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Tylor, Edward Burnett; Sprengel, J.W. [Übers.]; Poske, Fr. [Übers.]
Die Anfänge der Cultur: Untersuchungen über die Entwicklung der Mythologie, Philosophie, Religion, Kunst und Sitte (2. Band) — Leipzig: C.F. Winter'sche Verlagshandlung, 1873

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https://doi.org/10.11588/diglit.61348#0050
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42 Zwölftes Kapitel. Animismus.
abzugeben. Wie er alle alten Riten aufrecht erhielt, so behielt er
auch diese ganz streng bei, „er opferte den Todten, als ob sie
gegenwärtig wären,“ aber wenn man ihn fragte, ob die Todten
Kunde hätten von dem was geschehe, oder nicht, so wich er der
Antwort aus; denn wenn er antwortete Ja, so hätten pflichteifrige
Nachkommen ihrem Vermögen durch Todtenopfer nur Schaden
zugefügt, und sagte er Nein, so würden untreue Kinder ihre Eltern
unbeerdigt gelassen haben. Das Ausweichen war des Lehrers
würdig, der seine Lehre von der Verehrung im allgemeinen in dem
Grundsatz aussprach: „ernstlich die Pflichten, die dem Menschen
zukommen, zu erfüllen, und bei aller Ehrfurcht vor geistigen Wesen
sich von ihnen fernzuhalten, das allein kann Weisheit genannt
werden.“ Es wird berichtet, dass in unserer Zeit die Taepings
noch über Confucius hinausgingen; sie haben die Opfer für die
Geister der Todten ganz abgeschafft, halten aber die Sitte aufrecht,
die Gräber an dem herkömmlichen Tage zu besuchen, um dort zu
beten und ihre Gelübde zu erneuern. ’). Wenn wir in England
nach Spuren des alten Gebrauchs der Leichenopfer suchen, so
können wir einen schwachen Ueberrest bis auf neuere Zeiten ver-
folgen; man giebt den Armen bei Leichenbegängnissen Spenden
an Brot und Getränken, sowie „Seelmesskuchen“, die von Bauern-
mädchen vielleicht bis auf diesen Tag vor den Meiereien erbettelt
werden mit der hergebrachten Formel:
„Soul, soul, for a soul cake,
Pray you, mistress, a soul cake2).“
Wenn uns nicht die Zwischenstufen bekannt wären, durch welche
diese Ueberreste einer alten Sitte sich bis auf unsere Zeit fort-
gepflanzt haben, so würde es in der That weit hergeholt erscheinen,
ihren Ursprung aus einer wilden und barbarischen Vergangenheit,
aus der Einrichtung der Mahlzeiten für die Seelen der Verstor-
benen herzuleiten.
b Legge, „Confucius“, pp. 101 —102, 130; Bunsen, „(rod in History“, p. 271.
2) „Seelen, Seelen, Seelenkuchen,
Bitte, Herrin, Seelenkuchen.“
Brand, „Pop. Ant.“, vol. I, p. 392, vol. II, p. 289.
 
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