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Viertes Kapitel.

namentlich um solche zu bestärken, welche schon mit ihm überein-
stimmen, aber das entschiedene Gegentheil der wissenschaftlichen
Weise, die Wahrheit zu ermitteln. Der Ethnograph sollte ungefähr
wie der Anatom verfahren, welcher seine Studien womöglich an
todten statt an lebenden Gegenständen macht; Vivisection ist eine
nervenangreifende Arbeit und dem menschlichen Forscher widerstrebt
es, unnöthige Schmerzen zu erregen. Wenn so der Culturforscher
sich damit beschäftigt, die Bedeutung abgethaner Streitigkeiten zu
durchschauen, oder die Geschichte längst überlebter Erfindungen
zu enthüllen, so sucht er seine Belege vielmehr in dieser todten,
alten Geschichte als in den Discussionen, an denen er und seine
Mitmenschen lebhaftes Parteiinteresse empfinden, und wo sein Ur-
theil durch den Druck persönlicher Sympathie oder Antipathie und
vielleicht gar persönlichen Gewinnes oder Verlustes beeinflusst wird.
So sucht er aus Dingen, welche möglicher Weise niemals eine
hohe Bedeutung hatten, welche dem Bewusstsein des Volkes oder
gar seinem Gedächtniss entfallen sind, allgemeine Gesetze für die
Culturentwickluug zu entnehmen und kommt oft auf diesem Wege
leichter und vollkommnerer zum Ziel als in der Arena der mo-
dernen Philosophie und Politik.
Aber wir müssen die Anschauungen, welche wir aus der alten
oder abgethanen Cultur gewonnen haben, nicht ruhen lassen, wo
sie sich bildeten. Es ist ebenso unsinnig anzunehmen, die Gesetze
des Geistes seien in Australien andere als in England, andere zur
Zeit der Höhlenbewohner als zur Zeit der Erbauer eiserner Häuser
gewesen, wie anzunehmen, die Gesetze für die chemische Verbin-
dung seien zur Zeit der Kohlenablagerungen so und so gewesen, jetzt
dagegen anders. „Was geschehen ist, eben das wird hernach ge-
schehen“; und wir müssen wilde und alte Nationen studiren, um die
Gesetze kennen zu lernen, welche unter neuen Umständen in un-
serer eigenen Entwicklung zu Heil oder Unheil führen. Wenn
es noch eines Beispiels bedarf, um zu zeigen, wie direkt unser
modernes Leben sich auf das Alterthum und die Wildheit stützt,
so wollen wir es den Thatsachen entnehmen, welche soeben bei
der Erörterung der Bedeutung erwähnt worden sind, welche die
alte Hexerei für den Glauben an Zauberkräfte, der noch vor kurzer
Zeit eine der gewichtigsten Erscheinungen der europäischen Ge-
schichte bildete, und der Spiritualismus der Wilden für Vorstellungen
hat, welche jetzt unsere Civilisation in so hohem Grade beein-
flussen. Wer an diesen Fällen und vielen andern, welche noch
 
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