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28. Jahrgaag.

Mittwoch, 11. August.

Abeud-Ausgave.

M 15SS1.

»Dauziger Zeituug'
gaffe Rr. 4, uud dei alll

erscheiut täglich 2 Mal mit Ausuahme von Souutag Abeud

Moutag früh. BestelluNgrk »erdeu

TrVrditio», Letterhager»

. eu Kaiserl. Postaustalteu deS Ju- uud AuslaudeS aRgeuommeu. — Preis pro Quartal 4.S0 durch die Post bezogrn 5 — Juserate kvSe»

für die Petitzeile oder dereu Naum 20 A. — Die „Danziger Zeitung^ oermittelt Jnsertiousaufträge au alle ausrvärtlgeu Zeituugeu »u Origiualpreisen.

188«.

PMische Uebersicht.

Danzig, 11. August.

Znr Gasteiner Kaiscrbegegnuug.

Alle weitgehenden Combinationen über den
Lnhalt der Gasteincr Verabredungen begegnen
Zweifeln. Ueber bestimmte Fragen, z. B. die
bosnische, sind dort schwerlich irgend welche Ab-
machungen getroffen. Es handelte sich ledigüch um
erneute Bethätigung eines Bündniffes zur Erhaltung
des europäischen Friedens. Ein, wie die „Schles.
Ztg." sagt, über die Absichten der österreichischen
Regierungskreise orientirter Wiener Correspondent
schreibt derselben: „Die unterrichtelen Männer
erklären auf das bündigste, daß von einer Ver-
Linderung in den Beziehungen der beiden mittel-
«uropäischen Großmächte zu anderen Staaten in
Gastein nicht die Rede sein werde. Dafür, daß
sich in diesen Beziehungen nichts geändert babe und
auch in nächster Zeit hoffentlich nichts ändein weide,
spreche schon die über die Gasteiner Entrevue hinaus
währende Anwesenheit des Erzherzogs Cail Ludwig
von Oefterreich und seiner Gemahlin beim russischen
Kaiserpaar in Peterhof."

Auch andere Nachnchten stimmen darin überein,
daß in den Beziehungen Deuijchlands und Oester-
reichs zu Rußlands mchts g.änsert wird.

Die Pariser Blätier widmen der Kaiier-
zusammenkunft m Gastein große Ausmerksamkeit.
Die Commentare derseiben betonen hauptsächlich,
Laß Rußland der Zusammenkunft fern blieb und
damit aus der Triple-Allianz auSscheide. Jmmerhin
müffen auch sie zugestehen, daß die Gasteiner Zu-
sammenkunst eine neueBürgschaft fürdeneuropäischen
Frieden sei.

Die Coufereuz der Preußischeu Bischöfe iu Fulda
ist gestern eröffnet worden. Zur Theilnahme waren
die Erzbischöfe von Köln und Posen und die
Btschöfe von Limburg, Hildesheim, Ermland,
Münster, Osnabrück und Trier persönlich in Fulda ein-
getroffen, der Fülstblschof von Breslau wird durch
Len Domherrn Franz, das Bisthum Kulm durch
den destgnirteu neuen Bischof Redner, der Bischof
von Paderborn durch den Domherrn Schulte ver-
treten. Der Bischof vr. Haffner von Mainz wohnt
der Conserenz wegcn der zu seiner Diöcese gehörigen
preußischen Gebietstheile bei. Gestern früh waren
sämmtliche Theilnehmer an der Conferenz zu einer
kurzen Andacht an der Bonifaziusgruft versammelt.
Um 8 Uhr fand die Eröffnung der Conferenz im
Priesterseminare statt. Die Verhandlungen werden
von dem Erzbischos yon Köln als Vorsitzendcn ge-
ieitet und dürften bereits am Donnerstag zu Ende
gehen. Ueber den Zweck der Zusammenkunft schreibt
die ultramontane „Fuld. Z.":

..Die Bischöfe haben nur das eine hol,e Ziel im
Auge. ,enen Frieden zu fördern, der die Völker glücklich
macht und die Staaten nach innen und außen kräftigt.
Der Culturkampf hat zu den allcn historischen Er-
fahruugen wiederum einen neuen Bcweis gefügt. daß der
Kampf zwischen den staatlichen und kirchlichen Autori-
täten nur zum Schaden beider und zur Verderbniß der
breiten Bolksmasscn führt, und auf Grund dieser Er-
sahrungen läßt sich hoffen, daß die Zeit nicht mehr fern
rst, wo man auch mil dem letzten Rest derCulturkampfs-
gesetze aufräumcn und Ler Kirche die volle Freiheit
zurückerstatten wird. Schon in der nächsten Landtags-
le»w->. das erwartet man mit Bestimmtheit, wird dem
Bedürmiß einer vollftändtgen organischen Revision
Ler Maigesctze Rechnung gctragen werden, denn das
-st ver einjige Weg zum wahren und vollen Fricden, iu
deffen Bahnen die Kirchcngesetzgebung dereits eingelenkt
hat. Die bevorstehenden Confcrenz^Berathungen werden
uns, das hoffen wir zuversichtlich, diesem erschnten Zicle
wiedcrum näher bringen."

Der Antrag Hammerstcin und das Ccutrum.

Jm Lager Les Centrums hat man nicht ge-
zögert, Hern. v. Hammerstein und Genossen darüber
retnen Wcin einzuschänken, daß die Unterstützung
rhres Antrages nur unter ganz bestimmten Voraus-
setzungen erfolgen werde. Die „Germania" hat ja
^^i^bereitS^der^kanntei^rMrungMndt^^

Die Heidelberger Jabelfeier.

VI.*)

2 Heidelberg, 7. August.

Schon vor der Mittagsstunde, weit zeiliger
als man ecwartet, war am Freitage der historische
Festzug beendet worden. Bis zum spälen Abend,
wo ver allgemeine Studenten-Commers in die Fest-
halle rief, gab es also eine lange Ruhepause. Sie
war nothwendrg, denn cine gewiffe Festmüdigkeit
begann sich fühlbar zu machen. Die Theilnehmer
am Zuge mögen dieselbe vor allen empfunden
haben. Nicht ohne einige Besorgniß hatten die
Heidelberger diesem Schaugeprünge entgegengesehen.
Die kleine Stadt, die Enge ihrer Gaffen, der Man-
gel an Erfahrung und Uebung, die Schwierigkeit
der Disciplin über ca. 3000 Mitwirkende jeden
Alters begründeten solche Besorgniß. Sic fand ihrcn
Ausdruck in allerlei Verordnungen. Die Theil-
nehmer, damit sind wohl vorzugsweise die Studen-
ten gemeint, wurden ermahnt, die Nacht vorher
nicht zu lange außerhalb des Bettes zu verbringen,
am Morgen krästiger als gewöhnlich zu frühstücken,
den historischen Zug mit vollem Ernst zu behandeln,
nicht als eine LustbcuM. Dem Publikum ward
eingeschärft, Roffe uno Reiter nicht durch Zuwerfen
von Blumen, durch gar zu laute Zuruse zu beun-
ruhigen, und zum Ucbersluß harie man noch in
letzter Stunde Dragoner commandirt, dre in thren
moderncn Uniformen zur Seite der Pferde einher-
schritten, um etwaige Exlempore derselden sofort
zurückzuweisen. Das allcs hat sich nicht als nöthig
erwiesen.

Nun, nachdem die That vollbracht und wohl-
gelungen, athmet man sceier auf. An der Festhalle,
vor welcher der Zug sich auflöste, standen Dragoner
bereit, um die Pserde tn Einpfang zu nehmeu, die
Wagen u»d Karren wurden weggefahren, dre Mit-
wirkenden zerstreuten sich bald in srohester Stimnrung

*) Virspätet emgetroffen.

im Abgeordnetenhause eine Deutung gegeben,
wie sie kautschukartiger nicht gedacht werden kann
und Herrn v. Hammerstein aus seinen schönsten
Jllusionen reißen mußte. Das von einem hervor-
ragenden Mitgliede des Cemrums inspirirte Haupt-
organ der westfälischen Ultramontanen läßt nun-
mehr kcinen Zweifel mrhr darüber, daß Herr
v. Hammerstein ohne eine cko-ut-ckss-Politik die
Unterstützung des Centrums nicht stnden werde.
Man will nur dann den protestantisch-kirchlichen
Jntereffen Vorspanndienste leihen, wenn die
Conservativen dis weiteren Forderungen des
Centrums für die Freiheit der katholischen Kirche
unterstützen. Zu dresen Forderungen gehört aber
zunächst die der Nückberufung der Jcsuiten.
Das Eentrum hält eben die Zulaffung des katho-
lischen Ordenslebens zu der kirchlicken Freiheit
gehörig, welche es von Gottes und Rechts wegen
verlangen kann. Damit werden die Herren
v. Hammerstein und v. Kleist in eine sehr unange-
nehme Lage gebracht, zumal nach der Stellung, die
sie kürzlich in sehr demonstrativer Weise in ihrem
Hauptorgan gcgen den Papst und die katholische
Kirche zu nehmen sür angebracht hielten. Es wird
ja demnächst über die Grundzüge einer weiteren
Reform der Maigesetze Näheres verlautcn; doch
würde es uns Wunder nehmen, wenn dabei
auch etwas über die Rückberufung der
Jesuiten verlautete. Herr Windthorst wird sich
aber keineswegs die Gelegenheit nehmen laffen,
dieselbe im Parlament zu heantragen. Dann
werden die Hochconservativen Farbe bekennen müffen.
Man kann sich denken, wie sie sich alsdann aus der
Affäre ziehen werden; sie werden dieselbs motivirte
Tagesordnung vorschlagen, die ihnen bei ähnlichen
Anlässen wiederholt gute Dienste geleistet hal. Man
halte es nicht für opportun, in einem Moment einen
solchen Antrag zu unterstützen, wo die Regierung
aus diplomatischem Wege über eine weitere Reviston
der Maigesetze verhandelt. Das Centrum pflcgt
aber solchen platonischen Sympathiebezeugungen
aegenüber sich sehr kühl zu verhalten, und Herr
Wmdthorst wird in ähnlicher Weise seine Sym-
pathien für den Antrag Hammerstein bcthätigen.

Zur Nachwahl in Lauenburg
hat bekanntlich die Socialdemokratie einen beson-
deren Candidaten in der Person eines Herm
Molkenbuhr aufgestellt. Derselbe erschien in vori-
ger Woche in Mölln und soll dort Versammlungen
in kleinen Cirkeln abgehalten haben. Zu Sonntag
sollte eine große Versammlung in Mölln stattstnden.
AmFreitag erschien jedoch derLandrath v. Dolega-
Kozierowski tn Mölln. Gleich nach seiner An-
kunft fanden ii Mölln an verschiedenen Stellen
Haussuchungen stati, über deren Nesultat nichts be-
kannt ist. Die Versammlung wurde abgesagt, auch
die Schriften, welche Herr Molkenbuhr mit sich führte,
sollen confiscirt sein. Durch dieses Einschreiten ist
im Wahlkreis eigentlich erst Jntereffe an der Wahl
in weitere Kreise gebracht worven. Bis jetzt ist von
keiner der Parteien viel geschehen. Die Conserva-
tiven wirken besonders durch ihre Hamburger Blätter
und den „Reichsboten"; übrigens haben sie in
den großen Gutsbezirken eine große Stimmenzahl
sicher. Das früher freisinnige Hauptblatt des
Wahlkreiscs ist im vergangenen Jahre für einen
hohen Preis von einer Lübecker Firma gekauft worden
und hat jetzt eine rechts-nationalliberale Richtung;
für die Freffinnigen wirkt im Wahlkreise besonders
das „Deutsche Reichsblatt". Die Mehrzahl der
selbstständigen und selbstthätigen Bevölkerung in
Stadt und Land, die Bürger, Hofbesitzer, Hufner
und kleinen Landwirthe sind freisinnig. Jhr Can-
didat ist Kammerrath Berling, deffen langjährige
Thätigkeit in Stadt und Land anerkannt ist. Nur
Ratzeburg, der Sitz des Landraths und mehrerer
Behörden, ist vorwiegend. conservativ. Ratzeburg
ist auch der Hauptsitz des Nationalliberalismus;
nach dem heuttgen „Reichsboten" soll derselbe im
ganzen Wahlkreis nur über 20 bis 30 Stimmen
verfügen. Äei der Wahl des Grafen Herbert Bis-

über das Gelingen. Dies brachte unbeabstchtigt
einige Stunden heiteren Sommer-Carnevals in die
Feststadt. Die Straßen derselben, noch völlig gefüllt
von den vielen Tausenden der Zuschauer, belebten
sich mit den Vertretern aller Jahrhunderte. Einige
Hofdamen des Jagdzuges, den kleinen Dreistutz
kvkett auf dem Puderkopf balancirend, in be-
treßtem Wamms und langem Reitkleide, schlender-
ten durch die Hauptstraße, Troßbuben, Jagdgesellcn,
Mönche, denen jetzt der auf die Na>e geklemmte
Augenzwicker eher ziemte, als im Zuge, wo er
etwas anachronistisch wirkte, führten die frommen
Jungfrauen in langen, weißen Wollengewändern,
Rojenkränze im Haar, welchc die Madonna ge-
tragen und begleitet hatten, am Arm und suchten
unter Lachen und Scherzen ein Erfrischungs-
lokal aui, freilich vergeblich, denn da gab
es nirgends das kleinste Plätzchen; man war
froh, ein Viertel Wein, ein Stück Fleisch zu
erhalten, um es stehend zu verzehren. Eine Edel-
dame aus der Zeit Otto Heinrichs in braunrother
Scklepprobe, mtt Gold gestickt, eine Gestalt der Re-
naissance, ließ die lange Schleppe durch einen
Knirps von Leibpagen tragen, Äürgerfrauen, Win-
zerinnen, fürstliche Damen suchten ungenirt den
Weg, und zwar nicht den nächsten, nach Hause.

Weit zahlreicher und munterer noch waren die
Männer in den Straßen, die mittelalterlichen Helle-
bardiere, die Reisigen, Herolve aus dem Troß
Nuprechts, die Krieger Friedrichs des Siegreichen,
Edelknaben und Höflinge. Jener ersteren Kostüme
ftelen jetzt, wo man sie genauer betrachten konnte,
durch ihren Reichthum und ihre Echtheit noch
günstiger aus, die geschlitzten Wämmser, die Pluder-
hosen, dis Schlapphüte, alles aus derben, strumpf-
farbigen Stoffen, hatten durchaus nichts Masken-
haftes, und manche vreite Schmarre über Stirn und ^
Äackcn war sogar natürlich! Nüstungen undSchienen- j
panzer hatte man abgelrgt, aber manches Hemde, j
manche Kappe aus eisernem Ringelgcflecht präsen- E
tirte stch noch. Selbst ein gelbgrauer, alsPanther -

marck hat er zu derselben im Jahre 1884 jedoch
noch etwa 150 Stimmen gestellt.

Ueber die Stellung des euglische« MinistermmS
gegenüber den gedrohten Angriffen Gladstone's
jchreibt die „Times": „Wenn Lord Salisbury's
Regierung alsbald mit prompten und kräftigen
Maßregeln zur Wiederherstellung der Ordnung in
Belfast hervortritt, so wird das die Stellung der
Regierung gegen dieangedrohten AngriffeGladstone's
und der Gladstonianer und Parnelliten in hohem
Maße befestigen. Nichts könnte der conservativen
Partei in unb außer dem Hause mehr Verstärkungen
zuführen, als die Erncuerung von Obstruction im
Parlament und die Verschleppung der Äewilligung
der von Gladstone's Regierung selbst vorgeschlagenen
Etats, es sei denn dieWiederaufnabme des„Dynamit-
krieges" oder ein neuer terroristischer Feldzug und
die Parole „keine Pacht". Lord Hartington's Rede
letzte Woche hat die Gladstonianer entmuthigt.
Es ist daher höchst wahrscheinlich, daß,
falls die Minister sich beharrlich weigern,
das Parlament wieder in diesem Jahre
einzuberufen, wir nichts mehr von der schreck-
lichen Feuerprohe hören werden, welcher die Tories
unterworfen werden sollen. Mr. Parnell's Partei
hat wiederum durch die in Dublin gefaßte Reso-
lution bekannt gegeben, daß die geschlaaene
Homerule-Bill das unreducirbare Minimum ihrer
Forderungen ist. Das zeigt, daß eine Combination
zwischen Gladstonianischen Parnelliten und liberalen
Unionisten eine moralische Unmöglichkeit ist. Lord
Salisbury's Regierung ist thatsächlich einer
Majorität sicher, wenn sie nicht einen verhängniß-
vollen Fehler begeht, der einen großen Sturm
heraufbeschwört."

Vorläufia hat sich gestern das UnterhauS
bis zum 19. Äugust vertagt.

SchatzamtS - Ueberschüffe

kommen selbstverständlich in europäischen Staaten
nicht vor, wohl aber bei dernordamerikanischen
Republik. Da dort die Schatzamts-Ueberschüffe
mehr als 180 Millionen Dollars betragen, sell der
Präsident beschloffen haben, dm Betrag der ein-
zulösendenBundesobligationen zu erhöhen.
Bisher wurden 4 Millionen 3procentige monatlich
eingelöst; jetzt sollen bedeutend mehr, nach einigen
Mittheilungen 15 Millionen monattich, zur Ein-
lösung gelangen.

Deutschlaud

H Berli», 11. August. Aus Salzburg von
gestern wird gemeldet: Der Kaiscr Wilhelm und
Prinz Wilhelm sind heute Nachmittag 5 Uhr hier
eingetroffen. Dieselben begaben sich, auf dcm Bahn-
hofe von den Spitzen der Behörden ehrfurchtsvoll
empfangcn, alsbald in das Hotel zum „Europäischen
Hof", woselbst die Frau Großherzogin von Sachsen
sich zur Begrüßung eingefunden hatte. Um 5V»
Uhr findet ein Diner ftatt.

Berlin, 10. August. Einige Blätter ver-
breiten das Gerücht, datz der aus Berlin aus-
gewiesene Abg. Singer rn Kiel ein Fabrikgeschäft
etabliren und als Geschäftsführer deffelben den im
Freiberger Socialistenprozeß zu sechs Monaten Ge-
sängniß verurtheilten Schneidermeister Heinzel an-
stellen wolle. Diese Nachricht ist unbegründet. Herr
Singer beabsichtigt die Errichtung eines neuen
Geschäfts nicht; es könnte sich in Kicl höchstens um
die Gründung eines solchen für den Schneider
Heinzel aus den Mitteln des Herrn Singer handeln.
Dieser hat sich bereits für viele seiner Parteigenoffen
als Wohtthäter bewährt und besonders viel dazu
beigetragen, den aus Berlin ausgewiesenen Familien-
väiern eine neue Extstenz an dem Orte ihres neuen
Wohnsitzes zu begründen. Auch das Geschäft eines
hiesigen bekannteren Parteiführers, der ehedem im
Handwerk thätig war, soll von Herrn Singer
errichtet worden sein, der solchen Handtungen einen
großen Theil der Sympathien verdankt, die ihm
von seinen Parteigenvffen entgegengebracht werden.

geschminkter Hund, mit breiten sckwarzen Streifen
Uber demRücken, aus demBacchurzuge folgte seinem
als Silen vermummten Herrn. Das war hier ja
alles so selbstverständlich, so natürlich, daß diese
carnevalistische Straßenstaffage garnrcht mehr auf-
fiel. Uebrigens werden die Kostüme noch einmal
am nächstcn Sonntage hervorgesucht und getragen
werden. Zum Dank für die viele Mühe haben die
Veranstalter alle Theilnehmer zu Sonntag Abend
auss Schloß geladen. Dort, wo alle Jahrhunderte,
die sie dargestellt, architectonisch zu höchster künst-
lerischer Erschetnung kommen, sollen sich Schloßhof,
Söller, Hallen, Säle, Treppen im Glanze inten-
siver Äeleuchtung beleben wie zu Zeiten der Burg-
herren. Nur wird den Geladenen gestattet, Karten
für 3 Mark zu lösen und an Angehörige zu ver-
theilen, wodurch allerdings ein moverner Zug in
das Gesammtbild kommt.

Es war fast 6 Uhr geworden, da begann ein
feiner Regen aus dem schncll aufgestiegenen Gewölk
herabzustäuben, der immer stärker wurde und das
bunte Straßenleben schnell wegstörte. „Der deutsche
Kronprinzhatuns das schöneWetter gebracht", sagten
die Leute, „kaum hat er uns verlaffen, gleich regnet's."
Nicht nur den äußeren Festsonnenschein halte die
Heldengestalt des Kaisererben uns gebracht, auch
den inneren, der Geist und Gemüth erleuchtei und
erwärmt. Was er gesprochen, wie er mit Gelehrten,
Studenten, Bürgern verkehrt, dort ernst, würdig.
bedeutungsvoll, hier heiter, zwanglos, gemüthlich,
das hat ihn immer, wo er erschien, zum Mittelpunkt
des Festes gemacht.

Studenten hatte man vor Freitag Nachmittag
nur wenig auf den Straßen gesehen. Sie waren
von anderen Dingen in Anspruch genommen. Jedes
Corps, jede Verbindung veraiistaltete mit ihren
Gästcn und alten Herren in eintgen freien Stunden
der Festwoche ein Liebesmahl. Die Corps thaten
sich da durch besonderen Aufwand hervor, den zwar
meist die altcn Herren bestritten. Zu den allgemeinen
Kosten der Festzeit war von jedem Coips von den

Anbei bemerkt, ist es unrichtig, daß Herr Singer
durch seine Ausweisung materiell nicht ge-
schädigt worden sei; er hat vielmehr auf einen
erheblichen Theil seines Gewinnantheils auS dem
von ihm in Gemeinschaft mit einem Bruder und
einer dritten Persönlichkeit betriebenen Confections-
geschästs für die Zeit verzichten müffen, die er
durch die Ausweisung für daffelbe thätig zu sein
verhindert ist.

* sGedenkblatt für Prinz Friedrich Karl.) Das
Jnfanterieregiment Prinz Friedrich Karl von
Pnußen (8. brandenhurgisches) Nr. 64 hat seinem
veiewigten Chef ein literarisches Denkmal durch ein
Gedenkblatt gesetzt, wetches dem Namen des
beimgegangenen Feldherrn eine Huldigung in
sinniger Form darbringt. Von dem Gedanken auS-
gehend, alle von hervorragenden Blättern des Jn-
und des Auslandes gebrachten Publicationen, die
sich auf das Leben und Wirken des verewigten
Prinzen beziehen, in einem Rahmen zusammen zu
faffen, hat das Regiment mit Sorgfalt alle Bei-
träge, in denen die Geschichtsschreibung der Zeit den
Tod des Heimgegangenen betrauert und in wclchen
die dichterische Muse der Klage um seinen Ver-
lust Ausdruck gegcben, gesammelt und zu
einem ftattlichen Bande vereinigt. Derselbe enthält
auch die Nekrologe, Lebensbilder, Nachrufe, Denk-
schriften und Betrachtungen rc., die in der Tages-
vreffe Oesterreich-Ungarns, Rußlands, Frankreichs,
Italiens, Englands, Ämerikas, der Türkei,
Schwedens, Hollands, der Schweiz, Rumäniens,
Spaniens, Portugals u. a. dem Andenken des
Prinzen gewidmet wurden. Am 15. Juni, dem Todes-
tage des Prinzen Friedrich Karl, sind die ersten
Exemplare des Gedenkblattes dem Kaiser, dem
Kronprinzen und dem Prinzen Friedrich Leopold
überreicht worden. Der Einband dieser in huld-
vollstrr Wcise angenommxnen Exemplare ist in
schwerem schwarzen Sammet, den reiche Silber-
heschläge zieren. Um die Verbreituna des Gedenk-
blattes in weitercn Kreisen möglichst zu fördern,
heabsichtigt das Regiment eine öffentliche Heraus-
gabe deffelben im Selbstverlage.

* Bei den befrrundeten Beziehungen Deutsch-
lands zu Oesterreich ist es eine auffällige Er-
scheinung, daß in Böhmen neuerdings die Ver-
wendung von Fahnen mit den deutschen ReichS-
farben Schwarz-Weiß-Roth bei Festen untersagt
wird, an denen Vereine aus den deutschen Grenz-
orten theilnehmen. Bei dem Feste deS vierzigjäh-
rigen Bestehens des Männergesangvereins in Fried-
land in Äöhmen waren beim Einzug der deutscherr
Vercine zahlreiche Häuser mit Fahnen in den deut-
schen Neichssarben geschmückt — auf amtliche An-
ordnung wurden dieielben aber sofort entfernt,
während noch die Festtheilnehmer in Friedland
weilten, was begreiflicherweise große Verstimmung
hervorgcrufen hat. Noch bei dem Reichenberger
Turnfeste konnten reichsdeutsche Fahnen anstandslos
gehißt werden.

* Wiemandem „Rhein.Cur." aus Schlangen-
bad mittheilt, ist der Aufenthalt der Kaiserin
dortselbst gegen den früheren Plan um acht Tage
verlängert worden.

* lSind künstliche Beeinflnffnngen der Conrse straf-

bark) Der diesjährigc Juristentag, der im Septemoer
in Wicsbaden stattfinden soll, wird ir a. die Frage in
Berathung nehmen, ob gesetzlich mit Strafe und eoentuell
mit dem Vcrlnfte der bürgerlichcn Ehrenrechte zu be-
drohcn ist, wer in betrügerischer Absicht auf Tduschung
berechnete Mittel verwendet, um auf den Cours von
Effecten oder den Marktpreis von Waaren emzuwirken.
Jn einem Falle dieser Art ist bereits ein verurtherleudes
Erkenniniß ergangen, wclches nach erlangtcr Rechtskmft
der preußische Justizminister dcn ihm untergebenen Be-
hörden mitgethcilt hat. Es handelte sich nämlrch um die
Frage, inwiefern derjenige strafbar sei, der an der Borse
durch fingirte Geschäfte eineBceinflufsungderPreis-
notirungen versucht. Zwei Berliner Speculanten hatten
versucht, den durchschnittlichcn Preis des auf den letztcn
Wochentag eines Monats fallenden Kündigungstages
durch Anmeldung verschiedeuer Lieferungsgeschäfte bei dcm
Börsen-Eommiffar zu beeinflussen. Dieselben wurden
wegen veisuchten Betruges gemäß 88 263 und

theilnehmenden alten Brüdern dcffelben eine Steuer
erhoben worden, verschieden nach den Ansprüchen
und Gewöhnungen. So hatten z. B. die alten
Herren der Schwaben 21 Mk. beigetragen, während
die Saxo-Boruffen die ihrigen mit 100 Mk. be-
steuerten. Jm Laufe der letzten Jahre ist jedes
Corps in den Besitz eines eigenen Hauses gekommen,
meistentheils ebenfalls durch die Unterstützung der
älteren Mitglieder. Man hat zu dem Behufe den
Ankaufspreis in Acticn von nicht hohem Betrage zer-
legt, von denen die alten Herren je nach Vormögen
eine Anzahl übernommen haben. Auf einem Vor-
sprung am Wege zum Sckloß hinauf erhebt sich das
hübsche Renaiffance-Schlößchen der Westfalen, aus
rotbem Sandstein erbaut, mit Thürmchen, Erkern,
Balconen und steilem Giebeldach; die Schwaben be-
sitzen in der Nähe einen kleineren Bau mit geräumi»
gem Gesellschastssaale und einigen Nebenräumen;
die Saxo-Borussen sind die ersten, welche sich in
Heidelberg ein festes Heim geschaffen baden. Jn
dicser Festzcit nun waren selbstverständlich alle
etwaigen Differenzen und Gegensätze zwischen den
einzelnen Gruppen aufgehoben, alle Schranken be-
seitigt, jeder Student stand auch mit dem fremdesten
Collegen auf Grußsuß, überall sah man die Cou-
leuren in freundlichstem Verkehr und alle Gäste der-
selbcn liebenswürdig aufgenommen.

Die Hauptfeierlichkeit und gewiffermaßen den
Schlußact des Jubelfestes bildete der großeCommers
am Abend des Freitag. Die ungeheure Halle mit
ihren langen Tafelreihen war fast gänzlich von
hiesigen Studenten und deren Gästen in Anspruch
genoinmen, nur wenige Hunderte anderer Fest
besucher hatten Einlaßkarlen erlangen könneri.
Wieder nahm die Halle bei elektrischer Belenchtung
sich ganz imposant aus. Das endlose Tonner-
gewölbe, das sie überspannte, ist als blauer,^ be-
sternter Himmel decorirt und erscheint dcshalv
luftiger, höher; die Blendbogen, die diescn ephemereu
Basilikenbau rings uniziehen, machen ihn t-ic
das Auge' weiier, da ste die abschließmdcn
 
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