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erneren Ileberzeuguug, daß Ne der Kirche Deutschlands und der I
ganzen Well nützen werdcn. Wenn ich Jhncn dcn Dank aussprcchc
für' die freundtichen Worte. mit wetchem der Herr Vorredner des
Centrums gedachte, so wünsche ich nur, daß seine Gelöbnisie von der
Einigke it, welche unscre Wäh lerschaft u»d ihre Vertreler beseelt,
sich erfüllen möchten. Jn der großen Einigkeit der katholischen
Bevölkerung. in dem entschiedenen geschlosienen Zusammenhalten
unjeres Gesammteviscovats in dem einmüthigen Zusammengehen
des Centrums mit der Wählerschaft. die hinler ihm steht, in diesem
festen Zusammenschluß liegt unsere ganze Kraft und Hoffnung.

Heidelbcrg, 3. Kuguft. Ausführlichere Meldung. Heute früh
fand in der festlich geschmückten Heiligegeistkirche feierlichcr Gottesdienst
statt, an welchem sämmtliche hier anwesenden Fürstlichkeiten, Ehrengäste
und die Delegirten der Stadt theilnahmen. Die Festpredigt hielt
Prof. Basiormann, derielben lag der Gedanke zu Grunde: Bei Gott
sind 1000 Jahre wie ein Tag, bei uns aber 500 Jahre eine Ewigkeit.
Um 11 Uhr trafen die höchsten Herrschasten in der reich geschmücktcn
Univerfität ein. Jm Gefolge derselben befand sich der Cultusminister
Nokk und die Spitzen des Hofstaates. Jn dem neu hergerichteten
Vestibul, welches mit prächtizer Holzarbeit und kunstvollen historischen
Emblemen geschmückt ist, wurden die Herrschaften von dem Prorector
und dem engeren Senat empfangen und begaben sich nach einer kurzen
Besichtigung des Vestibuls uach der im ersten Stock gelegenen Aula.
Jn derselben waren etwa 400 Personen versammelt. darunter die
Dcputationen der auswärtigen Universitäten, die Ehrengäste, der aka-
demische Lehrkörper, die Ausschüsie der Studentenschaft, sowie die
Spitzen der Civil- und Militär-Behörden. Vesondcrs hervorzuheben
sind der Cultusminister v. Goßler, General v. Obernitz, Minister
Turban und Ellstätter. Unter den akademischen Gästen erregten das
lebhafteste.Jnteresie die Prosessoren Helmholtz, Mommsen, Treitschke,
Ebuard Zeller, Jhering und Eneist, sowie die französischen Aka-
demiker du Camp, Oppert, Zeller, Hermite und Lippmann.
Der Saal bot in seiner vornehmen Architectur und künst-
lerischen Ausschmückung, sowie in der reichen FLlle der

malerischen akademischen Trachten ein überaus reizvolles

Bild. 10 Minuten nach 11 Uhr verkündete der Marsch aus dem
„Meistersinger" das Herannahen des Großherzogs. Uuier Vorautritt
der Pedelle betrat dsr Zug den Saal. Erösinel wurde der Zug durch
Universitätsbeamte, dann folgte der engere Senat, der Prorcctor,
hierauf dcr Rector magnificentissimus, Se. K. Hohcit der Großherzog
mit Adjutanten, sodann Se. K. uud K. Hoheit dsr Kronprinz mit
Jhrer K. Hoheit der Frau Großherzogin von Baden, die Hosstaaten
und Minister Nokk. Der Großherzog nahm den erhöhten Rectorsitz
ein, vor wclchem die Szeptcr gekreuzt waren. Chorgesang leitete die
Feier ein. Der Großherzoz erhob sich von seinem Platze und richtete
an die Anwesenden, welche sich ebenfalls von ihren Sitzen erhoben
halten, die bereils aemeldete Ansprache. Hierauf verlaß der Kron-
Prinz mit weithin vernehmlicher Stimme die gleichfalls schon telegra-
Phirte Aurede. Der Prorector Betker, bereits geschmückt mit der vom
Großherzog soeben gestisteten Ebrenkeite, begrüßte nun die Versamm-
lung in kurzer gedankenreicher Rede. Hieraus sprach der Unterrichts-
tninister, welcher im Namen des gesammten Ministeriums als Geschenk
eine Reproduction der der Universität verloren gegangenen berühmten
Handschrift der Minnesingerliedcr überreichte. Nach dem

Minister sprach im Namen der Ständekammern der Präsidentder zweiten
Kammer, Lamey. Dann begannen d!e Anreden der. Deputationen,
eröffnet durch die in ilalienischer Sprache gehaltene des päpstlichen
Vibliothekars Stevensons. Jn der Antwort auf dieselbe hob der
Prorector hervor, daß die Sendung Stevenson's überall in Deutsch-
land als ein Zeichen dcr ersehnten Herstellung friedlicher
Zustände angesehen werde. Es folgte Geheimrath Eduard
Zeller, welcher im Namen aller deutschen UniLersiläten,

Academien und technischen Hochschulen sprach. Hieran schlosien sich
die Ueberreichungen der Widmungen und Adresien der einzelnen Uni-
versitäten, dcren Bertreter ihre Gaben auf dem Tisch vor kem Groß-
herzog niederlegten. Der Präsident des Jostituls von Fraukreich,
Jules Zeller, der letzte Rector dei Straßburger Uuiversität, sprach im
Namen aller fremden Universitäten und Academien, worauf die
frcmden Corperalionen einzeln ihre Gaben darreichten. Nach weiteren
Anreden des Präsidenten des Obcr-Kirchenraths, Stösier, des Archiv,
Directors v. Wecch, des Oberbürgermeisters Wilckens, welcher im
Namen der Stadt cine prachtvolle Vüste des Großherzogs überreichte,
fowie nach einer Ansprache des Schweizer Bundesrichters Morel schloß
die Feier mit Musik. Der Zug verließ die Aula in derselben Ordnung
wie cr gekommen. Bei dem Verlaffen der Universität wurden die
Fürstlichkeiten mit enthusiastischen Ovationen begrüßt. Bei dem
Prorector faud Nachmittags ein Diner statt, an welchem die Minister
Goßler und Nokk, sowie der Päpstliche Gesandte, viele officielle Persön-
lichkeiten und Ehrengäste Theil nahmen.

Das Schloßseft hat heute Abend bei kiihlem, aber klarem Wetter
stattgesunden uud ist äußerst glänzend oerlaufen. Tausende von zum
Theil sarbigen Lampions markirten die Architektur des Schlosies,
welchcs außerdem noch mit electrischem und anderem Lichte erleuchtct
wurde. Gegen 7000 Personen waren im Schloßhof. auf dem Balkon
und in dem Garten anwesend. Der Staat hatte die Bcwirthung der
Gäste übernommen. Um 8 Uhr erschienen Jhre Kgl. Hoheit der
Großherzog und die Großherzogin. Se. K. und K. Hoheit der Kron-
prinz, sowie die Prinzen Ludwig und Carl. Jn dem sogenannten
Landhause, welches mit Gobelins prachtvoll geschmückt war, hatten
sich die Ehrengäste, die Delegirten, sowie die Profesioren der Heidel-
berger Universität sakultätsweise versammelt. Die Dekane stellten
die Herren ihrer Gruppen den höchsten Herrschaften vor. Der Groß-
herzog und der Kronprinz unterhielten sich in der leutseligsten Weise
mit den Anwesenden; die sranzösischen Delegirten wurden von allen
Herrschaften in eine längere Unterhaltung gezogen. Die Präsiden
sämmtlicher studentischer Verbindungen wurden dem Kronprinzen vor-
gestellt, der für jeden einige freundliche Worte halte. Die Frau Groß-
herzogin ließ sich die Gemahlinnen sämmtlicher Professoren vorstellen.
Um 10 Uhr verließen die Herrschaften das Sckloß unter enthusiastischen
Kundgebungen der Anwesenden- Das Fest selbst fand erst in später
Nacht sein Ende.

Lesterreich-Ungarn

Wic». Man meldet der „Voff. Ztg.": Tisza ist auf der Durch-
reise nach Jschl hier eingetroffen und hat eine lange Conserenz mit
Kalnoky gehabt. Unterrichtete Kreise meinen, daß der Ersolg von
Tisza's Jscbler Reise ein vollständiger setn und der ungarische Cabinets-
chef in die Lage kommen werde, das Land vollkommen zu beruhigen.
Die österreichlsch-ungarischen Berhandlungen über den Zolltaris be-
ginnen Ende August, der ungarische Gegenvorschlag ist bereits ausge-
arbeitet. Der ungarische Handelsminister Szechenyi ist in dieser An-
gelegenheit hier eingetroffen. Die Czechen agitiren sür Einberusung
einer Conferenz von Abgeordneten der Rechten behufs Berathung und
Feststellung eines gemeinsamen Programms, welches auch bezüglich
! des Ausgleicbs mit Ungarn sür alle Fractionen bindend wäre. Von
! der Erfüllung dicses Programms würde die weitere Unterstützung des
Cabinets abhängen.

Pcst, 3. August. Verschiedene ungarische Blätter besprechen die
Abrcise des ungarischcn Minister-Präsidenten nach Jschl und geben
der zuversichtlichen Hoffnung Ausdruck, daß das Resultat dieser Reise
die endgiltige Beilegung der Edelsheim-Janski-
Afsaire sein werde.

„Nemzet" spendet heute dcr gemeinsamenArmee eine
Genugthuung, indem er gleichzeitig in einem geharnischten
Artitel gegen jenen Theil der Wiener Presie wettert, welcher di^
jüugstcn, der Regierung seindlichen Kundgebungen in der Edelsheim-
Janski-Affaire und das Resullat der vorgestugen Volksversammlung
als die Kundgebung maßgebender politischsr Kreise Ungarns hinstellt.
Das gouvcrnementale Blatt schreibt: „Jn llngarn ist Nie-
ma: d dcr ge m e i n s a m e n A r m e e feindlich gesinnt,
im Grunde genommen nicht einmal Jene, welche aus bedauerlichen
Anläiien gegen dieselbe agitiren- Die nüchternen Factoren halten den
bewassneten Arm der Monarchie und den directen Schutz Ungarns in
Ehrcn. Ungarn verschließt sich nicht der gerechten Auffasiung, daß sich
die bewaffnete Macht des Staates selbst in der französischen Republik
eincr bevorzugten Ausnahmsstellnng crfreut; nicht zu sprechen von
jener Stellung, welche der Militarismus in seiner Heimalh, in Deutsch-
land, einnimmt, und eben deshalb, weil eine solche Anschauung in
Ungarn und bcsonders in drsien ruhigen und maßgebenden Kreisen
herrscht, muß nicht nur Ungarn, sondern auch die Mon,
archie verlangen, daß die Besorgnisse dieser
Kreise zerstreut werde n."

Frankreich.

Ug. Paris, 3. Augnst. Gegen General Boulanger haben die
Monarchisten mit großer Meisterscbaft operirt, um ihm eine recht
gründliche Blamage zuzusügen. Sis haben ihm mit der Verösfent-
lichung des ersten angeblich von ihm an den Herzog von Aumale ge-
richteten Brieses eine Falle gestellt, nni ihn dann durch authentische
Beweisstücke gleichzeitig der Kriecherci und der Unansrichtigkeit über-
führen zu können. Ueber diese neueste Entwicklung der Angelegenheit
meldet man uns:

Die monarchistischen Organe bringen das Facsimile der
Briefe Boulangers. Der Kriegsminister erkiärte einem Re-
dacteur des „Matin", nur der zuerst in einem Brüffcler Jonrnal
publicirte, vvn Pariscr Blättern reproducirte Brief sei gefälscht; die
gestern von Royalistenblättern veröffentlichten Briese seien echt.
Lie „Republique fransaise", „Paris" und „Journal des Debats"

wiederholen ihre früheren Angriffe gegen Boulanger- Fast alle übrigen
republikanischen Journale, auch Rochesort im „Jntransigeant", ver-
theidigen ihn. Lie „Justice" Clemenceau's veröffentlicht nur die
officiöse Note über den Zwischenfall.

Abgesehen von dem der Form nach unrichtigen, zuerst im „Journ
de Brux." veröffentlichten Briefe, liegen jetzt die folgenden Bittge-
suche und Dankschreiben des strebsamen Generals an den damals
sehr mächtigen „Monseigneur" vor, die mit einem Begleitschreiben des
Herrn Linibourg, des Vertrauten des Herzogs von Aumale, den con-
servativen Zeitungen zugesandt wurden:

1) Bittgesuch des Obersten Boulanger vom 3. Januar 1880:
„Jch habe keine andere Stütze als diejenize der Generale, unter deren
Befehlen ich gedient habe. Jch bitte Sie deshalb, mich bei der Be-
sörderungscommission, in welcher Sie aus vielen Gründen sicher eine
überwiegende Stellung einnehmen, unterstützen zu wollen. Jch spreche
Jhnen nicht von meinen Diensten: Sie wiffen, wer ich bin. Jch er-
laube mir nur Jhnen zu sagen, daß ich der dreizehnte Jnfanterie-
Oberst bin, der auf Grund der Generalinspection des Jahres 1873
zum Ärigadegeneral vorgeschlagen wurde und daß, wenn die heute be-
stehenden Vakanzen aufgesüllt würden, ich bcinahe der achte wäre.
Unter diesen Umständen hoffe ich stark und auf Jhr mir bisher ge-
zeigtes Wohlwollen rechnend, bitte ich Sie, Monscigneur, mit der
neuen Bezeugung meiner Dankbarkeit, die Versicherung meiner achtungs-
vollsten und ergebendsten Empsindungen entgegen zu nehmen."

2) Ein Brief vom 13. Februar 1879, der llbrigens nur in den
Ausdrücken gewöhnlicher Höflichkeit dem das Commando des 7. Corps
niederlegenden Herzog den Scheidegruß des Obersten Boulanger und
der Osstciere seines Regiments übermiltelt.

3) Die Danksagung des Generals Boulanger an den Herzog nach
seiner Veförderung zum General vom 8. Mai 1880:

„Monseigneur! Sie sind es, der Sie meine Beförderung zum
Vorschlag gebracht haben; Jhnen danke ich meine Ernennung. Daher
bitte ich Sie, bis es mir vergönnt sein wird, Jhnen mündlich bei
meiner ersten Reise nach Paris meinen lebhaften Dank darzubringen,
den Ausdruck desselben gsnehmigen zu wollen. Jch werde jeder Zeit
stolz sein, unter einem Führer, wie Sie, gedienl zu haben, und ge-
segnet wäre der Tag, der mich unter Jhr Commando zurückriefe.
Geruhen Sie, Monseigneur, die Versicherung meiner tiefsten und ehr-
erbietigsten Hingebung entgegennehmen zu wollen."

Der Sinn dicses Briefes ist vollkommen gleichbedeutend mit dem
zuerst vom „Journ. de Brux." veröffentlichten, obgleich der Wortlaut
davon abweicht. Fast hat es nun den Anschcin, als ob jene Fälschung
nur veröffentlicht wäre, damit die rcpublikanischen Pariser Blätter
den Bries ableugnen und der ursprüngliche Text dann um so wirk-
samer an's Licht gezogen werdcn könnte. So muß man wenigstens
aus einer Note schließen, welche ihm im „Soleil" sowohl als im
„Figaro", im „Gaulois" und sogar im „Journ. des Deb." überein-
stimmend als Einleitung dient.

Die Agentur Havas theilt den Blättern solgende Note mit,
durch die General Boulanger seinen Brief zu erklären glaubt:

„Das „Journal de Bruxelles" brachte und eine große Anzahl
von Älättern druckten einen lächerlich unterwürstgen Ärief nach, der
angeblich im Jahre 1880 von dem Gsneral Boulanger an „Seine
Königliche Hoheit, Monseigneur den Herzog von Orleans" gerichtet
worden wäre. Der Minisler hat diesem Ärief ein formelles Demenli
entgegengestellt und beharrt dabei. Was die anderen Briefe anlangt,
banale Formeln von Höflichkeil oder osficieller Dankbarkeit, die von
einem Osficier an seinen hierarchischen Vorgesetzten gerichtet wurden,
so ist es dem Gencral Boulanger unmöglich, heule über deren genaue
Fassung zu discutiren; allein er verzichket auf das Recht, das der
Verfasser eines Vriefes besitzt, sich seiner Beröffentlichung zu wider-
sctzen, und wllnscht, daß alle Briese, die er unter diesen Umständen
geschrieben, getreu wiedergegeben werden mögen."

Das opportunistische Paris schreibt:

„General Boulangcr liefert uns augenblicklich ein Schauspiel, das
für das sranzösijche Gewiffen nur wenig erfreulich ist. Es berührt
in der That schmerzlich, einen Kriegsminister, einen Soldaten stch in
falschen Ausflüchten aller Art, in jämmerlichen Haarspalteleien, ja so-
gar in unwürdigen Entstellungen der Wahrheit erschöpfen zu sehen,
um glauben zu machen, daß er nicht vor sechs Jahren Briefe mit den
herzlichsten Versicherungen der Ergebenheit an einen damals mächtigen
Prinzen geschrieben uno unterzeichnet hat. Dieje Briefe cxistiren und

sind teider authentisch. Wir können nicht umhin, welch her-

vorragende Eigenschaften dieser geschästige Soldat auch haben mag,
uns zu fragen, ob das Jntereffe der Republik und Frankreichs es er-
heijcht, an der Svitze unserer nationalen Streitkräfle' einen solchen
Mann zu lassen, dem man derarlige^ Borwllrfe in's Gesicht schleudern
kann und desien Gedächlniß in gewissen Fällen, ein so kurzes ist!. -."

Ueber die gestern stattgehabten Generalrathswahlen
schreibt der „ Temps ":

„Zu wählen waren gestern 14 ll Generalräthe für die Cantone,
welche ihre ausscheidenden Gsneralräthe zu erneuern hatten, und
18 Generalräthe in Cantonen, in denen durch Temission oder Ableben
Vacanzen waren, im Ganzen also 1432 zu wählende Generalräthe.
Diese 1432 Vertreter bestanden aus 1002 Republikanern und 430
Reactionären. Wir geben heute die Resultate von etwa 1200 Can-
tonen. Die Republikaner gewinnen hisher 80 Sitze und verlieren
beren 79. Stichwahlen sind in etwa 150 Cantonen. Die Republikaner
behalten die Majorilät in allen Departements, wo sie dieselbe bisher
(Fortsetzung in der Beilage.)

schwarzen Augen gespenstisch hervorleuchtete, wirkte in seiner Weise er-
schütternd. Wer dasselbe sah, fand sich nicht versucht, ganz nahe heran
zu gehen. Man mußte es viclmehr aus einer gewiffen Entfernung
betrachten, um den vollen Eindruck davon zu haben.

Das bemerkte auch Erna, ols sie nach langsamem Vorwärts-
schreiten wieder stehen blieb, um einen orientirenden Vlick umher zu
nwrsen. Beim flackernden Schein des hin und her bewegten Wachs-
lichtes gesehen, schien dcr schwarzc Ritter Gestalt und Leben zu ge-
winnen. Es war, als wenn er aus seinem düsteren Rahmen hervor-
treten und Erna folgen wolle durch die lange Reihe derer von Selchow,
welche zu beiden Seiten des Saales mit gleich crnsten Mienen auf
die Störerin ihrer vielhundertjädrizen Ruhe herabblickten. Das Bild
nahm die Mitte der obsren Schmalwand ein; von ihm sührte ein
breiter Teppichstreifen durch den parquetirten Saal nach desien an-
derem Ende. Porträts in großen und kleinen Rahmen bedeckten die
Wände, längs denen antik geschnitzte, mit buntbedrucktem Leder über-
zogene Sesselaufgestellt waren. Dieseund am fernerenEndeein geschnitzter
Eichenlisch bildeten das ganze Ameublement des Saales.

Die Längswand war auf der Jnnenseite Von vielen Thüren durch-
schnitten, auf der anderen wölbtcn sich mehrere hohe Fensterbögen.
Diese waren aber mit dunklen schweren Portisren verhangen, so daß
der Saal ganz finster war. Slellenweise hatten sich aber doch die
düsteren Draperien verschoben, hie und da hatten auch die Ernas
Licht umflatternden Mottsn ein Loch hineingefreffen, und durch diese
runden oder schmalen Oeffnungen drang überall das gespenstische
Mondlicht. Motten und Staubatome ftiegen in demselben auf und
nieder, und wo cs anf Parquet oder Wand siel, beleuchtete es dicke
Lagen von Staub und Spinnengeweben, welche sich nur im Laufe
vieler Jahre hier angehäuft haben konnten.

Erna blickte mit leisem verwunderten Kopffchütteln umher. Sie
hatte bisher keine Ahnung Von dem Vorhandensein dieses Saales ge-
habt. Die Baroniu hatte ihr gesagt, daß der alte Theil des Schlosies
ganz verödet und so bausällig sei, daß ihn Niemand ohne Gefahr be-
treten könne. Darum waren alle dorthin führenden Thüren verschlosien
und die Baronin selbst bewahrte die Schlüffel zu denselben.

Erna wollte zuerst seiiwärts abschwcnken, mn aus dem düsteren
Saal heraus in lichtere Räume zu kommen; aber dann überlegle sie,
daß es besier wäre, wenn sie aus der nächften Umgebung der geheimen
Thür spurlos verschwand, und das konnte sie nicht, wenn ste das
mit einer dicken Staublage bedeckte Saalparquet betrat. Mit Sicher-
heit durchsuchten die sie verfolgenden Beamten auch das alte Schloß,
und dann konnten ihnen die bestimmt begrenzten Fußabdrücke uicht
entgehen. Gelang es ihr, überhaupt keine Spur ihrer Wanderung zu
hinterlaffen, so war das für die Versolgung sehr erschwerend. Man
suchte dann nach einem Versteck, während sie längst im Freien schwärmte.
Darum blieb ste auf dem Teppich; derselbe war sehr weich und der
Staub darin zu tief eingenistet, um eine erkennbare Spur zurückzu-
lasien.

Sie durchschritt den Saal und sah sich nun dem Haupteingang
desielben gegenüber, einer hohen weißcn Flügelthür mit reicher Ver-
goldung, diese war natürlich verblaßt, das Weiß ergraut. Sie warf
von hier noch einen scheuen Blick zurück und als die Augen des un-
heimlichen schwarzen Ritters auch jetzt noch aus ihr ruhten, ging sie
rasch hinaus.

Jn dem zunächst Letretenen Zimmer herrschte eine große Unord-
nung. Ein Tisch und mehrere Slühle waren umgestoßen, Scherben
von Vasen bedeckten den Fußboden, Bilder und Wände zeigten nur
zu deutlich die Spuren eines Kampfes, welcher hier getobt hatte.
Und man hatte Alles so belasien, wie es war. Aus Allem lag dieselbe
hohe Staubschicht, derselbe Bezug von Spinngeweben wie in dem an-
grenzenden Ahnensaale. Merkwürdig!

Erna irrte weiter, Alles das nur flüchtig bemerkend. Sie durch-
schritt noch mehrere verblichene Prunkgemächer, welche ebenfalls Vom
Staub der Jahre beschüttet waren.

Mehrfach hörte sie hinter den nur noch lose befestigten Tapeten
etwas regenartig berabrieseln — das unverkennbare Geräusch zer-
bröckelnder Wände; auch die Dielen knarrten und bogen sich bedenklich
unter ihren leicht darüber hingleitenden Tritten. Das war aber kaum zu
verwundern in Räumen, welche so lange nichtchetreten und nie mehr ge-
lüstet worden, und noch kein wirklicher Beweis sür die von der Baronin

erwähnte bedrohliche Baufälligkeit des alten Schlosies. Freilich, das
Wachskerzchen, welches Erna in der Hand trug, verbreitete kaum sovie
Licht, als genügte, um sie vor zu unsanfter Berührung mit den frei
umherstehenden Möbelstücken zu bewahren, und die blendenden Schlag-
und Skreiflichter, welche hier und dort das Mondlicht durch die de-
fecten Fensterbehänge hereinsandte, dienten nur zur Erhöhung der sie
umlagernden Finsterniß. So war es wohl möglich, daß Wände und
Decken gefährlicke Risse und Sprünge hatten, welche nur die Nacht
und die Tapeten Ernas Augen verbargen.

Warum aber dieser gänzliche Verfall?

Wenn der Baronin Mittel so bcschränkt waren, daß sie eine
Restauration des alten Schlosies nicht bewerkstelligen konnte, so hätte
sie doch zum Mindesten die Einrichtung und besonders die Gemälde
Vor dem Untergange bewahren können und müssen.

(Fortsetzung folgt.)

Thsater, Kmrst und Literatur.

— Fräul. Adele Hell vom Hofburgtheater in Wien tritt am
morgenden Donnerstag als Gertrud in Freytags „Graf Waldemar"
ihr hiesiges Engagement an. Die Künstlerin ist bereits auf drei
Jahre (unter dem Lblichen Vorbehalt desinitiver Entscheidung nach ein-
jährigcr Thätigkeit) sür das kgl. Hoftheater verpflichtet. Ursprünglich
sollte Fräul. Hell als Gräfin Ruthland in Laubes Trauerspiel „Graf
Essex" auftreten, doch hat diese Vorstellung wegen Behinderung des
Fräul. Flössel auf nächste Woche verschoben werden müsien.

— Das am Sonnabend im Residenztheater beginnende Gastspiel
der englischen Opern-Gesellschaft hat dem Direclor Carte
keine geringen Opfer auferlegt: er muß ein eigenes, 37 Mann starkes
Orchester von Leipzig hierher dirigiren, da alle heimischen Kräfte
gegenwärtig so sehr in Anspruch genommen sind. Vom Stadtrath
mußte die Erlaubniß zur Aufstellung einer Locomobile im Garten des
Residenztheaters eingeholt merden, damit der elektrische Betrieb für
die constante Bühnenbeleuchtung in's Werk gesetzt werden kann. Ter
(Fortsetzung in der Beilage.)
 
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