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Fünftes Kapitel,
Leider hat bis jetzt noch eine zu weite Scheidung zwischen
dem, was man die generative Philologie nennen kann, welche die
letzten Ursprünge der Wörter aufsucht, und der historischen Philo-
logie, welche die Uebertragung und Veränderung derselben ver-
folgt, bestanden. Es würde ein grosser Gewinn für die Sprach-
wissenschaft sein, wenn diese beiden Zweige der Forschung sich
näher aneinander schlössen, wie ja auch die Vorgänge, mit denen
sie sich beschäftigen, seit den ältesten Tagen der Sprache gemein-
samen Verlauf gehabt haben. Bis jetzt haben die historischen
Philologen der Grimm-Boppschen Schule, deren grosses Werk
die Verfolgung unserer indo-europäischen Dialekte auf eine früheste
arische Sprachform gewesen ist, in der Vollkommenheit der
Zeugnisse und der Genauigkeit der Behandlung bedeutende Vor-
züge gehabt. Gleichzeitig ist es klar, dass auch die Ansichten der
generativen Philologen, von De Brosses an, ein gesundes Princip
enthalten, und dass viele der in Bezug auf Gefühlslaute und andere
direkt expressive Wörter gesammelten Zeugnisse von höchster Be-
deutung für die ganze Frage sind. Aber wenn man die Einzelheiten
solcher Wortbildung studirt, muss man stets bedenken, dass kein
Gebiet der Philologie mehr der kaustischen Bemerkung Augustins
über die Etymologen seiner Zeit offen liegt, dass es mit der Ab-
leitung von Wörtern ebenso gehe wie mit der Deutung von Träumen,
indem jeder seiner eigenen Phantasie folge. (Ut somniorum inter-
pretatio ita verborum origo pro cujusque ingenio praedicatur.)
Fünftes Kapitel,
Leider hat bis jetzt noch eine zu weite Scheidung zwischen
dem, was man die generative Philologie nennen kann, welche die
letzten Ursprünge der Wörter aufsucht, und der historischen Philo-
logie, welche die Uebertragung und Veränderung derselben ver-
folgt, bestanden. Es würde ein grosser Gewinn für die Sprach-
wissenschaft sein, wenn diese beiden Zweige der Forschung sich
näher aneinander schlössen, wie ja auch die Vorgänge, mit denen
sie sich beschäftigen, seit den ältesten Tagen der Sprache gemein-
samen Verlauf gehabt haben. Bis jetzt haben die historischen
Philologen der Grimm-Boppschen Schule, deren grosses Werk
die Verfolgung unserer indo-europäischen Dialekte auf eine früheste
arische Sprachform gewesen ist, in der Vollkommenheit der
Zeugnisse und der Genauigkeit der Behandlung bedeutende Vor-
züge gehabt. Gleichzeitig ist es klar, dass auch die Ansichten der
generativen Philologen, von De Brosses an, ein gesundes Princip
enthalten, und dass viele der in Bezug auf Gefühlslaute und andere
direkt expressive Wörter gesammelten Zeugnisse von höchster Be-
deutung für die ganze Frage sind. Aber wenn man die Einzelheiten
solcher Wortbildung studirt, muss man stets bedenken, dass kein
Gebiet der Philologie mehr der kaustischen Bemerkung Augustins
über die Etymologen seiner Zeit offen liegt, dass es mit der Ab-
leitung von Wörtern ebenso gehe wie mit der Deutung von Träumen,
indem jeder seiner eigenen Phantasie folge. (Ut somniorum inter-
pretatio ita verborum origo pro cujusque ingenio praedicatur.)