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Anmerkungen. VII. S. 390—399.
VII.
390. Daß auch der deutsche König als oberster Richter im Reiche häufig
im Mittelalter tie vor ihn gebrachten Streitigkeiten in gütlicher Verhandlung er-
ledigte, hat Franklin (Reichshofgericht II S. 40 ff.) nachgewiesen: „Auf sehr ver-
schiedene Art — kann ein streitiger Rechtsfall, eine zweiselhafte Rechtsfrage oder
eine Mehrheit zusammenhängender Strcitsachen zur alleinigcn Entscheidung des
Königs gelangen und er wird sich sehr verschiedener Mittel bedient haben, um eine
solche herbeizuführen. Jn Beziehung auf das Verfahren, das er dabei zu beobachten
gedachte, stand ihm die größte Freiheit zu: wie er die Wahrheit ermitteln, die Par-
teien zur Minne bewegen oder unter rechtlichen Spruch beugen mochte, war seinem
Ermesfen allein anheimgeftellt. Ilnd in dieser Freiheit der Bewegung, des Handelns
und Verhandelns licgt das allen — einzelnen Fällen Gemeinsame begründct: sie
stehen insgesammt im Gegensatz zur gerichtlichen Verhandlung eines Rechtsstreits"
(S. 4ch.
399. Man hatte übrigens auch noch im 16. Jahrhundert volles Bewußt-
sein davon, daß die Fürsprecher aus dem Gerichtsringe eine ihren Werth in sich
tragende Einrichtung seien, keineswegs etwa ein Nothbehelf; — daß diese Einrichtung
in heilsamer Weise Gericht und Parteien einander näher rücke. Vogt, Bürger-
meyster vnd Gericht zu Calv waudten sich im Jahre 1565 an den Landesherrn mit
der Bitte um Erlaubniß, dcn streitenden Parteyen aus der Bürgerschaft und nicht,
wie es gebräuchlich, aus dem Gericht Fürsprecher geben zu dürfen. Zur Begründung
wurde angeführt, daß die bestehende Uebung die Gerichtspersonen sehr in Anspruch
nehme und, weun viele Sachen vorlägen, zu Unzuträglichkeiten führe, indem „zu
Zeitten nit wol der halbtheil Jn Gericht sitzen pleibt, zu dem die Jhenigen, so mit
Jhren Partheyen von dencn fie beruoffen vnd gezogen, nit kunden oder mögen, zu-
hören, was etwan die andern Partheyen Jn Jrem Abwesen fürpringen" u. s. w.
Das herzogliche Antwort-Rescript schlug jedoch die Bitte ab: „Lieben
Getreuen! Wir haben ewcr schreiben euch auch fürsprechen am gericht by euch
vsserhalb den gerichtz personcn zubestellen zuuergunden uerlesen vnd ist weniger nit
solchs mecht by etlichen vnsern Staten vsfer guter wolmainung fürgenommen vnd
durch vns vergundt worden sein Aber wir werden bericht, daß So dasfelbig in das
werkh gezogen wurdt, besind nian daruß mer nachteils vnd vnrichtigkeit dann furdrung
oder furstands der sachen, Dann ob wol jen ain' leidliche belonung als aim des tags
von einer sachen 8 d. geordnet, So trag sich doch fur und fur zu, daß die Partheyen
fie auch rnit essen vnd tringkeil erhalten thuen, daruß dann den armen leuten ain
Newe beschwerd vnd vncost entstet. Jtem es werden die proceß vil mer
durch solche fursprechen (alls die darzu lust vnd villeicht ouch genieß dauon
haben) vfgezogen vnd verlengert, dann wo die sachen durch die richter
furtragen werden welche sie allain zur schleinigen furdrung vnd dem rechtsatz
richten. Jtem so ist ouch sonst nit böß das hierzu die gerichtz personen
geprucht werden, dann sie hierdurch vil mer den grund der sacheu
dann Jhenen weg erlernen mogen vnd fich im vrteilen dest baß halten künden
darzu so werden fie durch solche vbung dest berichter zum reden, also dz sie alß dann
in andern der Stat geschefften ouch dest baß zugeprauchen seyen. Dwyl dann solcher
oncost vnd weitleifigkeit daruß eruolgt darzu die Entenmayer in vnserm Landtrechten
uerpoten sind, ouch wir nit erachten kunden das der handlungen souil by euch wie
zu Stutgart Tübingen Vrach vnd dergleichen großcn Aemptern das ein sondere not-
turfft seiu solt aigen tursprechen zu haben So halten wir für das besst, das
Anmerkungen. VII. S. 390—399.
VII.
390. Daß auch der deutsche König als oberster Richter im Reiche häufig
im Mittelalter tie vor ihn gebrachten Streitigkeiten in gütlicher Verhandlung er-
ledigte, hat Franklin (Reichshofgericht II S. 40 ff.) nachgewiesen: „Auf sehr ver-
schiedene Art — kann ein streitiger Rechtsfall, eine zweiselhafte Rechtsfrage oder
eine Mehrheit zusammenhängender Strcitsachen zur alleinigcn Entscheidung des
Königs gelangen und er wird sich sehr verschiedener Mittel bedient haben, um eine
solche herbeizuführen. Jn Beziehung auf das Verfahren, das er dabei zu beobachten
gedachte, stand ihm die größte Freiheit zu: wie er die Wahrheit ermitteln, die Par-
teien zur Minne bewegen oder unter rechtlichen Spruch beugen mochte, war seinem
Ermesfen allein anheimgeftellt. Ilnd in dieser Freiheit der Bewegung, des Handelns
und Verhandelns licgt das allen — einzelnen Fällen Gemeinsame begründct: sie
stehen insgesammt im Gegensatz zur gerichtlichen Verhandlung eines Rechtsstreits"
(S. 4ch.
399. Man hatte übrigens auch noch im 16. Jahrhundert volles Bewußt-
sein davon, daß die Fürsprecher aus dem Gerichtsringe eine ihren Werth in sich
tragende Einrichtung seien, keineswegs etwa ein Nothbehelf; — daß diese Einrichtung
in heilsamer Weise Gericht und Parteien einander näher rücke. Vogt, Bürger-
meyster vnd Gericht zu Calv waudten sich im Jahre 1565 an den Landesherrn mit
der Bitte um Erlaubniß, dcn streitenden Parteyen aus der Bürgerschaft und nicht,
wie es gebräuchlich, aus dem Gericht Fürsprecher geben zu dürfen. Zur Begründung
wurde angeführt, daß die bestehende Uebung die Gerichtspersonen sehr in Anspruch
nehme und, weun viele Sachen vorlägen, zu Unzuträglichkeiten führe, indem „zu
Zeitten nit wol der halbtheil Jn Gericht sitzen pleibt, zu dem die Jhenigen, so mit
Jhren Partheyen von dencn fie beruoffen vnd gezogen, nit kunden oder mögen, zu-
hören, was etwan die andern Partheyen Jn Jrem Abwesen fürpringen" u. s. w.
Das herzogliche Antwort-Rescript schlug jedoch die Bitte ab: „Lieben
Getreuen! Wir haben ewcr schreiben euch auch fürsprechen am gericht by euch
vsserhalb den gerichtz personcn zubestellen zuuergunden uerlesen vnd ist weniger nit
solchs mecht by etlichen vnsern Staten vsfer guter wolmainung fürgenommen vnd
durch vns vergundt worden sein Aber wir werden bericht, daß So dasfelbig in das
werkh gezogen wurdt, besind nian daruß mer nachteils vnd vnrichtigkeit dann furdrung
oder furstands der sachen, Dann ob wol jen ain' leidliche belonung als aim des tags
von einer sachen 8 d. geordnet, So trag sich doch fur und fur zu, daß die Partheyen
fie auch rnit essen vnd tringkeil erhalten thuen, daruß dann den armen leuten ain
Newe beschwerd vnd vncost entstet. Jtem es werden die proceß vil mer
durch solche fursprechen (alls die darzu lust vnd villeicht ouch genieß dauon
haben) vfgezogen vnd verlengert, dann wo die sachen durch die richter
furtragen werden welche sie allain zur schleinigen furdrung vnd dem rechtsatz
richten. Jtem so ist ouch sonst nit böß das hierzu die gerichtz personen
geprucht werden, dann sie hierdurch vil mer den grund der sacheu
dann Jhenen weg erlernen mogen vnd fich im vrteilen dest baß halten künden
darzu so werden fie durch solche vbung dest berichter zum reden, also dz sie alß dann
in andern der Stat geschefften ouch dest baß zugeprauchen seyen. Dwyl dann solcher
oncost vnd weitleifigkeit daruß eruolgt darzu die Entenmayer in vnserm Landtrechten
uerpoten sind, ouch wir nit erachten kunden das der handlungen souil by euch wie
zu Stutgart Tübingen Vrach vnd dergleichen großcn Aemptern das ein sondere not-
turfft seiu solt aigen tursprechen zu haben So halten wir für das besst, das