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Semper, Gottfried
Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten oder praktische Ästhetik: ein Handbuch für Techniker, Künstler und Kunstfreunde (Band 2): Keramik, Tektonik, Stereotomie, Metallotechnik für sich betrachtet und in Beziehung zur Baukunst — München: Bruckmann, 1879

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https://doi.org/10.11588/diglit.66815#0580
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566

Anhang.

Lebens regelmässig den Ausschlag gaben, selbst wo sein Verstand das
Gegentheil forderte, wie z. B. bei seiner Betheiligung am Dresdener Auf-
stand. So galt er denn oft für einen launenhaften, ungleichen Charakter,
während doch sein Leben eine eiserne Konsequenz, ein unverrücktes,
mannhaftes Festhalten an seinen Idealen nachweist, für die er jederzeit
seine Existenz einzusetzen bereit war. Und dabei blieb dieser tiefe
Denker und willensstarke Mann im gewöhnlichen Leben naiv und gut-
müthig wie ein Kind, ja oft selbst hülflos wie ein solches.
Es sah durchaus nicht darnach aus, als ob er jemals ein Künstler
werden könnte, da er am 29. November 1804 das Licht der Welt in Altona
erblickte. Einer fast durchaus aus Kaufleuten bestehenden Familie an-
gehörig, erhielt der früh einen bis zur Unbändigkeit gehenden, festen
Willen zeigende Junge seine Erziehung bei einem Pastor auf dem Lande,
und gewann dort wohl jene stahlharte Gesundheit, die allen Erschütte-
rungen, selbst der furchtbarsten Erlebnisse, der gefährlichsten Klimate
widerstand. Hatte er doch schon als kleiner Junge, in die Schule gehend,
in dem belagerten Hamburg täglich ein Spita] passiren müssen, wo man
zu der Stunde, in der ei' vorbei kam, allemal die nackten Leichname der
die Nacht zuvor am Typhus Gestorbenen haufenweise zum Fenster hin-
aus auf den Karren warf. Diese wechselnden Scenen, erst der Belagerung
und ihrer Schrecken und dann des jubelnden Einzugs der Befreier, regten
denn auch die Phantasie des Knaben so mächtig an, dass er später,
während ihn der Vater zum Juristen bestimmte, durchaus Militär-Ingenieur
werden wollte. Es geschah diess bald, nachdem er seine Gymnasial-
studien glänzend beendigt und sich jene ungewöhnliche Kenntniss der
alten Sprachen in denselben erworben, die ihn so sehr auszeichnete. So
vertauschte er denn in Göttingen, das er nun besuchte, um ein flottes
Studentenleben dort zu führen, sehr bald die juristischen Kollegien mit
den Vorträgen von Gauss und Otfried Müller; denn auch das Alterthum
fing jetzt an, ihn mächtig anzuziehen. Nachdem er die Einwilligung des
Vaters erhalten, wenn auch nicht zum Militär-Ingenieur-Fach, aber doch
zur Civilbaukunst überzugehen, kam er zu diesem Behufe 1825 über
Berlin nach München, um sich da weiter auszubilden. Er studirte nun
eine Zeit lang Architektur unter Gärtner. Bald aber liess er sich zu
einer Publikation über die gothischen Bauwerke gewinnen und ging zu
diesem Ende nach Regensburg, um das dortige Münster aufzunehmen.
Voll überquellender Jugendkraft, ein wildes Leben führend, verwickelte
er sich aber in ein Duell, in welchem er seinen Gegner so gefährlich
verwundete, dass er flüchtig werden musste. Nach Paris gerettet, traf
 
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