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9. Thomasins Weltanschauung.

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des Lebens" zuschreibt oder gar seine Didaktik als „die ausschließlichste
Standespoesie" bezeichnet, die in dieser Zeit begegne. Freilich ist der
Welsche Gast Standespoesie. Aber nicht in dem Sinne, daß er eine
eigentlich höfische oder anch nur ritterliche Ethik verkünde. Mit vollem
Recht weist Chris mann'"" darauf hin, daß Thomasin weit davon ent-
fernt ist, indem er den sittlichenden Wert der Minne nicht kennt und
vom Ruhm völlig geringschätzig spricht. Standespoesie ist Thomasins
Werk nur insofern, als es sich wie jede mittelalterliche Dichtung einfügt
in die durch Gott gegebene und in der Schöpfung begründete ständische
Ordnung, wonach jeder Stand seine Aufgaben und seine sittlichen
Pflichten hat. Schon Gregor der Große hat ja gelehrt, daß man jeden:
auf seine eigene Weise predigen müsse"", und Alanus ab Jnsulis hat
es im einzelnen und an Beispielen weiter ausgeführt"*. Eines ziemt
sich nicht für alle. Andere Regeln gelten für den Geistlichen als für den
Ritter. Thomasin verlangt keine weliflüchtige Askese. Er ist kein klöse-
naoro, sondern ein Regularkanoniker, dem die Weltpredigt obliegt. Er
spricht nicht zu Mönchen, sondern zu Rittern und Herren. So muß er
eine, wenn auch nicht ihrem Stande entsprungene, so doch ihm angemes-
sene Ethik fordern. Schließt diese Ethik zwar geringere Möglichkeiten
zu Gott zu gelangen in sich als etwa die desjenigen, der sich ganz an
das Jenseits hingibt, so ist doch anch sie nötig act perkeotnin Del Imi-
tation wn; denn bestünde nur ein graäus für alle Menschen, so würde
nach einem Wort des Thomas von Aquino der Vollkommenheit des
Universums Abbruch geschehen"?. Thomasin weist den Ritter auf den
ihm und gerade ihm vorgeschriebenen Weg zu Gott. Er weist ihm dar-
über hinaus im Kreuzzug eine Möglichkeit noch höheren Grades:
zot bat uns materZo Aebon
cinö vir inuAvn von clisem loben
bin rnm naob inartoraers vis (11679ff.).
Gervinns (Anm. 456) 1441; 5. Anfl. (Anm. 456) tl 20. Bgl. a. Diestel,
n. a. O. (Anm. 658) 687ff.
ZDA. 56 (1919) 149; ferner vgl. Chris mann, Die mittelhochdeutsche
didaktische Literatur als Gesellschaftsethik, Dentschknndliches, Friedrich Panzer zum
60. Geburtstage überreicht von Heidelberger Fachgenossen, hg. Hans Teske. Heidel-
berg 1980, 39.
Rox. pust. III o. I, Migne 77, 50.
8ummrr üo art« praeä. e. 39ff., Migne 210, 184ff.
Günther Müller, Gradualismus, DVjschrLitW. 2 (1924) 681ff. Vgl. a.
Jos. Mausba ch, Die Ethik des heiligen Augustinus I- Freiburg i. B. 1929, 414ff.;
ferner Ernst Troeltsch, Die Soziallehren der christlicher, Kirchen und Gruppen.
Tübingen 1919, 226ff.
 
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