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des folgenden Ärg

ASnn neuicntoy
4 M. 58 Pf.

Jnscratc

>L0 Ps. Pro gespaltene Petitzeile.
Expedition: Am See 40.

Annoncen

für uns nehmen an
die Annoncen-Bureaus vo»
Haasenstein L Vogler.
Nudolf Mosse, Daube L Co*
Jnvalidendank,

S. Salomon, Stettin,

I. Barck L Co., Halle rc

178.

Mittwoch, den 4. August 1886.

Dreizehnter Jahrgang.

* Die IMUW als kirchliche InMutiou.

Vor Kurzem brachten die Blätter die Mittheilung, daß die
Fahne der Bäckerinnung zu Posen, welche in einer dortigeu ka-
tholischen Kirche aufbewahrt wird, die aber bisher bei Begräb-
nissen sowohl katholischer wie evangelischer
Jnnungsmitglieder benutzt wurde, nach einer Entscheidang des
neuen Erzbischofs Dinder vom 10. Juli d. I. nur dem Leichen-
. zuge von Katholiken vorangetragen oder nicht mehr in der
katholischen Kirche aufgestellt werden dürfe. Das erinnert an die
vielseitige Bedeutung, welche die Jnnungen zur Zeit ihrer
Blüthe, im Mittelalter, hatten.

Sie waren einmal von ungemein großer politischer
und wirthschaftlicher Bedeutung. Der Cinzelne hatte ja
damals nicht die allgemeinen staatsbürgerlichen Rechte, die heute
Verfassung und Gesetz Jedem zusprechen, dem Kleinen
und Schwachen so gut wie dem Großen und Starken. Wer
nicht selbst eine starke Faust und ein festes Schloß hatte, der
mußte sich mit vielen Genossen zusammenthun zu eiuem Ver-
bande, der im Stande war, sich und seinen Mitgliedern ihren
Antheil an der Welt zu erringen und zu wahren. Erst
durch den Zusammentritt zu Jnnungen, Zünften erwarben sich
die Handwerker etwas, was etwa den heutigen angeborenen
Rechten jedes Staatsbürgers enispricht.

Die Jnnung war zugleich dieSchule vonSitte und
Lebensart. Alles, was mit dem Gewerksleben zusammen-
hing, war in feste Formeln gebannt, von denen nicht eine Hand-
breit abgewichen werden durfte, ohne daß man in Strafe verftel.
Wenn der Jungmeister die Gewerksgenossen zu dem Quartal ein-
laden ging, so waren ihm und waren den Mitgliedern ganz be-
stimmte Formeln vorgeschrieben; ebenso waren für die Verhand-
lungen des Gewerkes und für die Festtafel und das Trinken ganz
bestimmte Ceremonien und Worte vorgeschrieben, die Jeder lernen
mußte. Ueberbleibsel davon sind ja noch heute vorhanden; aber
sie sind heute nicht mehr unbedingt nvthig; die nothwendigsten
Anstandsregeln lernt man heute schon zu Hause und durch das
vielgestaltigere Leben.

Eine noch größere Bedeutung hatte die alte Jnnung als
kirchliche Jnstitution. Das kirchliche Leben beherrschte ja damals
bie Menschheit noch vielmehr als heute. Auch die ehrenvolle An-
theilnahme daran mußte man sich erringen. Jeder wollte einen
guten Stand in der Kirche und ein würdiges Begräbniß haben.
Jn den Stadtkirchen waren an hervorragcnder Stell, die oft
kunstvoll geschnitzten Stühle der Herren vom Rathe und der
Schöppen angebracht. Und in etwas bescheidenerer Weise waren
ringsum die Bänke oder Sitze der verschiedenen Jnnungen ver-
theilt; die reichen Jnnungen hatten wohl eine besondere Seiten-
kapelle mit einem Altar ausgebaut, und dort befanden sich zugleich
die Sitze der Mitglieder. Die weniger vornehmen Jnnungen
hatten ihre Plätze auf den Seitenchören und Emporen. Bei den
seierlichen Prozessionen innerhalb oder, wie beim Frohnleichnams-
feste, außerhalb der Kirche waren die Jnnungen in hervorragen-
der Weise betheiligt; sie folgten entweder im Zuge nach dem
Rath und den Schöppen, jede Jnnung mit ihrer buntgestickten
Fahne voran, in deren Mitte der oder die Schutzheilige des
betreffenden Gewerkes prangte, oder sie bildeten zu beiden
Seiten eine doppelte Kette von Kerzenträgern, wobei ein
Wettstreit unter den Jnnungen entstand, welche von
ihnen voran, neben dem unter dem Baldachin die
Monstranz tragenden Gcistlichen, gehen konnte. Das war ge-
wöhnlich sür jeden Ort fest geordnet, einzelne Innungen suchten
sich aber vorzudrängen. — Beim Begräbniß eines Mitgliedes der
Jnnung folgte diese! nn Trauerslor, die Gewerkfahne voran, welche

IseuMeton.

Königliche Oper.

Montag, den 2. August.

Jn den „Hugenotten", mit denen Sang und Klang wieder
einzogen in die verödet gewesenen Räume des Hoftheaters, kam vor §
Allem die Freude, Herrn Lorenzo Riese nach glücklich überstandener!
gefahrvoller Operation seinem Berufe zurückgegeben zu sehen, zu leb- >
haftestem und herzlichstem Ausdruck. Bei seinem ersten Erscheinen auf j
der Bühne begrüßte den Sänger anhaltender rauschender Beifall des
dichtgefüllten Hauses und nach der mit unvergleichlich zarter Ton-
färbung, in schönheitsvoller Stimmentfaltung gesungenen Romanze
flogen ihm nicht nur Aller Herzen sondern auch drei Lorbeerkränze
größten Umfanges zu, die der Gefeierte nur mit Hilse seines Collegen
Herrn Bulß-Nevers cntgegen nehmen konnte. Herrn Riese's
glänzende gesangskünstlerische Leistung als Raoul ist im Uebrigen
.genugsam bekannt, sie bedarf keiner erneuten eingehenden Würdigung;
man hat heute nur zu bezeugen, daß das begnadete Organ nichts von
feinem hell strahlenden Glanze eingebüßt, und daß der Sänger
die feinsten Künste des l>el oanto mit gewohnter Meisterschaft Ubt.

Fräul. Saak gab die Valentine mit voller Hingabe ihres schönen
Talents an die schwere Aufgabe, deren vollkommen befriedigende
Lösung der jungen sympathischen Sängerin vorläufig noch versagt ist.
An glücklichen Momenten in Gesang nnd Darstellung fehlte es nicht
und eine gewisse natürliche Wärme und Entschiedenheit des Ausdrucks
trat in der ganzen Darstellung wshlthuend hervor. Erwünscht bleibt
in gesanglicher Beziehung zunächst größere Festigkeit des Tonansatzes und
Bindung der namentlich im bewegten Zeitmaße stoßweise und dyna-
misch unvermiltelt erklingenden Töne. Jm Duett des vierten Actes
blieb die Steigerung am Schlusse völlig aus. Die Königin deS
Jrl. Friedmann entledigte sich ihrer musikalischen Verpflichtungen
ungemein gewissenhaft, aber von dem sinnlich coquetten Reize der aus
Meyerbeer's so geistvoller musikalischer Charakteristik spricht, war kaum
«in Hauch zu verspüren. Als Page führte sich Fräul. Hedwig

in der Kirche ihren Aufbewahrungs- und Standort hatte.
Der Zug wurde dadurch besonders feierlich. Die Jnnungsmit-
glieder hatten noch den besonderen Vortheil, daß nach ihrem Tode
alle Zahre die Jnnung für ihr Seelenheil Messen lesen ließ.
Wenn das große Quartal stattfand, ging die ganze Jnnung des
Morgens in die Kirche, wo ein feierliches Requiem für die ver-
storbenen Mitglieder stattfand; später berieth man über die An-
gelegenheiten des Gewerkes und überlicß sich dann dem Mahl und
Trunk. Die Geistlichkeit war dazu geladen; sie war mit beim
Berathen und entschied dasselbe oft, und beim fröhlichen Trunk
blieb sie nicht zurück.

Die kirchlichen Vortheile der Jnnungen galien damals für
so groß, daß sich an vielen Orten angesehene Leute, z. B. Kauf-
leute, Aerzte, Gelehrte, welche nicht daran dachten, ein Handwerk
auszuüben, als Mitglieder in die Gewerke aufnehmen ließen.
Nichthandwerker thaten sich zu „Bruderschaften" zusammen, d. h.
zu Genossenschaften, welche von den Zünftcn nur die kirchliche
Ausgestaltung annahmen; die Bruderschaften gehörten den ver-
schiedensten Berufsclassen an; sie hatten aber einen gemeinsamen
Stand oder eine besondere Kapelle in der Kirche, eine Fahne,
der alle „Brüder" bei den Begräbnissen folgten, und alljährliche
Seelenmessen für die verstorbenen Mstgtteder. I" den reichen
Handelsstädten wurden in die stolzen Georgsbruderschaften anfangs
nur ritterbürtige Patricier aufgenommen; von ihr ging es herab
bis zur Michaelisbruderschaft, der meist nur kleine Leute ange-
hörten, die aber die zahlreichste war.

Mit der Reformation gestaltete sich die kirchliche Seite des
Jnnungswesens verschiedenartig; die Jnnungen bekamen einen
confessionell katholischen oder evangelischen Charakter, je nach der
Religion des Landesherrn; denn da hieß es ja: „Onjus rsZio,
egus rsiigio." Als nun Preußen 1772 und später nach und
nach eine Reihe bis dahin polnischer Landschaften erwarb, wie
Posen, Westpreußen, Ermland, hatten außer den evangelischen
Städten Danzig, Elbing und Thorn, die einst von den dcutschen
Handwerkern gegründcten Jnnnngen der meisten übrigen Städte
einen confesstonell katholischen Charakter. Jn Erzbischof Dinders
Heimath, dem rings vom Protestantenthum umgebenen Bisthum
Ermland, durfte ja bis 1772 kein Protestant sich ein ganzes
Jahr hindurch aufhalten. Nun strömten evangelische Handwerker
herbei, heiratheten die Töchter katholischer Jnnungsmeister und
begehrten Aufnahme in die Jnnung. Sie wurde ihnen oft zu-
gestanden, aber nur unter der Bedingung, auch die kirch -
lichen Pflichten als Jnnungsmitglieder auf sich zu
nehmen. Und da ist es denn vorgekommen, daß Protestanten
freiwillig Wachskerzen bei katholischen Processionen trugen, und
die Gewerksfahne wurde aus der kathottschen Kirche geholt, um
katholischen und evangelischen Jnnungsgenossen die letzte Ehre
zu erweisen. Es war eben die Periode der Auf-
klärung. Der evangelische Gatte und die katholische Gattin
gingen damals gemeinsam an einem Sonntage in die
katholische, am folgenden in die e v a n g e l i s ch e
Kirche, und dies dauerte bis zu den Kölner und Posener Wirren.
Minister Falk's Vater, evangelischer Consistorialrath, war da-
mals in Liegnitz befreundet mit dem katholischen Stadtpfarrer
Förster, dem späteren Breslauer Fürstbischof; der Geist der
Toleranz herrschte damals in Deutschland. Seit dem Zurück-
weichen des Staates im Jahre 1840 ist es immer schlimmer
geworden, durch das neue kircheupolitische Gesetz wird es noch
schlimmer, und der neue Erzbischof Dinder sargt cben die letzten
Ueberreste der Toleranzepoche ein! — — Wir sehen aber auch,
daß die Jnnung schon dnrch ihre kirchliche Seite einst eine
Bedeutung hatte, die sie heute nie mehr erlangen kann.

Schacko aufs glücklichste als Bühnen sängerin ein, nachdem sie
unter dem Namen Döring in srühen Jahren Kinderrollen auf der Hof-
bühne dargestellt. Die jugendliche Sängerin brachte ihre bercits treff-
lich entwickelte, für den Coloraturgesang gut geschmeidigte Stimme zu
gewinnender Geltung; sie sang die Cavatine anmuthig und frisch und
auch darstellerisch, eine bemerkenswerthe Gewandtheit an den Tag
legend. Die Cadenz gelang wenn auch nicht vollendet doch sehr sauber
und ließ am Schlusse eiu wohlgebildetes Staccato vernehmen Mit
der Zeit wird Gesang und Spiel noch eleganter, noch feiner aus-
geglichen werden. Man belohnte diesen ersten Versuch mit lebhaftestem
Beifall, deffen Löwenantheil natürlich Herrn Riese zufiel. Herr Iost
gab den St. Bris würdevoll und mit guter Stimmwirlung, läßt in-
deß Energie des declamatorischen Ausdrucks und des Rythmus zu sehr
vermissen. Die Leistungen der Herren Decarli (Marcel), Gulß
(Nevers) und E r l (Bois Rost) sind als Lberwiegend trcffliche bekannt.
Der erste Act litt auch diesmal am wesentlichsten durch Tempo-
verschleppungen. k'. V.

„Ruperto-Carola". lNachdruck verbotenq
(Zum 500jährigcn Jubiläum der Universität Heidelberg.)

Von Conrad Alberti.

I.

Ein Ehrenblatt aus der Geschichte deutscher Forschung, deutscher
Wissenschaft! Ein halbes Jahrtausend unermüdlicher Arbeit im Dienste
der Wahrheit!

Welcher Deutsche, der sein Vaterland liebt, sollte nicht begeistert
Theil nehmen an einem solchen, im Leben eines Volkes nicht allzu
häusig vorkommenden Jubeltage, im Geiste wenigstens, wenn das Ge-
chick ihm nicht vergönnt, sich den Schaaren derer einzureihen, die aus
den entlegensten Gauen Deutschlands in den ersten Tagen des
August persönlich an den Neckarstrand eilen, um bei heiterm
Gesang und hellem Glä erklingen mit voller Seele einzustimmen in
den Ruf

Hoch! Alt Heidelberg, Du feine,

Du Stadt an Ehren reich!

Das Verhältniß zwischen Rußland undDeutsch-
land ist jetzt ein beliebtes Thema der russischen Blätter. Katkow's
Organ, die „Mosk. Ztg." behandelte es am Sonnabend und äußerte
sich, wie folgt:

„Wir wünschen, daß sich Rußland in sreien, freundschaftlichen Be-
ziehungen zu Deulschland befinde; jedoch sollten wir eben solche Be-
ziehuugen auch zu anderen Mächten, desgleichen zu Frankreich haben.
Wir erachten es als ganz unwahrscheinlich, daß Deutschland irgend
wann Streit mit uns suchen wollte; aber wenn England, was wohl
möglich ist, mit uns im nahen oder fernen Osten collidirte, würde das
jetzige Frankreich, welches zu England fast in nicht geringerem Anta-
gonismus steht als zu Deurschland, wahrscheinlich nicht müßiger Zu-
schauer des Kampfes bleiben, worüber wir zu klagen wahrlich keinen
Grund hälten."

Für einen Freundschaftsbeweis ist Katkow's Sprache etwas zu
kühl, wir möchten lieber einige Besorgniß aus dem Artikel herauslesen,
deren Ursprung in conservativcn englischen Bläitern zu suchen ist,
welche, seit das Ministerium Salisbury gesichert ist, fllr ein Bündniß
zwischen Deutschland, Oesterreich, England und Jtalien zu Gunsten
des Friedens mit großem Eifer eintreten. Auch andere Anzeichen
sprechen gerade in letzter Zeit für keine besonders intimen Beziehungen
zwischen Petersburg und Berlin. Auf eine ntedrigere Temperatur in
den Beziehungen beider Regierungen weist auch der Umstand hin, daß
Herr v. G ier s noch immer nicht Anstalten zu einer Begegnung mit
Bismarck oder Kalnoky macht. Daß er nur so lange in Petersburg
weilt, um die Tochter dem Gatten zu freien, glaubt Niemand mehr.
Die Hochzeit hätte recht gut einige Wochen später sein können, wenn
Herr v. Giers die Zusammenkunft für wünschenswertb gehalten bätte.
Wichtiger noch als diese Petcrsburger Nachrichten erscheint in dicser
Richtung ein anscheinend ofsiciöser Artikel in der „Köln. Ztg " aus
Berlin. Derselbe beleuchtet die „Verstimmung der russischen Ge-
sellschaft gegen Deutschland" und sagt:

Unbegreiflich ist, wie die Ruffen als Grund ihres Hasses eine an-
gebliche Undankdarkeit Deuischlands Rußland gegenüber angeben kön-
nen, wenn es auch nicht zu leugnen ist, daß das leider seit langer
Zeit nur zu häufig und in immer verschiedenartigeren Wendungen
geschieht. Wer die letzten Ereigniffe nur mit einigermaßen wachem
Auge versolgt, wer insbesondere noch die letzten Congreßverhandlungen
in klarer Ermnerung hat. dem erscheint es fast unmöglich, daß ein
unterrichteter Russe bies glauben kann. Man will sich in Rußland
für dcnHaß die Berechiigung, die nicht vorhanden ist, künstlich schaffen.
Deutschland kann cher über russischen Undank gegen die vollständig
hingebende Unterstützung klagen, welche es den russischen Wünschen
auf dem Berliner Congreß geleistet hat. Schon die Berufung des
Congresses überhaupt erfolgte ausschließlich auf Rußlands Wunsch,
und der Reichskanzler, der damals eben an schwerer Krankbeit gelitten
hatte, wurde nurdurch den ausdrücklichen Wunsch Kaiser Alexanders U.
bestimmt, sich lrotz seines leidend n Zustandes auf die Berufung und
den Vorsitz des Congresses einzulassen. Auf dem Congreß ist kein
einziger russischer Antrag gestellt worden, der nicht von Deutschland
unterstntzt worden wäre, und man darf es wohl als zweifellos bezeich-
nen,d:ese Unterstützung Rußland selbst dann zur Seits geblieven
wäre, ivenn die russischen Vertreter weitergehende Antcäge gestellt
hälten, als geschehen ist. Daß Rußland sich zu solchen weitergehenden
Anträgen nicht entschlossen hat, kann der deutschen Politik doch nicht
zur Last gelegt werden. Die Nachgiebigkeit dcr russischen Politik batte
keineswegs ihren Grund in einer Ablehnung Deutschlands, sie zu unter-
stützen, sondern ledtglich in der Abneigung Rußlands, sich in einen
Kamps mit England einzulassen, nachdem die während ves Krieges
gebotene Gelegenheit, Konstantinopel zu besetzsn, von den Russen ver-
saumt worden war. Dentschland hat auf dem Congreß Lord Beacons-
field gegenüber einige der russischen Forderungen mit schärfster Ent-
schiedenheit und mit der Drohung, den Congreß abzubrechen, wenn
England nicht nachgebe, durchgesetzt. Von keincr anderen Seite hat
Rußland auf dem Congreß eine ähnliche Unterstützung erhalten, und
wenn es sis erhielt, so verdankt es dieselbe dem dcutschen Einfluß auf
andere Mächte. Wenn nun trotzdem anstatt der Anerkennung, welche
die deutsche Politik auf dem Congreß von Rußland zu erwarten be-
rechtigt war, gleich nach Beendigung des Congreffes unter Leitung
des FUrsten Gortschakow und unter Begllnstigung aller Organe der
Regierung die deuische Politik der Gegenstand der hestigsten Anfech-
tungen und Drohungen in der russtschen Presse wurde, so mußte diese
Erscheinung bei den Leitern der deutschen Politik den Eindruck einer

Wenn es wahr ist, daß Deutschland das Land der Dichter und
Denker sei, so muß wieder Heidelberg im besonderen der Mittelpunkt
der geistigen Bestrebungen in Deutschland genannt werden. Nicht
als ob dasselbe zu allen Zeiten die führende Rolle in der deutschen
Wissenschaft gespielt hätte, nicht als ob alle großen wiflenschaft-
lichen Bewegungen in Deutschland von Heidelberg ausgegangen
seien: denn in dieser Beziehung stehen Wittenberg und Königsberg
obenan.

Aber keine Hochburg der Forschung im Deutschen Reiche darf auf
einen so ausgedehnten, fast ununterbrochenen Zeitabschnitt des Be-
stehens zurückblicken, keine andere ist ein so deutliches und unanzweifel-
bares Wahrzeichen der Unverwüstlichkeit des deutschen Geistes, der
selbst aus den furchtbarsten Nöthen und Bedrängnissen siegreich her-
vorgeht und sich, beinah schon gebeugt und gebrochen, immer wieder
aus sich selbst wiederherstellt und aus der eigenen Urkraft neue Spann-
una, neue Größe zieht, als die Ruperto-Carola, die Heidelberger Uni-
versität. Die fürchterlichsten Drangsale, rohe, barbarische Gewalt und
schlaue Verderbniß bemühen sich um die Wette, die Hochschule und
den Ort, der sie gastlich beherbergt, gänzlich zu zerstören oder an den
Wurzeln zu vergiften, sie entweder brutal mit einem Schlage oder
listig nach und nach zu Fall zu bringen oder für ihren eignen verab-
scheuenswerthen Zweck zu benutzen und sich ganz unterthan zu macben.
Und mehrmals scheint das freche Wagestück fast völlig gelungen, und
schon setzt der Feind dem Bestsgten triumphirend den Fuß auf den
Nacken, überlegend, vb er ihm den Gnadenstoß geben oder ihn zu
seinem Sclaven machen soll, schon scheint Alles verloren und dumpfe
Verzweiflung allein der Rest: da steht, ohne daß Jemand bemerkte,
wie er sich aufgerafft, mit einem Male der Bezwungene wieder auf
den.Füßen und fängt von Neuem an in fürchterlichem Kampf mit
dem Gegner zu ringen und mit jedem Streich wächst ihm der Muth
und die Macht, und, ehe nur der Zuschauer zur Besinnung gekommen,
hat er jenen von sich abgeschüttelt und steht leuchtendeu Blickes in
alter, trutziger Herrlichkeit da: oft geworfen aber stets wieder aufge-
richtet, oft gebeugt aber niegebrochen, oft verwundet aber unbesieg-
lich für die Ewigkeit. —
 
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