigungsmittel, die ihnen
bis dahin entgingen, u. Material in den Streit hineingezogen, was die Parteien
von sich aus vielleicht nicht beigebracht hätten" (Planck a. a. O. S. 308). — Die
Glosse z. Schs.sp. (III 30, K 2) läßt den Richter, dem das gesundene Urtheil un-
richtig scheint, zu den Schöffen sagen: „bespreket ju bat, eder halet dat ordel, dar
gi tu recht scun, eder he scal id dagen". Nach alledem ist es erklärlich, wenn der
Richtsteig (Oux. 4) dem Vorsprecher räth: „hüt die, dat tu dcn richtere nicht vor-
tornest, wen it is swerlik tu krigen vor einen ungewegen richtcre". — Ueber den
longobardischen Proceß im 11. Jahrhundert berichtet Bethmann-Hollweg
(V S. 332, 333): „das Verfahren ist durchaus inündlich und wird von Seiten des
Gerichts geleitet durch Fragen (irltorooAntionöZ), die der vorsitzende Richtcr (Oomos)
oder Einer der rechtskundigen Schöffen (Präsx) an die Parteien richtet. Die Ant-
worten der Partheien (r68xon8icm68) geben dem Proceß die fernere Richtung.
Weil sie aber meist rechtsunkundig waren, so legte gewöhnlich ein Schöffe ihnen
die Erklärung in den Mund und versicherte sich nnr ihrer Zustimmung, war also
insosern Richter (gnäox) und Fürsprecher (enrmiäiovm) zugleich und wandte dadurch
jedes Versehen, „,,die Gefahr im Rechtsgang"", ab".
-1V5. Den deutschen Juristenstand der Receptionszcit schildert eingehend
Stintzing, Gesch. d. dtsch. Rechtsw. I, S. 60ff.; er sagt u. a.: „Ehrgeiz und
Gewinnsucht der Doctoren waren wirksame Bundesgenossen für die steigenden An-
sprüche der Landesherren. Und in den untern Schichten des Juristenstandes sand sich
eine unsaubere Gesellschast zusanrmen, deren Treiben uns Zasius, Melanchthon,
Jacob Kögel und Andere schildern. Ansehen und Reichthum, heißt es, skelle die
Jurisprudenz in Aussicht. Ehrgeiz und Habsucht sühre ihr Jünger in Menge zu.
Wenige nur wählten sie aus edlen Motiven; daher. sei sie zu der gemeinen Fertig-
keit herabgesunken, zu streiten und einen Streit aus dem andern zu entspinnen. Der