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seinem Ministerstuhl. Giebt es docv bekanntlich Leute, welche das
Jntereste des Fürsten Bismarck an der Fortdauer dec Collegenschast
des Herrn v. Scholz grundsätzlich sehr gering taxiren. Ohne sich in
die Würdigung der Anhaltspunkte für diese Vermuthung einzulassen, muß
man wohl sagen, daß es jedenfalls nicht schwer hält, sich einen Finanz-
minister vorzustellen, welcher mehr Glück hat, als der gegenwärtige.
An Geschick, Eifer und Wisten, an der Routine, das Wort im besten
Sinne genommen, steht ihm kaum einer voran. Aber er hat die
leidige Gabe, provocatorisch zu wirken, die Parteien oder vielmehr die
Personen gegen sich aufzuregen und auf diese Weise Manches zu ge-
fäbrden und wider Willen zu verderben, was bei schonender Behand-
lung wohl gar ganz leicht von Statten gegangen wäre. Das Aerger-
liche bei solchen Temperamentfehlern ist, daß sis nicht abgelegt werden
können.

Wenn man unter den gegenwärtigen preußischen Ministern einen
als besonderen Bertrauensmann des Fürsten Bismarck bezeichnen will,
so kann das niemand anders alsHerr v. Bötticher sein. Dicser
Vertrauensstellung entspricht es auch, wenn der genannte Minister
jetzt zu gleicher Zeit mit dem Reichskanzler seinen Sommerurlaub in
Gastein zubringt. Es ist nicht unmöglich, daß es von dort aus noch
Einiges in den bayerischen Verhältnissen zu arrangiren giebt, und
hierfür dürfte Herr v. Bölticher d>e am meisten geeignete Persön-
lichkeit sein.

* Berlin, 31. Juli. Der chinesische Botschafter in
London, Marguis Tseng, erfährt hier fortgesetzt eine qanz
außerordenllich zuvorkommende Aufnahme. Es ist unseres Wistens
bisher noch nichl dagewesen, daß ein an einem anderen Hofe be-
glaubigter sremder Gesandter, der, so viel man weiß, nicht in einer
Mission, sondern auf der Durchreise hier weilt, als Gast des Kaisers
aufgenommen und in gleich ehrenvoller Weise ausgezeichnet worden
wäre.

Die Conservativen fahren fort, über das Verhalten
d e r N ati o n a l l i b e r a l e n bei den bevorstehenden Ersatzwahlen
zum Reichstage in Lauenburg, Bromberg und Graudenz sich heftig zu
beklagen. Der „Reichsbote" sagt heute am Ende eines längeren Ar-
tikels: Hoffentlich werden die Conservativen überall ihre Schuldigkeit
thun, namenttich auch in Lauenburg, damit die Wahlen auch ohne
diese eitlen Herren so ausfallen, wie es zum Wohle des Vaterlandes
nöthig ist. Wir bitten aber unsere Leser, diese Haltung der National-
liberalen wohl zu beachten und sich auch in den andern Kreisen zu
rechter Zeit darauf vorzubereiten, daß wir bei der nächsten Reichstags-
wahl in keinem Kreise vou diesen Herren abhängig sind. Die Wahl
des positiv christlichen Grafen Bernstorff in Lauenburg weisen sie ent-
rüstet wie eine beleidigende Zumuthung zurück und in Bromberg ver-
binden sie sich gegen die Conservativen mit den Freisinnigen zur Wahl
des Präsidenten des Protestantenvereins Schröder. Deutlicher können
die Herren ihre Gesinnung doch nicht offenbaren.

Haüe, 1. August. Bei dem gestrigen Unfalle des Berliner
Zuges in der Nähe von Hohenthurm sind nur sehr leichle Verletzungen
vorgekommen. Es entgleisten die Maschine und zwei Wagen. Der
Post- und Restaurationswagen soll zertrümmert sein. Profestor Volk-
mann begab sich auf die Unglücksstätte. Die Maschine soll sich ziem-
lich tief in den Sand gebohrt haben, die Strecke war unfahrbar.

Thorn, 29. Juli. „Ein Spion ist ergriffen," diese Nachricht
wurde gestern Abend und heute Vormittag in der Stadt verbreitet.
Ueber die Ursachs zu dieser Nachricht hat die „Th. O.-Ztg." Von
Privotpersonen Folgendes erfahren: „Gestern Abend gegen 6 Uhr
beobachteten Füsiliere der hiesigen Garnison in der Nähe der LUnette
6 einen sein gekleideten, distinguirt ausseheuden jungen Mann, der
augenscheinlich Festungswerke abzeichnete. Unsere braven Soldaten
machten sofort von ihrer Beobachtung einigen in der Nähe lustwan-
delnd'en Artillerie-Osficieren Mittheilung, und diese veranlaßten, die
Verhaftung des Zeichners. Jm Besitz destelben wurde ein auf den
Träger eines hochangesehenen polnisch-russischen Grafentitels lautender
Paß, aber auch ein Schlagring gefährlicher Sorte vorgefundeu. Der
Verhaftete blieb bis heute Mittag in Militärgewahrsam, Mittags
l Uhr wurde derselbe an den Händen geknebelt vom Polizei-Sergeanten
der hiesigen Polizei zugesührt. Soviel wir bisher haben ermitteln
können, hat der Verhaftete vor etwa 4 Tagen sich bei einer hiesigen
Familie eingemiethet. Weiteres wird die Untersuchung ergeben.

Oesterrerch-Ungarn

Wien, 31. Juli. Tisza stellt sich in die Bresche. Die Affaire
Edelsheim-Janski soll, aller persönlichen Momente entkleidet,
eine princivielle Lösung, und zwar in dem Sinne erfahren, daß ent-
schieden werden muß, ob die Armee sich innerhalb des Rahmens und
des Geistes der Verfaffung zu bethätigen habe, oder ob auch „eine

inconstitutionelle Haltung als Verdienst betrachtet" werden dürfe. Der
ungarische Ministerpräsident trachtet, ohne noch direct hervor-
zutreten, der Situation alle Bitterkeit zu benehmen, tritt für
die tadellos constitutionelle Haltung des Kriegsminisiers ein,
sucht das Vild sowohl des in der Volksgunst wie des im
Dienstrange avancirten Generals in den Hintergrund zu
drängen, um desto nachdrücklicher eine „Satisfaction" für einen Vor-
gang zu betonen, der zwar nicht dem Wesen, aber der „Form" nacb
„mit den elementarsten Gesetzen politischer Klugheit im Widersvrucke
stand." Das Parlament, als Vertreter der Nation, habe nur von ihm
jene ausreichcnde Genugthuung zu fordern , aus welche die Regierung
schwerer verzichten würde, als auf ihre Stellung. So entwindet Tisza
der oppositionellen Agitation ihre schneidigste Waffe und benimmt dem
Urtheile der Gasse im Vorhinein die Gefährlichkeit und den ange-
zweifelten Werth. Er hofft sicherlich, aus Jschl nicht nur in seiner
pärlamentarischen Position gekräftigt zurückzukehren, sondern auch durch
jein Auftreten der Armee und dem Parlamenlarismus erhebliche
Dienste geleistet zu haben.

Pest, 3t. Juli. Nach einer Meldung aus Agram ist die Cholera
bereits in das Jnnere Kroatiens verschleppt. Jm Dorfe Podkilovac
erkrankten 6, in Jelenje und Luketi je eine Person an Cholera. Maß-
regeln gegen weitere Verbreitung wurden noch im Laufe dieser Nacht
gelrosfen. — Die Landesregierung erneuerte ihr Ansuchen wegen Ein-
stellung der Waffenübungen.

Frailkreich.

Ls. Paris, 31. Juli. Wir geben nachfolgend die Hauptstellen
der Rede des ehemaligen Conseilspräsidenten Jules Ferry
wieder, die heute von Freund und Feind eingehend erörtert wird.

„Sie haben" sagte er, „wahrscheinlich mit mir gehofft, einen
Gegner vor sich zu sehen; statt deffsn müssen wir auch diesmal wieder
— es ist schon das dritte Mal — einen unstchtbaren Fcind bekämvfen
Sie baben vor einigen Tagen das Losungswort gelesen, das von den
Führern der Partei ausgegeben wird: für irgendwen zu stimmen, aus-
genommen sür uns. Diese Formel ist von einem der glänzendsten
Vertreter, von dem wahren Lenker der monarchistischen Partei. Herrn
Paul de Caffagnac adoptirt worden, der den „u'iwxortegiiisim," gx-
gründct hat. Man sragt ibn: „Wem geben Sie den Vorzug, wenn
die Republik gestürzt wäre?" und er antwortet: Gleichviet wem >
(tt'iwxorts goi!) Diese Formel ist sehr originell, gehört aber nur
den durch und durch entmuthigten Parteien an.

Eine solche Lage ist dennoch mit Gefahr verbunden: es ist zu be-
fürchten, daß die ländlichen Wähler, wenn sie keinen Gegner sehen
meinen tönnen, es sei überflüssig, sich zu bemühen, um an einem
Kampfe Theil zu nehmen. Sie müffen aber tracbten, ihnen dies aus-
zureden, und alle die, welche geneigt sein können, ob der Sicherheit

einzuschlummern, zum Handeln aufrütteln. Zum Glück giebt

die heutiqe Lage weniger zu Mißverständnisten Anlaß, als die vor
dem 4. October. Damals stand auf der einen Seite eine revubli-
kaniscke Partei, welche seit fünf oder secks Jahren die Geschäfte leitete
und in einem Augenblick der Panik gestürzt worden war, auf der
anderen eine Regierung rechlschaffener und ohne Zweifel aufrichtigen
Republikaner, welche leider mehr tarauf bedacht waren, die Machthaber
von gestern fernzuhalten, als die Reactionäre zu bekämpfen, und nickt
bemerkten, daß sie die Thüre, welche sie qegen uns verriegellen den
monarchischen Parteien weit aussperrten. Seitdem hat sich das Land
beruhigt und hat das öffentlichs Stinimrecht den Besonneuen di-
Augen geöffnct, welche nun die Frage aufwerfen, ob das Land wohl
daran that, in einer Slunde der Berwirruna die Zahl der Monar-
chisten der Kammer zu verdoppeln."

D>r Redner untersuchte dann, welchen Nutzen die Vermehrung
der Rechten in der lstzten Kammersession brachte und fand natürlich
keinen. Dagegen constatirte er. daß dieselbe zu häufigen lärmenden
Auftritten führte, und daß die Monarchisten. mit Ausnahme des
Bischofs von Angers und des Grafen de Mun, so wenig Patriotis-
mus an den Tag legten, um für die Räumung Tongkings zu stimmen.
Die Monarchie, sührte er weiter aus, würde sich densclben Schwierig-
keiten gegenüber befinder, wie die Republik, und weder nach Außen
noch nach Jrnen die Lage Frankreichs verbessern. Sie dürfte nicht,
wie sehr ihre Anhänger heute die Annexion Tunesiens und Tongkings
tadeln, auf jedes Streben, dem französtschen Namen in entfernten
Welttheilen Ehre zu machen, verzichten, und was man in wirthschaft-
licher Beziehung von ihr zu erwarten hätte, das bewiese schon der
Umstand, daß das Kaiserreich es war, welches den Freihandel schus,
und die monarchische Majorität der Versailler Nationalversammlung
die großen schutzzöllnerischen Pläne Thiers' vereitelte.

„Republikanische Minister", rühmte Herr Ferry, „waren es, welche
in der letzten Kammer den Scdutzzoll von drei Franken auf fremdes
Getreide durchsetzten und so cinsr lange verkannten Wahrheit Geltung
versckaffeu, daß die Landwirthschaft und die Jndustrie von der Gesetz-
qebung den gleichen Schutz zu verlangen baben. Wenn es also auf
der Hand liegt, daß die Monarchie keine Wunderkraft, kein Heilmittel
besitzt, die Lösung der gegenwärrigen Schwierigkeiten zu beschleunigen,
so wiffen wir dageqen, daß es zwei oder drei Dinge giebt, die' sie

durch. Die schwerste Prüfungszeit für die Hochschule war die
Herrschaft französirender Fürsten und schließlich der Franzosen.
Als vor einem Jahrhundert die Universität ihr Jubiläum feierte,
da zählte die durch den Protestantismus und die Geistesfreiheit
groß gewordene Rupertina neben vier protestantischen 30 katho-
lische Professoren, Dominicaner, französische Jesuiten, Franzis-
caner, welche den Mangel an dem elementarsten Wissen durch den
Fanatismus des Buchstabenglaubens ergänzten. „Gellert hieß",
wie Oertzen berichtet, „ein Freigeist, Kant's Name ward Hunden
beigelegt, ein ehrenwerther Mann, wie der Pater Trunk, ward
durch Ketzerprocesse zu Tode gequält, weil er das Beten zu
Christi Blutstropfen für Aberglauben erklärt, den Worten Elohim
und Adonai die Kraft, Teufel auszutreiben abgesprochen hatte."
Das war die Hochschule unter der wälschen Herrschaft. Aber
je tiefer der Schatten, um so heller leuchtete ihr Glanz nach der
Wende des Jahrhunderts. Thibaut, Klüber, Martin Zachariae
machten mit einem Schlage die juristische Facultät zu der
ersten in Deutschland. Bauer, Ewald, Marheinicke, de Wette,
Neander, Paulus, Breith, Voß erhoben die Wissenschaft zu neuer
Blüthe — wer zählt die Sterne, nennt die Namen, die hier auf
allen Gebielen des nationalen Geisteslebens neue Bahnen er-
öffneten? Welche Ruhmestafel bildet das Verzeichniß der Heidel-
berger Professoren von 1800 bis auf diesen Tag? Und welches
Lob wäre ehrenhafter als der innige Dank und die treue Liebe,
welche Tausende bewährter Männer ihr Leben lang Heidelberg
entgegenbringen? Hier am blumigen Strande des Neckar fließt
in reinster ungetrübter Fülle der Jungbrunnen akademischer Frei-
heit; hier fließt unerschöpfliches lauteres Gold aus dem Schooße
deutscher Wissenschaft . . .

Alt Heidelberg, du feine! Der Dichter hat Recht: „Wenn
ein Unglücklicher mich fragt, wo er leben möchte, um dem
lauernden Kummer dann und wann eine Stunde zu entrücken,
so neune ich ihm Heidelberg, und wenn ein Glücklicher mich fragt,
welchen Ort er wählen soll, um jede Freude des Lebens frisch
zu kränzen, so nenne ich ihm abermals Heidelberg."

Und Alle, die in der Neckarstadt geweilt und geschwärmt,
geliebt und gesungen, sie rufen freudig der mutor

Ruxsrto-Larola, zu:

Vivns, orsscms, üorsus — iu uotsrnum!

Walter von Lund.

Pslitische Correspondenzen.

X. Berli», 1. August. Jn polüischen Kreisen wird die Frage
aufgeworfen, ob Herr v. S ch o l z sich wohl völlig im Einklang mil
dem Fürsten Bismarck befunden haben mag, als er durch seinen
Leibosficiosus mittheilen ließ, daß die aus Polen, Welsen, Franzosen,
Ultramontanen rc. zusammengesetzte Reichstagsmehrheil in der nächsten
Sesston nicht dasBergnügen haben solle, über ein neues Branntwe in-
steuerproject zu berathen. Aus Herrn v. Scholz spricht der ge-
kränkte Ehrgeiz uud die Erbitterung, welche erklärlich ist, wenn man
zwei Entwürfe, an die das beste Könuen gesetzt worden, in den Ab-
grund sinken sehen muß. Fürst Bismarck dagegen steht der Brannt-
weinsteuerfrage weit unbefangener gsgenüber. Er ist nicht persönlich,
wie der Finanzminister, von den Unannehmlichkeiten der parlamen-
tarischen Kämpfe berührt worden. Er braucht sich nicht durch den Arg-
wohn irritiren zu lasten, daß die Ablehnung der GesetzesvWlagen
wohl gar mit einer kleinen persönlichen Rancüne verquickt gewesen sei.
Er benützt die Gunst der Umstände, wie sich dieselbe ihm darbietet,
und die Umstände werden im Herbst zweifellos günstiger für die
positive Lösung der Branntweinsteuerfrage liegen als in der verfloffenen
Session. Zwar von einem bindenden Engagement des Abg. Wiudt-
horst kann man nicht sprechen, aber der Centrumssührer hat unter
dem Eindruck der neuen kirchenpolitischen Gesetzgebung sich doch in
einer Weise ausgesprochen, die der Vermuthung Raum giebt, daß seine
Partei, bei genügendem Entgegenkommen der Regierung, kein Hinder-
niß sür die Reform der Spiritusbesteuerung sein wird. Auf die Aus-
gestaltung der Vorlage selber sreilich kommt Alles an. Wenn Herr
von Scholz die erlittene Niederlage dem Centrum so hartnäckig nach-
trägt, daß er, entgegen der Wendung, welchs Fürst Bismarck schon
längst gemacht, noch immer das alte Lied von den ultramontanen
Reichsfeinden singt, dann kann er leicht der Gefahr versallen,
daß sein neuer Branntweinsteuerentwurf mehr ein Zeugniß
der ira als des stuäium wird, eine Eventualität, über
welche freilich der Minister selber zu Fall kommen
dürfte. Denn die Erhöhung der Reichseinnahmen ist dem Kanzler
schließlich doch wichtiger, als die Erhaltung des Herrn v. Scholz auf

zen der Deutschen näher brachte, den Unbekannten bekannt machte, daß
er deffen Lieder in Folge reizvollster Uebertraguugen auf dem Clavier
sang, so griff er nun in Weimar zu Schwert und Schild, um seinen
Freund Richard Wagner zu schützen und destsn Werken im thü-
ringischen Musensitz eine bleibende Stätte zu bereiten, zu jener Zeit.
als Wagner, ein Vsrbannter, „ins Elend" gehen mußte. Die Welt
weiß cs, welch' Förderer Franz Liszt der Kunst Wagner's gewesen ist.
Bis zum Tode hat er seine Treue ihm gewahrt, wer weiß, ob es nicht seine
allzu große Pflichttreue war, die er nun mit dem Tode bezahlt hat!
Effrigem Drängen von Bayreuth aus nachgebend, hat er auch in
diesem Jahre zugesagt, die Ehrenwache über die Festspiele zu
übernehmen, gleich einem todeswunden Feldherrn hat er trotz seiner
gefährlichen Erkrankung sich hinauftragen lasten ins Wagnertheater,
nm der ersten Tristanaufführung beizuwohnen. Und nun am 31.Juli
Nachts 12 Uhr, nur hundert Schritt entfernt vom Grabe Richard
Wagner's, ist auch Franz Liszt auss Todtenbett gesuuken.

Mit vollem Recht mahnt Carl Riedel, der treue Ponnier der
Liszt'schen Tonwerke an die liebevolle Berücksichtigung derselben. Seine,
Faustsimfonie, seine Dante- und Berg-Sinsonie, seine „Festklänge"
„Jdeale" undmanchs andere seiner sinfonischen Dichtungen für Orchester,
seine Oralorien „Elisabeth" und „Christus", seine „Große Festmeffe"
und seine LtiisL odoralis müffen sich endlich den ihneu gebührenden
Platz in unseren Concertsälen erringen, den die Mehrzahl seiner
Claviercompositionen und viele seiner Lieder seit mehr als einem
Menschenalter erobert haben.

Ueber die letzten Stnnden des Entschlafenen liegen noch folgende
nähere Angaben vor. Jn den ersten Abendstunden hegte man noch
Hoffnung auf Wiedergenesung. Plötzlich trat ein Kräfte-Berfall ein,
dem mit den wirksamsten Reizmitteln nicht zu begegnen war. Pro-
festor Fleischer aus Erlangen und Landgerichtsrath Dr. Landgraf
hatten seit dem Eintritt schlimmerer Anzeicheu das Krankenbett nicht
mehr verlassen. Liszt verschied in den Armen seiner Tochter Cosima. Die
Beerdigung der sterblichen HLlle wird voraussichtlich am Dienstag
auf dem Bayreuther Friedhofe stattfinden.

Die Tochter des Dünkrrotteurs.

Roman aus der Gegenwart von Gustav Lössel.

(13. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.)

„Was da noch herauskommen wird?" sagte der Commissär
achselzuckend. „Jedenfalls nur die Bestäligung des ersten ärztlichen
Gutachtens; denn wenn unsere großen Aerzte einmal ein Urtheil ab-
gegeben haben, sind sie schwerlich mchr zu einer anderen Ansicht zu
gewinnen, die Beweise müßten denn klar auf der Hand iiegen. Das
braucht hier aber nicht einmal der Fall zu sein. Es giebt auch solche
Gffte, welche, ohne eine Spur zurückzulassen, tödten, und
meine Ueberzeugung steht trotz aller ärztlichen Gutachten unerschütter-
lich fest: hier ist ein solches in Verwendung gekommen."

„Allerdings," meinte Möller, „die Worte des Commerzienrathsl:
„Sie wird es doch uicht wagen, mir Gift zu geben!" — welche der
Diener Jean am Abend vor seinem Tode aus seinem eigenen Munde
gehört hat oder gehört haben will, deuten auf eine Vergistung. Jst
der Mensch aber auch ganz vertrauenswürdig ? Diese Dieucr sprechen
bald einmal in der Erregung etwas hin, was sie nachher nur wieder-
holt behaupten, um sich nicht selbst Lügen strafen zu müsten. Auch
Jenny, das Stubenmädchen, hatte gesagt, sie könne etwas sagen,
wenn sie nur wolle: als es aber zum Verhöre kam, erklärte sie, nichts
zu wisten und das nur so gesagt zu haben. Jch glaube dem Burschen
auch nicht."

„Weil Jbnen das Mädchen unglaubwürdig erscheint?" fiel der
Commiffär eifrig ein. Und ich glaube umgekehrt dem Mädchen, weil
der Diener nach meiner Ansicht die Wahrheit spricht- Hier liegt ein
Geheimniß zu Grunde; die Dienerin kennt es, sie hat wenigstens et-
was belauscht. Jm Ansang war sie geneigt, es auszuplaudern; als
es sich dann aber herausstellte, daß ihre junge Herrin eine halbe
Million hat mitgehen heißen, besann sie sich eiues Befferen. Vielleicht
kannte sie des Fräuleins Reiseziel und nun bemächtigte sich ihrer die
Habgier. Wenn sie jetzt Erna Eschenbach nachreiste, konnte sie getrost
hunderttausend Mark von ihr fordern, denn'soviel ist das Verschweigen
eines solchen Geheimnisses wohl werth, und die Besitzerin einer baren

halben Million konnte es zablen. Solche Stubenmädchen haben manch-
mal sehr verwegene Wünsche, und welches Mädchen, sei sie, wer sie
wolle, möchte nicht gern eine große Dame sein! Fräulein Jenny aber
ist hübsch, kokett und gewiß nicht wenig vcrschlagen. Jch bin noch
nicht zu Ende mit ihr und laffe sie heimlich beobachten. Bielleicbt
weiß sie auch, wie das Gift in das Glas gekommen, was mir aller-
dings, da Erna Eschenbach schon am Abend vorher abgereist ist, noch
ein Rälhsel . . . ."

Er fuhr plötzlich lauschend empor, auch Möller blickte betroffen
nach der Tyür.

„Was war das?" flüsterte sein Chcf.

„Wenn ich nicht irre, das Knarren einer Thür," entgegnete er
ebenso.

„So schien es auch mir."

Romberg brachte sich zunächst in eine sitzende Stellung; Beide
hielten lauschend den A>hem an.

Eine ganze Weile hörten sie nichts, dann aber drang noch einmal
ein dumpfer Ton von unbestimmtem Klang zu ihnen.

„Das kam von oben!" rief jetzt der Commissär, auf seine Füße
springend.

Möller machte eine rasche Bewegung gegen die Thür.

„Halt!" raunte der Andere ihm zu. „Bermeiden Sie j.des Ge-
räusch. Lasten Sie uns im Dunkeln hinauf gehen!"

Er erhob sich nun ebenfalls leise und Möller setzte die aufgegrifl
fene Lampe auf den Tisch wieder nieder.

Während dem öffnete Romberg vorsichtig die nach der Borhalle
führende Thür und dann schlüpsten Beide hinaus.

Die große prächtige Vorhalle, aus welcher man über eine Treppe
nach oben gelangte, war in dämmeriges Halblicht gehüllt. Durch die
bunten Scheiben der zur Estrade führenden gewölbten Glasthür fiel
das Mondlicht herein und malte eine vielsarbige Mosaik auf den
Estrich.

Die Männer blickten sich nicht weiter um, als zu ihrer Orien-
tirung erforderlich war. Sie glitten geräuschlos durch die Halle und
über die mit einem reichen Figurenschmuck versehene Haupttreppe.


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