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Schwartze, Moritz Gotthilf
Das alte Aegypten oder Sprache, Geschichte, Religion und Verfassung des alten Aegyptens: nach den altägyptischen Original-Schriften und den Mittheilungen der nichtägyptischen alten Schriftsteller (Band 1) — Leipzig, 1843

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https://doi.org/10.11588/diglit.17156#0533
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von Champollion. 479



nommene häufige Ausfallen der Vocalbucbstaben bildet nur die negative Seite ihrer Verwandtschaft.
Dahingegen eröffnen wir uns den Blick in das Positive dieser Verwandtschaft, so bald wir uns ver-
gegenwärtigen, welch© Vocale es waren, deren Setzung in den beiden Schriftstämmen gewöhnlich
unterblieb. Wie die nähere Beleuchtung dieses positiven Verhältnisses uns eines Theiles eine im-
mer klarere und bestimmtere Einsicht in das Besondere der Hieroglyphenschrift selbst giebt, so ver-
schafft sie uns andern Theiles die Veranlassung, unsre Ansicht von der allgemeinen Schriftentwi-
ckelung der alten Völker immer mehr yai erweitern, indem wir bemerken, wie die Grundzüge des
Einzelnen, welche als Vereinzeltes bei dem Vergleiche mit dem allgemeinen Zustande der heutigen
Schrift des Occidentes den Schein einer befremdenden Sonderbarkeit und selbst einer kaum glaub-
lichen Urinatürlichkeit au sich tragen, nur die Lebensthätigkeit des Ganzen abspiegeln und in die-
sem Zusammenfallen mit dem gleichzeitigen und gleichartigen Aeusserungen des menschlichen Gei-
stes überhaupt, das Bild einer allgemeinen Physiologie der alten Welt vervollständigen helfen.

Die Hieroglyphenschrift spaltete, wie wir sahen, ihre Vuealthätigkeit in zwei grosse Hälften,
die wir als Licht und Schatten, als die hellere und dunklere Region der sogenannten Selbstlauter ausein-
ander hielten. Auf der Seite der helleren Laute standen die Hieroglyphen des A, E, und desGriechischen
HQiß, auf der Seite der dunkleren erblickten wir die Zeichen des U, 0, Y. Die einzelnen Glieder der
beiden Lautabtheilungen wurden aber wiederum von zwei grossen Hieroglyphenclassen vertreten, von
denen die eine abwechselnd das A, E, H, die andere eben so das U, 0, Y darstellte. ledoch er-
gab sich zwischen beiden keine scharfe Grenzlinie. Wir übersahen gewissermaassen eine Fläche,
deren entgegen gesetzte Horizonte sich in Weiss und Schwarz absonderten. Während nun das
Dunkle sich innerhalb seines'Gebietes hielt, fand von der Seite des Hellen eine Annäherung Statt,
die durch einen immer tiefem Farbenton sich bis in die Grenze des Dunkeln selbst hineinzog. Wir
suchten uns diese Erscheinung durch ein früheres Sein des hellen Elementes zu erklären, welches
Element aber bei der fortgehenden Laut- und Schriftentwickelung sich zu dem Gegensätze seines
Selbst erweiterte und durch das Bewusstsein des Gegensatzes sein absolutes Gegentheil, das nur
Dunkele, aus sich hervor gehen liess, welches in entschiedener Selbstständigkeit dem Erstem ge-
genüber trat. Hierbei aber ergab sich der eigenthümliche Umstand, dass das scheinbar nachgebo-
i'ene Dunkle seinen eignen Erzeuger, das Helle, in den Schatten stellte und zum grossen Theile
selbst aus der Schrift verdrängte, indem die hellen Vocale, gegen die dunkeln gehalten, ein über-
aus unsicheres, fortwährend bedrohtes und beeinträchtigtes Dasein führten. — Neben den Reprä-
sentanten dieser beiden grossen Vocalclassen gewahrten wir aber auch noch die Vertreter einer besou-
•lern Vocaiart, nämlich des I, welches seiner Natur nach zu den hellen Vocalen gehört und sich dennoch
hl der Hieroglyphenschrift, im Widerspruche mit seiner Natur, nicht zu der Partei der unterdrückten hellen
Vocale, sondern zu der Partei der unterdrückenden dunkeln gesellte, mit diesen dunkeln Vocalen
aber auch in Conllict gerieth und dieselben zur gerechten Wiedervergeltung für die seinen Stamm-
genossen angethane Unbill nicht selten besiegte. Diesen scheinbaren Widerspruch glaubten wir nur
»Dter der Voraussetzung heben zu können, dass wir dem hieroglyphischen I eine grössere Dehnung
0(ler eine grössere Tiefe als dem I anderer Sprachen zuerkannten, dass wir zum Wenigsten in ihm
das so genannte lange I der meisten Sprachen erblickten und es demnach gewissermaassen aus
dem einen Gebiet in das andere herüber führten. Sein Schriftzeichen, welches wir für die Verdop-
pelung eines ursprünglich kurzen Lautes hielten, schien uns diese Dehnung zu verbürgen.

Wie aber? Ist denn nicht vielleicht auch der völlig umgekehrte Gang möglich? Gesetzt
 
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