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Zehntes Hauptstück.
Mancher Irrthum vererbte sich so von alten Zeiten her auf uns
und wird in unseren Lehrbüchern noch immer mit Behagen verbreitet,
wodurch in den Vorstellungen über die griechischen Stile und deren
Geschichte grosse Verwirrung entstand. Ein solcher von den
Alten vererbter Irrthum haftet zunächst an dem (dorisch) helleni-
schen Tempelgrundplane, also an der eigentlichen Fundamental-
frage über das Wesen der dorischen Bauweise.
Kunsttypen, die seit ältester weit über die Zeiten monumen-
taler Kunst hinausra^ender Tradition Bestand und Re^el hatten,
wurden mit dem späten Erwachen des dorisch-hellenischen Kul-
turgedankens aus früheren schon in sich ganzen und vollständigen
Verbindungen herausgerissen, beispiellos zusammengewürfelt, ver-
stümmelt, ohne alle Pietät misshandelt. Ihre Lösung aus allen
früheren Verbänden musste vorangehen, damit sie frei wurden
eine neue Verbindung um einen neuen Gedankenkern herum an-
treten zu können. 1
Dieser neue Gedanke war der peripterische Tempel,
das säulengetragene Giebeldach, die monumentale
Hütte (Skene), als Gegensatz zu dem schlichten alt-gräko-
italischen (oder nach Thierschs Bezeichnung pelasgisch - achäi-
schen) Sekos, der das Kultbild einschliessenden oblongen Kam-
mer (cella), die von dem mächtigen Kyklopenfundament des
Opferaltares, hinter oder auf dem sie gestellt ist, in dieser ihrer
nackten Beschränktheit vollständig erdrückt wird, jeder selb-
spätere Benützung in einem neuen Sinne, Dieser Fall mochte wohl auch bei
dem Metopen- und Triglyphenfriese eingetreten sein, den erst der vollendete do-
rische Kanon wahrscheinlich nach einer Fiktion, die im Euripides wiederklingt,
in tektonisch-struktivem Sinne auffasste, indem er doch ursprünglich mit der
Konstruktion nichts gemein hat, sondern wahrscheinlich eine ausgezackte Bor-
düre, einen Saum darstellt und textilen Ursprungs ist. Ich folgere daraus zu-
gleich dass, wo die Triglyphe nicht in diesem struktiven Zusammenhänge,
sondern rein dekorativ auftritt, dieses Motiv, wo nicht in seiner älteren,
docli sicher in seiner alterthümlicheren Auffassung erscheint; wie z. B.
an dem mit zu grosser Zuversicht von den Archäologen in das erste Jahrhun-
dert vor Christus herabgesetzten kleinen Tempel zu Paestum. Eben so zeigt
das Vorkommen des Triglyphenschmucks in Verbindung mit ionischen und
korinthischen Elementen an Gebäuden, dass bei ihrer Erbauung dieser Schmuck
noch nicht charakteristisches Eigenthum und Wahrzeichen des dorischen Ge-
bälks war.
1 Man vergleiche damit den Wust alt-traditioneller Typen bei den ersten An-
sätzen zu hellenischer mythisch-historischer Darstellung auf ältesten Töpfen.
Zehntes Hauptstück.
Mancher Irrthum vererbte sich so von alten Zeiten her auf uns
und wird in unseren Lehrbüchern noch immer mit Behagen verbreitet,
wodurch in den Vorstellungen über die griechischen Stile und deren
Geschichte grosse Verwirrung entstand. Ein solcher von den
Alten vererbter Irrthum haftet zunächst an dem (dorisch) helleni-
schen Tempelgrundplane, also an der eigentlichen Fundamental-
frage über das Wesen der dorischen Bauweise.
Kunsttypen, die seit ältester weit über die Zeiten monumen-
taler Kunst hinausra^ender Tradition Bestand und Re^el hatten,
wurden mit dem späten Erwachen des dorisch-hellenischen Kul-
turgedankens aus früheren schon in sich ganzen und vollständigen
Verbindungen herausgerissen, beispiellos zusammengewürfelt, ver-
stümmelt, ohne alle Pietät misshandelt. Ihre Lösung aus allen
früheren Verbänden musste vorangehen, damit sie frei wurden
eine neue Verbindung um einen neuen Gedankenkern herum an-
treten zu können. 1
Dieser neue Gedanke war der peripterische Tempel,
das säulengetragene Giebeldach, die monumentale
Hütte (Skene), als Gegensatz zu dem schlichten alt-gräko-
italischen (oder nach Thierschs Bezeichnung pelasgisch - achäi-
schen) Sekos, der das Kultbild einschliessenden oblongen Kam-
mer (cella), die von dem mächtigen Kyklopenfundament des
Opferaltares, hinter oder auf dem sie gestellt ist, in dieser ihrer
nackten Beschränktheit vollständig erdrückt wird, jeder selb-
spätere Benützung in einem neuen Sinne, Dieser Fall mochte wohl auch bei
dem Metopen- und Triglyphenfriese eingetreten sein, den erst der vollendete do-
rische Kanon wahrscheinlich nach einer Fiktion, die im Euripides wiederklingt,
in tektonisch-struktivem Sinne auffasste, indem er doch ursprünglich mit der
Konstruktion nichts gemein hat, sondern wahrscheinlich eine ausgezackte Bor-
düre, einen Saum darstellt und textilen Ursprungs ist. Ich folgere daraus zu-
gleich dass, wo die Triglyphe nicht in diesem struktiven Zusammenhänge,
sondern rein dekorativ auftritt, dieses Motiv, wo nicht in seiner älteren,
docli sicher in seiner alterthümlicheren Auffassung erscheint; wie z. B.
an dem mit zu grosser Zuversicht von den Archäologen in das erste Jahrhun-
dert vor Christus herabgesetzten kleinen Tempel zu Paestum. Eben so zeigt
das Vorkommen des Triglyphenschmucks in Verbindung mit ionischen und
korinthischen Elementen an Gebäuden, dass bei ihrer Erbauung dieser Schmuck
noch nicht charakteristisches Eigenthum und Wahrzeichen des dorischen Ge-
bälks war.
1 Man vergleiche damit den Wust alt-traditioneller Typen bei den ersten An-
sätzen zu hellenischer mythisch-historischer Darstellung auf ältesten Töpfen.