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Taine, Hippolyte
Reise in Italien (1. Band): Rom und Neapel — Leipzig: Eugen Diederichs, 1904

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https://doi.org/10.11588/diglit.53633#0103
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ROM

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Beschreibungen der Welt, nur etwas muss man davon ab-
ziehen : Der Künstler hat einen schönen Augenblick und
eine reizvolle Lichtwirkung gewählt, er hat nicht umhin
können, Künstler zu sein, und überdies hat ein Stich den
Vorteil, nicht schlecht zu riechen und die Bettler, welche
man darauf sieht, verursachen weder Ärger noch Ekel.
Du beneidest mich, dass ich in Rom bin: Ich bin zu-
frieden, dass ich hergegangen bin, weil ich hier viel lerne,
aber, was das wahre Vergnügen, das ungetrübte und
poetische Vergnügen anbetrifft, so würde ich das leichter
finden, wenn ich mit Dir um elf Uhr des Abends bei
Deiner Lampe in Deinen alten Mappen wühlen dürfte.
Das Leben selber hat hier nichts Interessantes. Ich
habe eine kleine Wohnung bei braven Leuten, bei kleinen
vollkommen römischen Bürgern gemietet, welche ihre
Reinlichkeit für ihre Gäste und ihre Unreinlichkeit für sich
selber aufsparen. Einer der Söhne ist Advokat, der andere
Beamter. Die Familie lebt davon, dass sie ihre Vorder-
zimmer vermietet und sich selber in die Hinterzimmer
sperrt. Die Treppen fegt man nicht, das Haus hat keinen
Pförtner, und Tag und Nacht steht die Tür offen, mag
hereinkommen wer will. Dagegen ist die Tür einer jeden
Wohnung fest und fähig, einem Anstürme zu widerstehen.
Beleuchtung gibt es nicht, die Mieter tragen abends Streich-
hölzchen in ihrer Tasche. Äusser in den Mondnächten
ist es unmöglich, ohne sie auszukommen. Einer unserer
Freunde hatte auf seine Kosten eine Laterne in den Flur
gehängt, abends war die Laterne gestohlen, und als eine
zweite und dritte dasselbe Schicksal erlitt, kam er wieder
auf die Streichhölzchen zurück. Morgens frühstückt man
im Cafe Greco. Es besteht in einem langen, niedrigen,
verräucherten Raum, der weder prächtig noch hübsch,
dagegen aber bequem ist. Es scheint, dass es so überall
in Italien ist. Dieses Kaffeehaus, welches das beste in
Rom ist, würde in Paris nur ein Cafe dritten Ranges sein,
 
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