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Abeud-Ausgabe.

28. Jahrgaug.

Freitag, 6. August.



-rurhme sou Sourtrg AbmÄ uud Moutag früh. — BrstrLuLge» werÄeu irr der Etpeditioru Ke»t>
uus AuslcurdeZ MMkommea. — Preis prs Quartsl 4.5-4 dvrch die Pofi brzogeu ö — Iuserat
»Düuziger Zeituug" rrermittelt Jllsertionsausträge SN alle auswürtiges Zeitllugeu z« OriginalpreVe».

Das Heidelberger Jubiläum.

Heidelberg, 4. August. Die sämmtlichen stud en-
tischen Corporationen unter Theilnahme vieler
alten Herren brachten heute Abend um S Uhr dsm
Großherzog als Ueotor waAmüoslltstsimos einen
großartigen Fackelzug rnit allem studentischen
Pomp. Ueber 20tX) Fackeln und sechs Musikcorps
befanden sich in dem Zuge. Auf dem Balkon und
an den Fenstern des Nathhauses waren der Groß-
herzog, die Großherzogin, der Kronprinz und die
anderen Fürstlichkeiten, ferner der Prorector und die
Notabilitäten versammelt. BeimVorbeizieben wurden
den Allerhöchsten Herrschaften enthustastische Huldi-
gungen dargebracht. Der Großherzog dankte dem
Äusschuß in den wärmsten Worten.

Der Kronprinz ist um 10 Uhr abgereist; der
'Großherzog, die Großherzogin, die Prinzen und
zahlreiche Notabilitäten gaben demselben bis zum
Bahnhof das Geleit. Als der Zug stch in Bewegung
setzte, brachte der Oberbürgermeister ein dreifaches
tzoch auf den Kronprinzen aus. (W. T.)

— 5. August. Heute Vormittag fanden in der
Heiliggeistkirche dieEhrenpromotionen statt. Um
d Uhr betraten unter Orgelklang der Großherzog
und die Frau Großherzogin. be 'leitet von sämmt-
lichcn ani Feste theilnehmei --en sltotabilitäten, das
Gotteshaus und nahmen ilre Sitze am Ende des
Mittelschiffes vor der Nedneckanzcl ein. Nachdem
das große Klopstock'jche Hallelujah, welches vom
akadcmischen Mustkdirector Wolfrum für Chor und
Orchester eingericktet und der Universität zugeeignet
worden ist, verklungen war, betrat der Prorcctor
Bekker dic Nednerkanzel und hielt eine Ansprache,
in wclcher er sich über den tieferen Stnn, der in
der Verleihung der höchsten akademischen Ebren
liege, verhreitete. Hieran schloß sich die Ver-
kündigung der Ehrendoctoren durch die Dekane der
vier Facultäten.

Es sind zu Ehrendoctoren ernannt worden: in der
theologischen Facultät: Der Großherzog, v. Stößer,
Präsident des evang. Kirchcnraths, Prof. Cornill-Mar-
burg, Hsfprediger Helbing-Karlsruhe, Dckan Zittel-
Karlsruhe, Kirchenrath Schringer-Karlsruhe, Buis,
Pfarrer in Glarus. Jn der juristischen Facultät: der
Erbgroßherzog. Frbr. Bedens in Siebenbürgen. Rudolf
v. Bennigsen. Geh. Justizratb Dorn-Leipzia, Landgerickits-
director Kiefer-Constanz, Oberfiuanzrath Koch-Berlin,
Piofessor R. Schöll-München, Senatspräsident v.Siößer-
Karlsruhe, Professor Stubbs-Oxford, Henry Taine von
der Academic francaise, Professor Willems Löwen Prof.
der Geschichte Winkelmann-Hcidelberg.vr.Zeumcr-Bcrlin.
Jn der medizinischen Facultät: Graham-Bell
Wasbington. Professor Chevreul-Paris, Profeffor
v. Baher-München, Staatsminister Jolly-Karls-
ruhe, de Mariqnat - Genf, Baron Nordenskjold-
Stockholm, Profeffor von Richtbofen - Berlin, Professor
der Cbemie Roscoe-Manchester. Werner Siemens-Berlin,
Prof. Sir William Thomson-Glasgow, ProfessorToeplez-
Dresden, Hauchecorne, Director der Bergakademie in
Berlin, und Capasso, Superintendent der italienischen
Staatsarckive. Jn der philosophischen Facultät:
Brioschi, Präsident der Academia dei Lincei-Mailand,
Prof. Cayley Cambridge, Prof. Caperro-Neapel, Prof.
Cope - Pbiladelvhia, de Candolle - Genf, Oderbaurath
Durm, Restauratenr der Universttät Karlsruhe. Oberst-
Lieutenaut im Generalstabe Max Jähns-Berlin, Prof.
Robert Koch-Berlin, Prof. Marlch-Newhaven (Amcrika),
Prof. Simon-NewcombslAmerikah Prof. Powell-Amerika,
Prof Sweet-London, dcr päpstliche Bibliothekar Enrico
Steoenson Sobn-Rom, Prvf. I. W. Strutt-England,
Lord Rayleigh-England, 1>r. Toepke-Heidelberg. Prof.
Pflüger-Äonn, Prof. Pegorini-Rom und Staats-
Minister Turban.

Als der Name des Großherzvtzs verkündigt
wurde, sagte Dekan Baffermann dre Ehrenpro-
rnotion begründend: „Einem Fürsten fromm und
mild, einem cchtcn Theologen, deffen weise Negie-
rung die Landeskirche gcstürkt und ihr den Frieden
gebracht hat, — dem Schöpfer der Kirchenver-
faffnng, — dem Fttrsten, der durch das, was er ist

Die Heidelberger Jnbelfeier.

II.

L Heidelberg, 3. August.

Am gestrigen Montage hat die Jubelfeier
ihren Anfang genommen. Doch war der Tag aus-
gefüllt mit dem Empfange der Festgäste an den
Bahnhöfen. Bunt genug sah es dort aus. Gruppen
von Corpsstudenten, Burschenschaftern und Ange-
börigen freier Vereinigungen, alle in vollem
Farbenschmuck, wartelen auf liebe Freunde aus der
^erne, auf alte Herren ihrer Verbindungen, auf
sonstige Bckannte, die herzlich begrüßt und in die
Empfangshalle geleitet wurden, wo man sie mit
Festkarten, Legitimationen aller Art ausstattete.
Unsere Taschen wurden vollständig gesüllt mit
Emtrittskartcn zu der Festhalle, zu den Feierlich-
keiten in der Kirche und in der Aula, zum Fest-
effen im Museum, bei dem man den Großberzog
und seinen kaisertichen Schwager zu sehen hofft, zu
dem Abendfeste auf dem Schloffe und zu allen
Veranstaltungen, welche den Jnhalt dieser Tage
bilden sollen. Nur für Tribünenplätze zum Festzuge
hat man selbst zu sorgen, weil diefer mit der
akademischen Feier nur mittelbar zusammenhängt,
eme frrie Veranställung der Bürgerschaft ist.

Erst der Abend ladet uns in die Festhalle zur
seierlichen Begrttßung aller Festgenoffen mit Rede
und Gesang. Da finden wir denn genügcnd Zeit,
den Tag der entzückenden Umgegend zu widmen.
Zum Schloß führt uatürlich unser Weg zuerst htu-
auf. Jmmer wieder sagt man sich, wenn man von
der aroßen Tcrraffe hmabblickt in die herrliche
Landschaft, die fern am Holizonl« durch bie blauen
Linien des Haardkgebirgc's elngesäumt wird, daß
auf deutscher Erde wobl kaum ein schönerer Punkt
M fmden sein dürfte. Alles erscheint bier wie künst-
terrsch geordnet und dabei doch sa srisch und heiter,
so roniantisch geflimint, daß alle Bewunderung sich
sosort jn Empfindung umsetzt. Es waren ja die
waldrgen Berge, welche bas Neckarthal eng um-
schlleßen, die blinkeuden Bänder der Flüffe, die
Ausschau und die goldig beleuchtete Rheinebene
immer von höchster landschaftlicher Schönheit. Nun
lagert sich zur Seite in halber Höhe der Wald-
berge auf brclter Bodenterraffe Lie malerischste

und was er gelhan hat, auf der Höhe jenes Pfalz-
grafen steht, dem die Geschichte den Bemamen des
Frommen gegeben hat." Der Großherzog hatte sich
erhoben, ats der Dekan Baffermann das Wort an
ihn richtete und verneigte sich am Schluffe von
Baffermanns Worten vor den in der Kirche Ver-
sammelten, die sich insgesammt von ihren Sitzen
erhoben hatten. Die Dekane aller vier Facultäten
hatten, bevor sie die Doctorpromotionen verkündeten,
die allgemeinen Gestchtspunkte entwickelt, nach welchen
bei der Auswabl von ihnen verfahren worden
sei. Mit einem Satz aus Händel's „Tedeum" und
unter Orgelklang schloß die Feier. Der Großherzog
und die Großherzogin hielten darauf noch einen
Cercle ab. Der Großherzog dankte dabei dem
Dekan Baffermann für die ihm durch die Promo-
tion zum Doctor dcr Theologie zu Theil gewordene
Ehre, er werde dieselbe für dle Jahre, die ihm noch
vergönnt seien, erst ganz zu verdienen bestrebt sein.
Die Frau Großherzogin sprach dem Dekan der
juristischen Facultät, Pros. Schulze, ihre große
Freude über die Ernennung des ErbgroßherzogL
zum vr. jiio. aus.

Heute Nachmittag fiudet im Schlosse in Karls-
ruhe Empfang und Diner der Delegirten und
Ehrengäste statt, die sich mittelst Extrazuges dahin
bsgebeu; es siud gegen 400 Einladungen ergangen

Poliüsche Ueberficht.

Danzig, 6. August.

Das Urtherl in dem Freiberger Socialistenprozcß
liegt jetzt ausführlich vor und verdient wegen seiner
principiellen Bedeutung dte Aufmerksamkeit aller
politischen Parteien. Aus den Entscheidungsgründen
geht zunächst hervor, daß die Verurtheilung nicht
auf den in der Anklage auch herangezogenen Z 128
des Neichsstrafgesetzbuchs, der geheims Ver-
bindungen für strafbar erklärt, sondern nur auf
8 129 gestützt ist. Derselbe lautet: „Die Theil-
nahme an einer Verbindung, zu deren Zweckcn
oder Beschäftigungen gehört, Maßregeln der Ver-
waltung oder die Vollziehung von Gesetzen durch
ungesetzliche Mittel zu verhmdern oder zu ent-
kräften, ist an den Mitgliedern mit Gefängniß bis
zu cinem Jahre, an den Stiftern und Vorstehern
der Verbindung mit Gefängniß von drei Monaten
bis zu 2 Jahren zu beftrafen."

Das Chemnitzer Gericht hatte' seiner Zeit bei
seinem freisprcchenden Urtheil angenommen, daß zu
dem Begriff einer „Verbindung" die ausdrückliche
Erklärung, sich demGesammtwillcn der Verbindung
unterzuordnen, gehörs. Das Neichsgericht harte
dann im Gegensatz dazu entschieden, daß diese
Unterordnung unter den Gesammtwillen auch auS
concludenten Handlungen geschloffen werden
kvime. Der Gerichtshof in Freiberg hat dann in
Uebereinstimmung mit dem Gericht in Chemnitz er-
kannt, daß eine allgemeine Verbindung der
Socialistenpartei, welche im Sinne des Straf-
gesetzbuchs u»d des Reichsgerichts als Verbinoung
betrachtet werden könne, nicht nachgewiesen sei.
Daß die Angeklagten aber eine „Verbindung" im
Sinne des 8 129 des R.-St.-G.-B. gebildet, dafür
sieht der Gerichtshof den Beweis in der fortgesetzten
shstematischen Verbreitung des „Sozial-
demokrat" und in der Theilnahme an dcn Con-
greffen zu Whden und zu Kovenhagen.

Man schreibt uns Larüber aus Berlin: „Jn
den hiesigen politischen Kreisen ist natürl'ch das
Urtheil in dem Freibergcr Soeialistenprozeß das
Gespräch des Tages. Der Eindruck, den dassclbe
bei seinem Emtreffen am gestrigen Äbend gemacht
hat, war ein geradezu verblüffender. Gam allge-
mein, von Anhängern der verschiedensten politischen
Richtungen, war die Frcisprechung der Angeklagtcn,
wie in Chemnitz, erwartet worden. Auch das

und imposanteste Halbruine des Schloffes, zu Füßen
folgt dieStadt der langen Thalgaffe desFluffes. Das
stnd ja die großen Momente, die jeden Besucher
enizücken. Diesmal aber haben wir Zeit, um alle
Einzelschönheiten aufzusuchen, den Schloßwald zu
durchschlendern in allen Richtungen. Da sieht man
erst, wie umfangreich und ftolz die Anlage der Re-
sidenz der pfälzischen Kurfürsten einst gewesen, wie
glücklich sie den waidigen Baugrund benutzt hat.
Futtermauern für kleine Terraffen, Grotten,
Zwinger, Thurmstumpfe, Treppen, Brunnen, allerlei
Sculpturenwerk, Balustraden und zerfallende Pforten
liegen, von Waldgebüsch überwuchert, von Sckliug-
gewächs umsponnen, überall verstreut, jeder kleine
Vorsprung, jeder Kesielgrund, jede natürliche Bastion
ist mit solchem Trümmerwerk ausgestattet, deutsche
Wald- und Bergromantik dringt dieser wrmderbaren
Landschaft aus allen Poren, immer tiefer verlieren
wir uns bei dem ziellosen Schlendergange ins
Dickicht deS mit altem Steingebild durchsetzten
Parks, bis dann hier und dort das Dunkel stch
Plötzlich klärt und ein freier Ausblick in die Weite
den Schritt feffelt.

Es ist neuerdings davon die Rede gewesen,
einzelne Theile des Heidelberger Schloffes wieder
berzustellen. Wir würden uns solcher Neueruna
kaum freuen könuen. Gewiß ist die Zerstörung einst
eine furchtbare Brutalität, ein Act barbarischer
Nohhcit gewesen. Das alte Schloß hätten wir gern
in seinem ungebrochenen, nur von dem Steinrost
der Jahrhunderte gedämvsten Glanze gesehen. E-
hat ieincr Zeit cinem üppigen fürstlichen Hofhalt
als Stätte gcdient, und dieser Zweck ist durch die
großartige Änlage des Ganzen würdig zur Er-
scheinung gekommen. Jetzt stimmt die Nnine weit
besser in dieses romautische Wald- und Bergidyll,
als es ein neu erstehendes/ keinem ausgesprochenen
Zwccke dienendes Rcsidenzschloß Ihun würde. Denn
neues Leben ist auch aus diesen Ruinen gswachsen.
Die stuüirende Jugend stndet nirgend anoerswo so
anziehende Tummelplätze ihrer Lust, heute gehört
Schloß Heidelberg ihnen und der ganzen Welt;
man sollre uns diesen kostbaren Besitz nicht schmälern
oder gar rauben.

Das Schloß mil'seincnJnnenräumen, den Gc-
wölben, Söllern, Ausguckthürmchen ist augenblicklich

Strafmaß hat nicht wmig überrascht. Der erste
Gedauke, der sich geltend machte, war der, daß nun-
mehr jede politische Partei als geheime Verbindung
vor den Richterstuhl gefordert werden könne. Die
heutigen Zeitungen begnügen sich zumeist mit
der Wiedergabe der Urtheilsmotivirung, sie wollen
eine Besprechung derselben erst später nachbrtngen.
Nur die „Germania" enthält ein kurzes vorläufiges
Raisonnement darüber, worin sie das Freiberger
Urtheil im Effect niit den Diätenprozeffen gleichstellt.
Sie gesteht auch zu, daß die systematische Ver-
breiiung einer Zeitung, die Theilnahme an ciner
Parteizusammenkunft, von welcher die Oeffentlichkeit
erst nachtrüglich Kenntniß erhält, Momente sind,
die auch bei anderen Parteien zutreffen können.
AllerdingS würde dazu gehören, datz andere Parteien
Maßregeln der Verwaltung oder die Vollziehung
von Gesetzen zu verhindern oder zu entkräften bestrebt
sind. Äber was darunter zu verstehen sei, wird
von dem iubjectivem Ecmeffen des jedesmaligen
Richters abhängen, und das könnte in einer politisch
so bewegten Zeit, wie die gegenwärtige ist, doch zu
sehr bedenk'ichen Consequenzen für andere Parteien,
die in der Opposition stehen, führen. Daß dort, wo
Nechtsanschauimgeri bestehen, wie diejenige, welche
zur Verurtheilung der socialdemokratischen Führer
m Freiberg geführt bat, noch keine Anklage aus
8 128 oder doch aus 8 129 Str.-G.-B. gegen den
bekannten „deutschen Antisemiten-Bund" er-
folgt ist, kann Wuuder nehmen. Denn mit einer
Heimlickkeit, die das unverkennbare Kennzeichen
jeder schlechten Sache ift und die in diesem Falle
selbst das Maß derjenigen überragt, mit
der die unter dem Ausnahmegesetz stehende
Socialdemokratie zu operiren gewungen ist.
wenn sie sich nicht seibst das Todesurtheil
sprechen will, be^eibt jene Verbindung dunkler
Ehremnänner ihre Agitation. Sie vermeidet es sogar,
ihre Mitglieder bekamit zu geben, und was sie
treibt, zielt allerdings auf eine Entkräftung der
Vollziehung einzelner Bestimmungen des obersten
Gesetzes, des Staatsgrundgesetzes, ab. Aber für die
Bestrebungen des „deutschen Antisemitenbundes" ist
bisher weder Staatsanwalt noch Richter erstanden.
Aber es ist gewiß, die Freiberger Entscheidung ist
ein Damoklesschwert, das über allcn Parteien hängt.
Es ist nicht zu bezweifeln, daß die Verurtheilten
die Revision beim Reichsgericht einlegen werden; sie
sind dazu nicht nur im eigenen, sondernimallgemeinen
politischen Jntereffe verpflichtet. Nicht als ob eine
VoreingenommenheitdesentscheidendenGerichtshofes
angenommen würde; aber es ist nöthig, daß üher
cine Sache von so großer principiLller Bedeutung
der oberste GerichtShof das letzte Wort spricht.
Eines steht für uns fest: würden bei uns politische
Prozeffe mit Hinzuziehung des Laienelements ver-
handelt, so würde in Freiberg nun und nimmer eine
Verurtheilung erzielt worden sern. Dies selbst dann
nicht, wenn die Geschworenen die entschiedensten
Gegner der politischen Anschauungen der Ange-
klagten gewesen wären."

Dcr Bmrd der Agrarier und Schutzzöllner.

Jn ihren Auseinandersetzungen über den häus-
lichen Streit zwischen Agrariern und Jndustrie-
schutzzöllnern hat die „Nordd. Ällg. Ztg." vor Allem
ihre Hoffiiung darauf gesetzt, daß das Compromiß
zwischen tandwirthschaftlicheii und industriellen Jnter-
Men, auf welchem die 1879 inaugurirte deutsche
Wirthschaftspolitik basirte, durch kletne Meinungs-
verschiedenhetten nicht erschüttert werden könne. Es
ist jedenfalls anzuerkennen, daß das officiöse Blatt
selbst als die Grundlage der seit 1879 herrschenden
Zollpolitik ein Compromiß zwiichen landwirthschaft-
lichen und industriellen Jnteresien bezeichnet; es ist
damit offenbar dasselbe Bündniß gemeint, weiches ge-
wöhnlich mit dem schürferen und zutreffendere" Aus-

dem Besuche nicht zugänglich. Hinter den ver-
sverrten Pforten rüstet man das abendliche Schloßfest
zu, das von der Regierung des Landes der
Universität und den geladenen Gästen gegeben wird.
Da soll, denn die Einzelheiten sind noch Geheimniß,
eine zertrümmerte Baugruppe zu einer großen Fest-
halle gestcütet werden, aus dem Riesenfaffe soll
edles Naß fließen, elektrische und bengalische Be-
leuchtungen sollen die Nacht erhellen. Jedenfalls
dürfte es intereffant werden, den vcrfallenen Bau
für kurze Abendstunden wieder von Festlärm, von
tausenden vergnügter Menschen, von Musik, Gesang
und Reden belevt zu sehen. Für jetzt müffen die
Besucher auf das Schloß vsrzichten, aber sie finden
ja genug in den anderen Theilen der großartigen
Architeciur zu sehen und sinden in der Schioß-
wirthschaft Musik zu allen Tageszeiten. Wollen
wir aber die mächtiae Ruine als wirksame Staffage
des gesammten Landschastsbildes genießen, so trinken
wir unseren Frühschoppen drüben jenseits des
Neckar in demselben Neuenheim, in das die
Studentenschaft einst ausgezogen ist. Da liegen
am Philosophenwege, unmittelbar über dem Fl ffe,
hübsche Biergärten, aus denen wir die Waldberge
mit der malerischen Trümmerstätte vollständig über-
blicken. Neuenheim gehört zu den Liebtingszielen
kleiner Spaziergänge schon deshalb, weil Heidelberg
selbst großen Mangel an hübschen öffentlichen Gast-
gärten hat.

Die drückende Schwüle des Vormittags löste
stch gegen 2 Uhr in einem heftigen Gewitterregen,
der aber glücklicherweise aufgehört hatte, als gegen
4 Uhr Glockengeläut und Böllerschüffe die Ankunft
des Landesfürsten mit seiner Gemahlin verkündeten.
Als üeotor wnxeiLeeitt'ssiilnis wollte er seiner Uni-
versität zuerst einen Besuch abstatten. Vom Bahn-
hof fuhr der Wagentroß, die Spitzen der städtischen
und der Staatsbchörden voran, dann der Groß-
herzog mit seiner Gemahlin, darauf sein Gefolge,
zuerst zu kurzer Besichtigung in die Festhalle und
dann direct zur Universftät, wo der Fürst in der
großen, zu dieser Festzeit prächtig erneuerten Aula
empfangen wurde. Das Volk, die Siudenten, die
wachsende Menge der Gäste, welche die Straßen
und den Platz vor der Hochschule dicht füllten, be-
grüßten daS Herrscherpaar mit snihusiastischen

drucke „Jntereffencoalition" benannt wird. Wenrr
aber die „N. A. Z." dieser noch heute fortwirkenden
Coalition gleichzeitig nachrühmt, daß darin „dte
hauptsächlich erwerbthätigen Stände zu dem Be-
wußtsein der Harmonie aller wirthschastlichen
Jntereffen gelangt seien", so muß dieser Versuch,
allen denjenigen Jndustriellen und Landwirthen,
welche mit der hmtigen Zollpolitik nicht etnver-
standen sind, geradezu das Wort abzuschneioen,
nachdrücklich zurückgewiesen werden. Schon vvr
sieben Aahren hat nur ein Theil der großen
Landwirthschaft und der Großindustrie die
Coalition mitgemacht, und seitdem ist der Wider-
spruch gegen die herrschende Zollpolitik in
landwirthschaftlichen wie in gewerblichen
Kreisen nicht schwächer, sondern von Jahr zu
Jahr stärker geworden. Wie viele Landwirthe
geben heute selbst zu, daß aus der ganzen Ueber-
sülle neuer Zölle für die deutsche Landwirthschaft
doch kein wahrer Segen erwachsen sei! Und dis
Jndustrie? Man lese doch nur in den gerade jetzt
Woche für Woche erscheinenden Iahresberichten der
deutschen Handelskammern die Urtheile über die
Folgen der gegenwärtigen Zollpolitik und speciell
über die verhängnißvollen Consequenzen des i. I.
1879 zu Stande gebrachten Compromiffes. Jn ver-
schwindender Minorität sind die Stimmen aus ein-
zelnen Bezirken der Großindustrie, welche inmitten des
Darniederliegens der Geschäfte ven Glauben an die
Heilkraft einer immer gesteigerteii zollpoiitischen Ab-
sperrung noch festbailen. Es heißt geradezudasGegen-
theil der Wahrheit behaupten, wenn angesichts der
Wucht dieser unwiderleglichen Zeugniffe das officiöse
Blatt noch in die Welt hinausschreibt, daß die
hauptsächlich erwerbthätigen Stände auf Seiten
der herrschenden Wirtbschaftspolitik wären. Em
Pact zwischen landwirthschaftlichen imd industriellen
Sonderintereffen auf Kosten der nationalen Wohl-
fahrt ist das 79er Compromiß, welches die „Nordd.
Allg. Ztg." als Basis der deutschen Zollpolitik
preist, nichts Anderes, und die Einsicht in die Ver-
derblichkeit der allerdings zollpolitisch zur Herrschaft
gelangten Jntereffencoalition bricht stch ja gerade
jetzt mehr und mehr Bahn. Den besten Beweis
dafür liefert Las Verhalten des officiösen Blattes
selbst, welches sich in der Fraze der Zollpolitik
vollständig in eine Vertheidigungsstellunz ge-
drängt sieht.

Persoual-Notizblättrr.

An dm höheren Schulen Preußens sind, wie
dem „Deutschen Reichsblatt" mitgetheilt wird,
„Personal-Notizbläiter" schon seit etwa 10 Jahren
in Gebrauch. Dieselben enthalten neun auszu-
füllende Rubriken, nämlich: 1. Name nebst Vor-
name; 2. Geburts-Zeit und -Ort, Religion (Con-
fession); 3. Ghmnastum, Ort und Datum des
Maturitätszeugniffes; 4. Unrvcrsität, Ort und
Datum des Lehramtsprüfungszeugntffes, event.
Promotion; 5. Angabe der Lehrbefähigung event.
Ergebnisie von Nachprüfungen; 6. Angabe

der Zeit und der Anstalt, wo das Probejahr
abgelegt ist, event. Beschäftigung als Hilsslehrer;
7. Anstellungen, wann, wo, in welcher Stellung,
mit welchem Diensteinkommen; 8. Literarische
Publicationen; 9. Bemerkungen. — Man ersieht
daraus, daß wenigstens in derr Nummern
1 bis 8 dieser „Personal-Notizblätter" sür die
höheren Schulen Preußens lediglich rein amtliche
und unschuldige Nottzen verlangt werden. Die
Nr. S „Bemerkungen" könnte allerdings zu allerlei
Nottzeu über daS politische und ktrchliche Ver-
halten des betreffenden Lehrers gemißbraucht
werden. Aber wie dem „Deutschen Reichsblatt"
versichert wird, war in jener Versügung, durch
welche die Personal-Notizblätter den Directoren zur
Ausfüllung und Rücksendung zugeschickt wurden, in

Zurufen. Der Großherzog erscheint, seit wir
ihn zuletzt vor etwa drei Jahren gesehen, durch
seine Krankheit bedeutend gealtert: Haar und
Bart sind sast weiß geworden, der freundlich
milde Äusdruck des Gesichts jedoch ist ganz derselbe
geblieben. Er trug große Generalsuniform, während
die Großherzogin, welche leichte Sommertoilette
und ein kleines, mit einem großen Blumenzweig
geputztes Hütchen angelegt hatte, strahlend wohl
aussah, sich über die Ovationen der Menge sichtlich
sreute und dafür lebhaft dankte. An dem stattlich
in größter Gala vor der Pforte wachehaltenden
Pedell vorüber schritten in lebhafter Unterhaltung
mit der Umgebung die hohen Herrschaften zu ihren
Wagen und fuhren wieder ab. Es heißt, daß der
Landesfürst meist in Karlsruhe wohnen und während
der Festtage immer herüber kommen werde. Bei der
abendlichen Begrüßung in der Festhalle wäre er
wohl keinesfalls erschienen.

Diese Begrüßung sollte um 8'/, Uhr beginnen,
aber schon lange vorher waren die Plätze an den
endlosen Tischreihen, über 200 Tafeln, völlig besetzt.
Der einfach decorirte Bau nahm sich Abends bei
elektrischer Erleuchtung wcit günstiger aus als am
Tage, nur verbreitete das neue Licht durchaus
keine große Helle. Der Oberbürgermeister hieß
Namens der Feststadt die Gäste, die aus allen
deutschen Gauen gekommen, in herzlicher An-
sprache willkommen. Er gab der hohen Freude
Äusdruck, daß diese Jubelfeier in dem unter
dem mächtigen Heldenkaiser geeinten deutschen
Reiche stattfinde unv betonte dabei, daß die deut-
schen Hochschulen stets Träger, Pfleger und För-
derer des deutschen Einheitsgedankens gewesen seien,
daß heute inHeidelberg auch Alldeutschland, Söhne
des ganzen Reiches, versammelt wären und die
akademische Feier damit zu einer nationalen werde.
Mit einem begeistert aufgenommenen Hoch aus
Kaiser und Großherzog schloß die kurze Begrüßungs-
rede. Jhr folgten einige musikalische Gaben, unter
ihnen vas von Scheffel gedichtete, von Vinceiiz
Lachner componirle und dirigirte Festlied sür
Baritonsolo, großen Chor und Blasinstnimente.
Scheffels Schwanengrsang ist ja wohl allgemem
bekannt. Lachncrs Musik hat den großen Vorzug,
einfach, leicht v-eiständ'ich, im Volkstone 8?hal;eu
 
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