Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München, 1863

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.1300#0388
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Stereotoinie (Steinkonstruktion). Zwecklieh-FormeHes. 383

den Griechen gehandhabt. Die Renaissance knüpft auch hierin
wieder an die Bautraditionen des Alterthums an, ihr ist die Mauer-
verjüngung mehr optisches als . struktives Mittel, obschon dieser
Stil auch durch starke Böschungen und Anläufe die Kraft und
den Charakter eines Gemäuers hervorzuheben weiss. 1

Doch berührt dies schon das allgemeinere Gebiet der archi-
tektonischen Stillehre, das uns hier noch nicht beschäftigen/darf.
.-,. Wir bezeichneten im Eingange dieses Kapitels die Mauer als
ein mineralisch- (d. h. anorganisch-) Lebloses, daher Ungegliedertes.
Der Quader als Theil der Mauer so wenig wie die Eckverstärkun-
gen und Parastaten (seien sie nun Streben, oder Ausläufer), welche
ihre Einheitlichkeit unterbrechen, sind eigentliche Gliederungen,
noch weniger für sich bestehende Organismen, wie die Säule,
beide enthalten und versinnlichen vielmehr nur das mineralische
Gesetz des Grundplans und sind in dieser Beziehung gewissen
peripherischen und radialen Detailbild ungcn der Krystalle ver-
gleichbar. (S. Prologomena S. XXV.)

Aber als Aufrechtes ist die Mauer dennoch dem allgemei-
nen Gesetz der proportioneilen Entwicklung in so fern unterwor-
fen, als' sie aus drei Theilen besteht, der Basis, dem Rumpf (oder
Sturz), und der Krönung.

Im rohen Schema besteht jene, die Basis, nämlich, aus einer
hohen uud stark hervortretenden Steinschicht, von Vitruv als
quadra bezeichnet, mit griechischem Ausdrucke plinthus benannt;
der Kumpf (truncus) aus dem oben besprochenen Quadergemäuer
selbst; die Krönung (corona) aus einer schutzgewährenden vor-
springenden Deckplatte. Bei der dekorativen Durchbildung dieser
Verbindungen sah sich die Kunst des Maurers veranlasst, ihre
Analogieen den drei vorherbehandelten Künsten abzuborgen. So
wird der Trunkus mit Hülfe eines Bandes (des Wulstes, spira)
an den Plinthus. (die quadra des Vitruv) festgeknüpft. Ein an-
derer Uebergang bindet ihn an die Deckplatte (corona), die einen
Abschluss, eine Lösung (Lysis) erhält; darauf folgt das- Stylobat,
in Form einer Stufe, oder, in reicherer Entwicklung, als fortlau-
fendes Säulenpiedestal, das auf den eigentlichen Bau vorbereitet.2

1 Die fortifikatorischen Werke zu Verona und Venedig von S. Michele,
das Kastell von Civita Vecchia und viele andere Schöpfungen der Eenaissance
sind unübertreffliche Vorbilder eines männlich-kriegerischen Baustils. ,

2 Vergl. Vitruv III. 4 und die Anmerkungen des Marinius. Bötticher
 
Annotationen