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XI. Der zweite Aufenthalt in Venedi"

erft im Jahre 1511 als Buch veröffentlichte und vier Blätter derfelben
die Jahreszahl 1510 tragen, verfetzte man die .Entftehung aller in diefe
Zeit1). Sehr mit Unrecht! denn die Folge fcheidet fich deutlich in
zwei ungleiche Hälften, deren eine die vier mit 1510 bezeichneten
Blätter und den ohne Zweifel gleichzeitigen Titel umfafst, deren an-
dere aber, aus heben Holzfchnitten beftehend, um ein Jahrzehent älter
ift. Dürer mufs die Erfindung und Zeichnung diefer älteren Gruppe
bald nach Vollendung feiner Apokalypfe in Angriff genommen haben.
Die Figuren find zwar gröfser und mächtiger als dort, aber in ihrer
gedrängten Anordnung und leidenfchaftlichen Empfindung, in den
Härten der Formen, in dem grellen, unvermittelten Durchfchlagen
von Schwarz und Weifs erinnert noch Vieles an die Apokalypfe.
Nur die Ausführung der Formfchnitte bleibt nicht auf der gleichen
Höhe; fie wird ftellenweife derb, roh, gewaltfam. Wir entnehmen
daraus, dafs fich der Ausfchnitt der ungewöhnlich grofsen Holztafeln
bis in die Jahre hinzog, da Dürer diefen Theil der technifchen Aus-
führung nicht mehr mit der gleichen Sorgfalt wie früher überwachte.
Endlich gerieth die Arbeit ganz in Stocken, vielleicht in Folge der
geringeren Befriedigung des Meifters an den Ergebniffen, vielleicht
noch mehr aus ökonomifchen Urfachen. Als Dürer dann unter gün-
ftigeren Verhältniffen an die Publicierung des »Marienlebens« und der
»kleinen Paffion« gieng, kam er auch auf diefen Torfo wieder zurück
und vollendete rafch die Folge der »grofsen Paffion« durch Beifügung
einiger neuen Stöcke und des Titels.

Ich unterlaffe es, für die älteren fieben Blätter der grofsen Paffion
eine chronologifche Reihenfolge aufzuftellen, die doch immer ftrittig
bleiben müfste, und begnüge mich damit, deren Entftehung im All-
gemeinen etwa um das Jahr 1500 anzufetzen. Es find: Jefus auf dem
Oelberge (B. 6), wie er in eingeknickter Körperhaltung die beiden
Hände wie abwehrend dem Kelche entgegenftreckt, den ihm der
Engel hinhält; der Schlaf der drei Jünger im Vordergrunde ift an-
fchaulich ausgedrückt, Petrus zur Linken zeigt namentlich die hageren
Formen und kühnen Verkürzungen der apokalyptifchen Engel. Die
wild %bewegte Stimmung, welche in der Geifselung (B. 8) herrfcht,
fcheint fich auch dem Holzfehneider mitgetheilt zu haben, fein Meffer
hat graufam in Dürers Zeichnung gewirthfehaftet. Das »Ecce homo«
(B. 9) ift wieder viel beffer gefchnitten; Chriftus erfcheint in der
rührenden Leidensgeftalt älterer Vorbilder unter dem Portale eines
reichen fpätgothifchen Bauwerkes; die Pharifäer unten find treffliche

1) Retberg, S. 67, Nr. 174—185. Bartfeh Nr. 4—15.
 
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