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4M. SV Pst .

Jnserate

2V Pf. Pro gespaltene Petttzeile.
Expedition: Am See 40.

Annonee«

für uns nchmen an
die Annoncen-Bureaus vo»
Haasenstein L Bogler.
Rudols Mosse, Daube L Cv«
Jnvalidendank,

S. Salomon, Stettin,

I. Barck L Co., Halle re

^ 17S.

Donnerstag, deu 5. August 1886.

Dreizehnter Jahrgang.

* Das Millisterilm Salisbmy.

Mit dem Augenblicke, da Salisbury die Gewißheit
hatte, daß weder Hartington, noch die übrigen Führer
jener liberalen Parlamentsfraction , die sich im Vereine mit den
Tories zu der Opposition gegen die irischen Reformpläne des
Cabinets Gladstone vereinigt hatte, unter irgendwelcher Bedingung
gesonnen waren, an der Bildung des sogenannten Coalitions-
ministeriums theilzunehmen, war die Situation mit einem Schlage
geklärt. Es blieb eben nichts anderes übrig, als ein reines Torie-
Ministerium unter der Präsidentschaft Salisbury's zu bilden und
in der That wurde die Personenfrage nunmehr ohne Schwierig-
keiten erledigt. Jm Allgemeinen sind es dieselben Namen, die
das vorjährige, so kurzlebige Ministerium Salisbury aufwies,
nur ist die Vertheilung der einzelnen Aemter etwas anders
ausgefallen. Jnsbesondere sind die drei wichtigsten Posten, näm-
lich der eines Ministers des Auswärtigen, des Vicekönigs von
Jrland und des Staatssecretärs für Jrland Männern zugefallen,
welche auch im letzten Torie-Cabinet gesessen hatten.

Unter den Ministern, die das neue Cabinet bilden, welches
worgen zum ersten Mal officiell vor das Land tritt, ist der
interessanteste unstreitig Lord Randolph Churchill. Das Aeußere
dieses erst 37 Jahre alten Mannes ist, wenn die uns von einem
Freunde übersandte Photographie ähnlich ist, nichts weniger als
interessant. Man glaubt einen Friseur, nicht einen Herzogssohn
dor sich zn haben, der schon in den Zwanzigern eine bedeutende
politische Rolle in England spielte, mit einigen dreißig Jahren
ern englischer Cabinetsminister wurde und über ein Reich von
200 Millionen Menschen zu regieren hatte, und nunmehr die
Führung des englischen Unterhauses übernommen hat.

Lord Randolph Churchill ist der jüngere Bruder des Herzogs
don Marlborough und hat gleich bei seinem Eintritt in das
Unterhaus, der im Alter von nur 25 Jahren erfolgte, Aufsehen
^rregt, indem er sich als einen demokratisch angehauchten Tory
Z äufspielte. Als Tory geißelte er mit Spott und wenig gewählten
st Grobheiten die Liberalm, und durch seine demokratischen Alluren
tznd stin herausforderndes schroffes Auftreten verletzte er die
Ugenen torystischen Parteigenossen, so daß er nach kurzer Zeit
sich von ihnen, wenn auch nicht formell, lossagen mußte und
Haupt einer neuen, vierten Partei wurde. Sein Jdeal war
Disraeli-Beaconsfield, dem er so Manches glücklich abgeguckt hat.
Und dem er u. A. auch darin nachahmte, daß er das Haus ge-
wissermaßen zwang, ihn zu hören, die Tories nöthigte, ihn anzu-
erkennen und ihm einen Sitz im Cabinet zu geben. Kein größeres
Zugeständniß konnte dem sugendlichen Streber (nicht in dem auf
^em Contincnte üblichen Smne dieses Wortes) gemacht werden, als
k>aß man ihm, dem ontLnst stsrristls der Tories, in dem Tory-
cabinet einen Sitz einräumen mußte. Das Ministerium Salisbury
regierte zu kurze Zeit, als daß Lord Randolph hätte zeigen
können, daß seine Regierungskunst und staatsmännische Begabung
>nit seiner grobkörnigen Beredsamkeit gleichen Schritt halten.

Jst Lord Randolph, der Führer des Unterhauses, das in-
teressanteste, dann ist der Marquis of Salisbury, der jetzige
Führer des Oberhauses und Chef des neuen Cabinets, das be-
kannteste Mitglied des englischen Ministeriums. Auch Lord Salis-
bury war einmal das snstnnst stsrridls seiner Partei. Klüger
und gelehrter als die meisten Parteigenossen, dabei ein ge-
wandter Redner und Artikelschreiber, glaubte er seiner Partei
seine ultraconservativen Ansichten aufzwingen zu könncn, drang
aber nicht durch und zog sich, nachdem er die von ihm so leb-
haft bekämpfte Reformbill von seinen bisherigen Freunden Disraeli
und Derby hat durchführen sehen müssen, von seiner Partei etwas
Zurück, in der Mußezeit sich mit chemischen Experimenten und

Artikelschreiben für ultratorystische Zeitschriften beschäftigend. Lord
Salisbury, ein Nachkomme des berühmten Lord Burleigh, den
die meisten Leser wenn schon nicht aus der englischen Geschichte
so doch aus Schillers Maria Stuart kennen, ist jetzt 56 Jahre
alt, gehörte mit 27 Jahren schon dem Unterhause an und war
1866—68 Minister für Jndien. Jm Jahre 1874 wurde er
unter Disraeli, dem er übrigens nicht hold war, zum zweiten
Male Minister für Jndien. Als Solcher fing er an auch außer-
halb Englands bekannter zu werden. Er machte vor dem russisch-
türkischen Kriege die Rundreise an die europäischen Höfe, war
Vertreter Englands auf der Konstantinopeler Conferenz und 1878
zweiter Bevollmächtigter Englands auf dem Berliner Congresse.
Noch einmal sank sein Stern nach dem Tode Lord Beaconsfields,
als aber die Tories im vorigm Jahre sich plötzlich zur Regierung
beruseu sahen, übertrugen sie doch Lord Salisbury die Premier-
würde, die er nunmehr zum zweiten Male inne hat.

Den zur Zeit aus naheliegenden Gründen wichtigsten Posten
hat Sir Michael Hicks Beach erhalten. Er ist Staatssecretär
für Jrland, welchen Posten er unter Disraeli schon einmal inne
gehabt hat. Als Staatssecretär für Jrland sowohl wie als
Colonialminister hat Sir Michael dem Lande gute Dienste ge-
leistet, und, wenn es auch fraglich, mehr als fraglich ist, ob er
der jetzigen schwierigen Lage gewachsen sein wird, so herrscht doch
kein Zweifel, daß Lord Salisbury keinen geeigneteren Mann zur
Verfügung hatte. Hicks-Beach ist jetzt 49 Jahre alt.

Das Portefeuille des Aeußern, dessen Jnhaber sonst das
Ausland am ineisten interessirt, hat Lord Jddesleigh erhalten,
der als Privatsecretär Gladstones vor 40 Jahren angefangen
hat, aber conservativ geblieben ist, während Gladstone die bekannte
Wandlung durchgemacht hat. Lord Jddesleigh ist ein tüchtiger
Finanzmann, und überhaupt eine tüchtige Kraft auf jedem Minister-
posten. Ob er sich aber gerade für die Leitung des Auswärtigen
eignet, ist eine andere Frage. So lange keine ernstlichere Compli-
cation eintritt, ist Lord Jddesleigh auf diesem Posten so gut wie
auf jedem anderen. Sowie aber irgend eine internationale „Frage"
auftaucht, wird wohl Lord Salisbury der spiristns rsostor im
Auswärtigen Amte sein müssen.

Dem Debut des neuen Cabinets wird mit Spannung ent-
gegengesehen.

Ueber die Ernennung Lord Lo n d on der r y's zum Vice-
könig von Jrland sind die Jrländer geradezu außer sich. „Fre-
manns Journal" srägt, ob es ein unionistischer Theatercoup vdcr
nur ein widerliches Zusammentreffen sei, daß ein Castlereagh an
die Spitze der irischen Regierung gesetzt wird? „Wir wissen
weust'' von den Fähigkeiten Lord Londonderry's. Sein Name
wird ihn dem irischen Volke nicht empfehlen. Er wird hierher
kommen, um die verhängnißvolle von dem berüchtigten Castlereagh
inaugurirte Politik aufrecht zu erhalten, aber er wird das Volk
dieses Landes nicht aus so weichem Stoffe finden, wie sein Bor-
gänger." Aehnlich spricht sich „United Jreland" aus: „Man
könnte gar keinen beredteren Typus der Politik, die englische
Herrschaft mit Gewalt die Jrländer herumerwürgen zu lassen,
finden, als einen Vicekönig, der ein Abkömmling fft und dcnselben
Namen trägt, wie jener Halsabschneider und verruchte Uebelthäter
Castlereagh, der Urhcber der Union und Hohepriester aller jener
schmutzigen Corruption, durch welche sie ermöglicht wurde."

Jndessen scheint es neuerdings nach den halbamtlichen Ver-
lautbarungen, daß es nicht die Absicht der Regierung ist, Jrland
mit neucn Zwangsmaßrezeln zu überziehen. Lord Salisbury
soll sich vielmehr mit dem Gedanken einer Lösung der
irischen Frage auf friedlichem Wege tragen, doch verlautet
bisher nichts über die Einzelheiten seines Programms. Die
„Daily News", das Organ des verflossenen Cabinets Gladstone,

äußert sich über diesen Theil des Salisbury'schen Programms
wie folgt:

„Wer dieLausbahn des neuen Premierministers kennt, wird nicht
erstaunt sein, wenn er in wenigen Wochen ein gründlicherer
Homeruler wird, als Glodstone selber ist. Es mag gesagt werden,
daß er in diesem Falle von Lord Harlington und Chamberlain, sowie
auch von den reactionären Ulstertortes verlaffen werden würde. Ällein
die Unterstützung, die Lord Salisbury sicherlich von allen wahren
Liberalen empfangen würde in irgend einem wirklichen Versuchc, die
irische Schwierigkeit anzupacken und die zwei Läuder ein sür alle Mal
von derselben zu erlösen, würde ihn für diese unvermeidlichen Abfälle
mehr als entschädigen. Es liegt, wie Gladstone wiederholt gezeigt,
nichts Unvereinbares mit Toryprincipien in der Herstellung einer
irischen Legislatur, die Jahrhunderte lang vor 1800 existirte-"

So macht die Frage des irischen Homerule fort-
dauernd das gesammte politische Leben Englands erzittern und
wühlt die Parteiverhältnisse bis in ihre innersten Tiefen auf.
Die obige Prophezeiung der „Daily News" mag zweifellos über-
trieben sein, aber auch das Cabinet Salisbury wird sich der
össentlichen Meinung nicht entziehen und die irische Re-
formfrage nicht zu den Acten legen können. Stark genug
für die Durchführung einer großen Aufgabe, wie die
vorliegende, ist es, unvergleichlich stärker, als im Jahre 1885.
Damals war es ein Verlegenheitsministerium, heut ist es das
Resultat politischer Ueberzeugung der weitesten Volkskreise.

JnHeidelberg fand gestern Bormittag in der Heiligegeist-
kirche zur Einleitung der Iu b i l ä u m ss ei e r ein feierlicher Fest-
gottesdienst statt. Daran schloß sich um 11 Uhr der Festact in der
Aula der Universität, bei welchem der Großherzog und der Kronprinz
Ansprachen hielten. Die telegraphisch skizzirte Rede des deutschen Kron-
prinzen lautet:

„Se. Majestät der deutsche Kaiser bat mir den Auftrag zu er-
theilen geruht, Ew. K. Hoheit und den hier versammelten Vertretern
und Gästen der Universität Heidelberg Heilgruß und Glückwunsch zur
Jubiläumsseier zu entbieten. Es ersüllt mich mit Stolz und Freude,
Zeuge zu sein von der Begeisterung, mit welcher in diesen sestlichen
Tagen alte und junge Söhne der Ruperto-Carola sich um ihren fürst-
lichen Rektor schaaren, um mit ihm zurückzuschauen aus die ruhmreiche
Geschichte dieser Hochschule und mit Dank zu Gott inne zu werden,
daß sie in dem halben Jahrtausend ihres Beitandes nie glücklichere
Zeiten geschaut hat, als die, in denen wir leben. Begründet in der
ersten Frühe uiffercs Culturlebens hat die Heidelbergcr Universttät
alle die Schickungen an sich ersahren, welcbe dem deutschen Wesen inr
Ringen nach selbstständiger Ausprägung verhängt gewesen sind. Sie
bat wechselnd geblüht und gewelkt, geduldet und gestntten um Blaubens-
und Forschungsrccht, hat Trübsal und Exil erlragen, um endlich ge-
hoben von der starken und milden Hand ihrer erlauchten Beschützer
die ehrenvollen Wunden mit dem Festkleide des Sieges zu decken.

Wie dem deurschen Volke, um deffen höchste Güter sie sich redlich
verdient gemacht, so ist auch ihr ersüllt, was Jahrhunderte ersehnten:
Jhr Ebrenschild strahlt glänzender in der Sonne des einigen Vater-
landes! Mit tiefec Bewegung gedenke ich heute der großen Stunde,
da Ew. K. Hoheit als der Erste dem Führer unseres steghasten Volkes
mit dem ehrwürdigen Namen des Kaisers gehuldigt. Diese Erinne-
rung ist mir bedeutsam für die Feier, die wir jetzt begehen. Denn
voranzuschreiten mit großem und gutem Entschluß ist ein Anrecht des
erlauchten Zähringer Hauses und dieser ruhmvollen Universität.

Es ist die schönste Pflicbt meiner Sendung, rühmend zu bckennen,
'wie treu dies Heidelberg befliffen war die geistigen und sittlichen Be-
dingungen der Wiedergeburt unseres Volksthums zu Pflegen. Lehren-
den und Lernenden war von jeher hier die gasttiche Stätte bereitet.
! Aus allen Gauen strömten sie herzu und in den liebenden Armen dcr
.z.Iiua umter erkannten sie sich als Söhne der größeren Mutter wieder.
i So hat sich hier in der Stille des Studienlebens vorbereitet,
was uns Deutschen nach langen Jrrungen die Geschichte offenbart.
Jm Südwesten des Reichs, nahe der ehemaligen Grenze uud nahe
ber Gefahr, lernte der Sohn des Nordens den Sohn des Südens als
Bruder lieben, um beimgekehrt, den scbönen Glauben der Bolksgemein-
schast auszubreilen, der unser Hort und unsere Stärks ist.

Nun wird es wieder besitzen das Glück der Vereinigung, strömt
aus dem Ganzen ein krästigender Ooem zurück in die alte traute

Ieuilrekon.

„Ruperto-Carola". Mchdruck °-rb°t°n.,
(Zum 500jährigen Jubiläum der Universität Heidelberg.)

Von Conrad Alberti.

U.

Kurfürst Friedrich V. hatte sich verleiten laffen, im Jahre 1619
bie Krone Böhmens aus der Hand dcr Evangelischen anzunehmen-
Fn der Schlacht am weißen Berge büßle er scinen Ehrgeiz schrecklich.
Äls der „Winterkönig" verspottet und verhöhnt irrte er in der
Fremde umher. Jm Sommer 1622 erschien der furchtbare Tilly vor
Äeidelberg, am 19. September capitulirte die Stadt, und nuu begann
die fürchterlichste Verwüstung der Stadt und des ganzen Landes. Die
hochschule, obwohl nicht förmlich aufgelöst, war in ihrer Thätigkeit
lo gut wie lahm gelegt. Man weiß von der berühmten Zerstörung
Dkagdeburgs her, wie Tilly in den eroberten Städten zu wüthen
vflegte. Der fiirchterlichste Schrei des Entsetzens ging aber durch
s die Pfglz und die ganze gebildete Welt, als Maximilian I. von
Vayeru und Tilly Anstalten machten, den Stolz des Landes, die
Palatina aus Heidelberg fortschaffen zu laffen.

' Schon längst hatte man im Vatikan ein gieriges Auge auf
diesen kostbaren Schatz geworfen, und jetzt, nach Besiegung des ver-
baßten ketzerischen Feindes beschloß psäffische Hinterlist dem wehrlos
ain Boden Liegenden den schönsten Stein cms seiner Krone auszu-
^rechen. Auf 13 Frachtwagen führte der Grieche Allacci am 15.
! 8ebrnar 1623 die unschätzbaren Handschriften und Bücher nach Rom.
' ^ie, die eine ganze gebildets Welt noch Jahrhunderte hindurch er-
^uickt hätten, logen uun unbenutzt und unbeachtet im Vatikan. Erst
I8lg, nachdem Napoleon den Römern wieder einen Theil des Raubes
^bgenommen, gelang es den Bemühungen Hardenbergs und Wilhelm
> Humbolt's wenigstens eineu, wenn auch geringen Theil der ge-
nohlenen Schätze zurück zu retten.

Mit der Wegführung der Palatina war der Zusammenbruch der
uiversität so gut wie besiegelt, 1626 wurde nur noch ein einzigcr

Student in die Matrikel eingetragen. Aber der Geist der deutschen
Forschung war doch nicht zu zerstören. Nach einem vergeblichen Ver-
such im Jahre 1634 wnrde unter der Regierung Karl Ludwigs im
Jahre 1651 ernstlich bcgonnen, wie es in dem betr. Decret heißt:
„was zur Restanration, Aufnahme und Wachsthum dieser uralten,
hochprivilegirten Universität gereichen mag, neu ins Werk zu stellen".
sJnnerhalb weniger Jahre war, unter dem Rectorat des gelehrten
'Chuno, die Hochschule fast in ihrem alten Geiste wieder auferstauden,
!da wirkten wieder Männer wie Dankelmann, Heiniich Cocceji, Sa-
s muel Pufendors, glänzende Namen in der Geschichte der deutschen
s Rechtswifsenschaft. Giebt es wohl ehrendcre Zeugniffe für den echt
! wiffenschaftlichen Freisinn des hcchherzigen Karl Ludwig, als daß dicser
s die Uebertragung der Reichsrathswürde auf seinen noch die Hochschule
besuchenden Sohn als eine unwürdige Schmeichelei ablehnte und mit
i keinem Geringeren, als den damals wegen seinsr freisinnigen Anschau-
^ungen verhaßten und vcrtriebenen Benedict Spinozza, wegen einer
^Proseffur verhandelte, die letzterer abl hnte, weil er überhaupt nicht
! öffentlich lehren wollte. Auch sür die Wittwsn und Waisen der Pro-
! fefforen sorgte der Kursürst.

Da brack, kaum, daß die alte Ordnung und Größe wiederherge-
! stellt worden, das Verderben zum zweiten Mal herein, diesmal von
i Westen her. Der unersättlichen Ländergier nnd Raublust Ludwig XlV.
i mußte die Heirath der Tochter Carl Ludwigs , der berühmten Liese-
lotte — nach der Königin Luise von Preußen wohl die tragischste und
srührendste gekiönte deutschs Frauengestalt — mit dem Herzog von
!Orleans zum Vorwande seiner Ansprüche an die Pfalz gelten, und
'Louis gab, als solche Frechheit in die gebührenden Schranken zurück-
^gewiesen wurde, seinem schurkiscben Kriegsminister Lourris den be-
rüchtigten Befehl, äe brülei Is kalatinat. Wie blutgierige Hyänen
! fielen die Franzosen in die schöne gesegnete Pfalz ein, diesen herrlichen
! Winkel Deutschlands in kürzester Zeit in eine Wüste, ein Trümmer-
'und Leichenfeld verwandelnd, mit einer so ausgesuchten Grausamkeit,
! wie sie nur der Romane, niemals der Deutsche besitzen kann. Die
j barbarische, zwecklose Sprengung und Ausbrennung des Heidelberger
Schloffes, des schönsten Profanbaues der Pfalz, durch den Bluthund

Melac am 2. März 1689 bezeichnet den Höhepunkl dieser scheußlichen
Mordbrenuereien. Und daß es nicht etwa nur die Bosheit dcs Königs
und Melacs war, die also wüthete, sondern daß sich in diesen Ver-
wüstungen der Character des französischen Volks aussprack, beweist der
Umstand, daß hundert Jahre später, als die revolutionären Banden
unter Hentz in die Psalz einbrachen, dieselben nicht viel milder vor-
gingen als einst die Schaaren Melacs.

Jm Jahre 1698 versuchte sich die zum zweiten Mal gesprengte
Universität wieder zu Weinheim an der Bergstraße zu sammeln. Aber
die schmacbvollen und uncrguicklichen Kirchenhändel zwischen Reformirten
und Katholiken, der Wiederausbruch des Krieges, die Berlegung der
Residenz nach Mannheim erschwwsrte die Wiederherstellung der Hoch-
schule, so daß sie von 1705 ab nur ganz langsam vor sich ging. Alle
diese Uebelstände hätten ihre Wirkung indeffen mit der Zeit verloren,
schlimmer als alles Andere und auf lange hinaus die Kraft der Hoch-
schuls lähmend war die Auslieferung derselben an die Jesuiten. Was
Tilly und Lourris vergeblich versucht hatten, ihnen gelang es. Lang-
sam, heimlich wie Katzen, wußten sie sich von Frankreich her in den
Lesekörper der Hochschule einzuschleichen, erst zu zweien, dann zu
dreien, dann immer zahlreicher, erst vorsichlig und behutsam austretend
und wenig Anstoß erregend, dann nach und nach eine Kralle um die
andere vorstreckend, bis sie den Geist der freien Wiffenschaft völlig unter
ihre Füße getreten hatten, ohne daß mit Ausnahme des Astronomen
Majer unter ihnen ein einziger Mann von wiffenschaftlicher Bedeutung
gewesen wäre. Der schwache Kurfürst Karl Theodor wußte ihnen
nicht zu steuern. Was half ihre Aushebung durch den Papst Gang-
ganelli? Sie zogen ein anderes Gewand an und setzten als Laza-
risten ihre verderbliche Thätigkeit fort. Franziskaner, Carmeliter,
Dominikaner schritten in ihrem Gefolge, und bald war aus der freien
Hochschule ein mönchischer Convict geworden, und ein Seminar zur
Ausbildung von Missionären und zur Vergiftung des deutschen
Geistes. Es schien als wolle man mit Gewalt die Wissenschaft zer-
stören. Ketzerprozcffe wurden wieder hervorgeholt, wie in den ärgsten
Zeiten des Mittelalters, der Teufelsbeschwörer Gaßner ward gefeiert.
Mönche, die kein Wort lateinisch, griechisch uud hebräisch wußten, lasen
 
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