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Unders läßt sich der „ I n t ra n s > g e a n t" , das Blatt Roche-
sort's, verrehmcn:

„Die französische Presie aller Scbattirungen erzählt, ohne den
geringsien Commentar beizusügen, daß Herr Maxims du Camp die
französische Akademie und Herr Jules Zeller das „College de France"
nnd das Jnstitut in Heidelberg vertreten. Der Erstere, ivelcher offen-
bar den Prussiens und den Unter-Prussiens weniger grollt, als der
Commune und ihren Vertheidigern, hat sogar, ohne sich bitten zu
lassen. den Auftrag angenommen, die Eröffnungsrede des Großherzogs
ins Französische zu übersetzen. Das ist ja recht hübsch! Solche
Patrioten laffen sich durch nichts abschrecken. Es fällt ihnen nicht
einen Augenblick ein, daß ihre Pflicht sie anderswohin rusen und ihre
Würde sie zu Hause zurückhalten würde, Ach nein! Sie ziehen über
den Rhsin, scharwänzcln vor dem Sieger und klatschen zu den unver-
meidlichen Lobhudeleien aus die deutsche Mackt Beifall. Wir selbst
sind der Brüderlichkeit der Wisienschasl nicht abgeneigt und begreisen
nicht recht, was man unter feindlicker Grenze versteht, wenn es sich
um geistige, moralische, wissenschasiliche, staatswUthsckaftliche Dinge
handelt. Noch weniger aber begreifen wir, daß das, was Akademikern
erlaubt sein soll. eine Ungeheuerlichkeit wird, wenn die Socialsiten
beider Länder es sich berausnehmen und einander die Hände reichen.
Wie hat man nicht geschrieen, wie ist man nicht in laute Entrüstung
ausgebrochen, weil Arbeiter, Opler gleicher Tyranneien, sich zu gleichen
Zukunftsträumen verstiegen und in einer gemeinschaftlichen Hoffnung
verbanden. Sie thaten es nickt einmal osficiell als Vertreter anei-
ckannter Körperschasten, sondern schlosien uur in der Stille unter sich
Frieden und überließen den Führern, den Gebietern, den Regierenden
die Sorge und die Verantwortung für die Schlachtfelder. Nicht dem
glücklichen Corsaren brachten sie ihren Beistand und ihre Sympathien
dar, sondern ihren Opfern, den Opfern der Ehrgcizigen und der
schamlosen Capitalisten, Denen, welche leiden, wie sie selbst. Sie boten
den gemeinen Soldaten einen Waffenstillstand an, blieben aber dabei
dem gebeiligten Haffe der Capitalisten der oberen Regionen treu.
Hatten sie etwa Unrecht? Jn diesem Falle möge man uns erklären,
worin die Herren Zeller und Maxime du Camv Recht haben, sie, die
mit Speichelleckereien für Deutschland bsaustragt sind."

Türkei.

Ueber den M orda n fall gegenden Großvezier wer-
den dem „Reuter'schen Bureau" von seinem Konstantinopeler Corre-
spondenten die nachstehenden Einzelheiten berichtet: „Am vorigeu
Sonntag, Mittags, als der Großvezier seine Equipage verließ, um
behuss Uebernahme des Vvrsitzss bei einer Ministerberathung die
Psorte zu betreten, feuerte ein Muselmann 3 Revolverschüsse auf Se.
Excellenz ab. Der Altentäter versuchte noch zwei weilere Schüsie ab-
zugeben, aber dic Patronen vsrsagten. Die drei Kugeln hatten die
Seite der Equipage durchbohrt, ohne indeß Kiamil Pascha zu berühren.
Der Uebelthäter wurde sosort verhaftet, und es stellte sich heraus, daß
er ein Mouhadjir aus Adrianopel ist, d. h. ein Flüchtling aus der
Zeit des letzten russisch-türkischen Krieges, und seines Gewerbes ein
Uhrmacher. Er erklärte, daß er wegcn der Ungerechtigkeit, die er cr-
litten habe, Kiamil Pascha zu tödten wünschte. Letzterer hatteHasian
Fehmi Pascha während desien Anwesenheit in London im Justizmini-
sterium vertreten- Der Sultan ließ sich den Mann vorsühren, und
besragle ihn selber, um festzustellen, ob seine That nur rein persönlicben
Motiven enlsprang, oder einer Combinatwn unter den Mouhadjirs
zuzuschreiben war, die schon seit geraumer Zeit Erbitterung gezeigt
haben, da vorgeschlazen wurde, sie zum Militärdienst heranzuziehen,
von dem sie bisher besreit waren. Andere Berichte stellen den Atten-
täter als einen Menschen dar, desien Verstand schon vor mehreren
Jahren durch den Verlust eincs Procesies gelitten hat. Die Mit-
glieder dos diplomatischen Corps haben den Großvezier zu seincm Ent-
rinnen aus der Gefahr beglückwünscht. Konftantinopeler Journalen
ist es obsolut untersagt worden, irgend Etwas über den Gegenstand
zu veröffentlichen; auch durfte kein dariiber handelndes Telegramm
nach dem AuSlande abgehen."

Jtalien.

Der in Rom geführte Landssverrathsproceß gegen
den Franzosen Des Dorides und die beiden mitangeklagten
Jtaliener, Vrüder Vecchi, hat einen eigenthümlichcn Verlauf
genommen, über welchen die heute vorliegende „Opinione" berichtet.
Als der Präsident des Gerichtshofes dcm Staatsanwalte das Wort
ertheilte, forderte derselbe die Geschworenen auf, ihr Verdickt mit
„Nichtschuldig" abzugeben, da sie gemäß der erfolgten Beweis-
aufnahme gar nicht anders urtheilen könnten. Der Staatsanwall
sügte hinzu, daß es eine Pflicht der Gerechtigteit gewesen wäre, die
Angelegenheit bis aus den Grund zu prüfen, so daß man nunmehr
stchz auf das Ergebniß sein könnte, daß in Jtalien keine Baterlands-
verrälher existircen. Nach dieser Reds des Staatsanwaltes verzichte-
ten sämmtliche Vertheidiger auf das Wort und die Geschworenen ver-
kündeten nach einer nur füns Minuten währenden Berathung ihr
„Nichtschulvig", worauf der Präsident des Gerichtshofes das frei-
sprechende Urtheil publicirte und die Freilassung der Angeklagten

»I« !I»II! ... !M ... 'Il^s!^''1MiT^

verordnete. Der Vorsitzende ließ sich aber die Gelegenheit zu einer
politischsn Kundgebung nicht entgehen, indem er an den sreige-
sprochenen Franzosen nachstehends Ansprache richtete:

„Sie, Charles Des Dorides, Franzose, der Sie des Verrathes
gegen Jtalien angeklagt waren, sind von den italienischen Geschwore-
nen freigesprochen worden. Jtalienische Bürger und Soldaten haben
Jhre Unschnld verfichert. Lassen Sie Jhre Nation wisien, wie in
^talien Gerechtigkeit geübt wird."

Jn welcher Art die Brüder Vecchi „Landesverrath begingen," er-
hellt unter anderm daraus, daß sie während der französischen Expe-
dilion gegen Tunesien ihrem Correspondenten des Dorides die über-
triebensten Angaben über die italienischen Slreitkräfte zur See machten-
um den Franzossn Besorgnisie vor der italienischen Marine einzuflößen.
Wie aus Paris gemeldet wird, hat daselbst das Urtheil der römischen
Geschworenen einen sehr günstigen Eindruck gemacht.

Aus der Beweisausnahme verdient noch die Aussage desAdmi-
rals Grafen Albini als bemerkenswerlh hervorgehoben zu
werden. Derselbe bekundete:

Jch halte dicsen Proceß sür lächerlich und kann nur wünschen, daß
er bald beendigt werde, damit man im A u s la n d e n i ch t zu dem
Glauden verleitet werde, wir bauschten die Mittheilung
werthtoser Papiere zu einer Hochverrathsaffaire auf. — Der Präsident:
Das Ministerium und der Admiral Racchia aber theilen nicht Jhre
Meinung. — Der Admiral: Jch beharre bei meiner Ansicht. Als die
bewußten Papiere aufgefunden worden, war ich selbst Chef der Marine-
artillerie. Unglücklickerweise befand ich mich damals nicht in Rom;
wäre ich hier gewesen, so würde ich die Bestrafung des Lionello Vecchi
auf dem Privatwege veranlaßt habe», nie aber einen Kriminalproceß.
Meine Ausiage gewinnt durch den Umstand an Gewicht, daß ich selbsi
die genannte Prüsungscommission geschaffen u»d ihre Statuten ver-
faßt habe. Die Monatsberichte waren nur ein Verzeichniß der Ar-
be>ten und gaben dein Ministerium Kenntniß von dei» Standpunkts
der Experimente; ferner diente» sie zurZusammenstellung der Budget-
vorlage für das Parlament. Dieselben habon durchaus keinen geheimen
Charakter und sie gelten amtlich nicht als reservirt, schon desbalb,
weil die Commission sich nichl mit geheimen Dingen beschäftigt, inso-
sern die fremden Mächte unser ganzes Kriegs-
material eben so gut kennen, wie wir das
i h r i g e. Jn Bezug auf andere Dinge giebt es Geheimnisse, be-
treffs der Waffen dagegeu nicht." — An diese Erkläxung knüpfte dann
Admiral Graf Nlbinr eine längere Beschreibung des Waffen- und Mu-
nitionsmaterials und nennt die ausländischen Fabriken, woher es be-
zogen wird.

Der lctzte Sachverständige, Contreadmiral Cerruti, erklärte seine
vollkommene Uebereinstimmung mit den Aussagen seines Kameraden
und sügt hinzu, Vittorio Vecchi habe längere Zeil uuter seinem Be-
fehle gedient, und er habe bei demselben immer einen großen Hang
zu journatistiscker Tbätigkeit wahrgenommen. Ueber die Neugier des
Grafen Des Dorides, Dinge zu ersahren, die jedem Fachmann bekannt
sind, für eincn Laien gar kein Jnteresie haben können, machte der
Admiral sich lustig.

Nach einer derartigen Beweisaufnahme konnte dann die Frei-
sprechung der Angeklaglen nicht zweifelhaft sein.

Spanien.

Die Ministerkrisis ist vorläufig glücklich vorübergegangen. Es
war nake daran, daß das ganze Ministerium in die Brüche ging, aber
es isi dem gewandlen Prcmier noch einmal gelungen, seine bunte
GeselUchaft im Cabinet beisammen zu hallen. Camacho hat bekannt-
lich sckon mehrmals zurücktreten wollen, da der Eifer, mit dem er
seine durchaus nothwendigen finanziellen Reformen durchführen will,
nirgends ein sympathisches Echo findet; aber er ließ sich immer wieder
zuni Bleiben bewegen, da man ihm begreiflich machte, daß sein Rück-
zug das Signal zum Zusammenbruch des gesammten liberalen Cabinets
geben würde. Daruni herrschte auch große Verlegenheit, als er dies-
mal auf seinem Entschlusie, zurückzutreten, beharrte; um so mehr, da
andere Minister, wie Jovellar und Montero Rios, verlauten ließen,
duß sie Camacho nicht allein gehen lassen würdcn. Die allgemeine
Ministerkrisis wurde nur dadurch verhütet, daß diese Miuister durch
das Motiv, ihr Rücktritt würde das ganze liberale Cabinet ruiniren,
zum Bleiben sich bewegen ließen und daß Sagasta eine politische
Verschiebung im Cabinet durch die Ernennung eines Finanzministers
Vermied, der politiich ziemlich unbedeutend ist und von dem man nur
weiß, daß er die Jdeen Camachos in Finanzsachen theilt, ohne desisn
Hartnäckigkeit zu besitzen.

A'Mes Mh Süchßsches.

Dresden, 7. August.

— Das Urtheil in dem Freiberger Socialiftenproceß
wird noch lange besprochen werden. Wird es aufrecht erhalten, woran
ja kaum zu zweifeln ist, so ist die Socialdemokratie in der That auf
den Weg der Geheimbündelei gedrängt, denn ein offenes Bekenntniß
zu ihr durch Wort und That würde jeden der Theilnahme an einer

„Verbindung" verdächtig machen, zu deren Zwecken oder Beschäftigungen
es gehört, „Maßregeln der Verwaltung oder Vollziehung von Gesetzen
durch ungesetzliche Mittel zu verhindern oder zu entkräften." Denn
darüber kann man sich doch nicht täuschen, daß die Verbreitung social-
demokratischer Zeitungen und Schriften fortgesetzt werden muß, wenn
die Partei sich nichl silbst aufgeben will, und in einer solchen Ver-
breitung, die nicht ohne bestimmte Organisation geschehen kann, ist ja
eben vom Richter jenes Kriterium des H 129 des Strafgesetzbuchs ge-
funden worde». Also die socialdemokratischen Congresse werden in
Zukunft zwar nicht aufgegeben werden, aber in viel größerer Heim-
lichkeit stattsinden. Die deutschen Theilnehmer werden daraus ver-
zichten, sich von ihren ausländischen Gesirinungsgenossen, wie damals
in Kopenhagen, im vollsten Lichte der Oeffentlichkeit seiern zu laffen,
und der ZUricher „Socialdemokrat" wird nicht mehr so naiv sein, die
Mitgliederlisten z» veröffentlichen. Am allerwenigsten aber werden
sich die aus dem Auslande zurückkehrenden Theilnehmer gleich beim
Ueberschreiten der deutschen Grcnze so bequem wie seinerzeit in Kiel
abfangen laffen. Es gab vorsichtige Leute, die damals nicht in's
Fangnetz gingen, wie z. B. Hasenclever, und in Zukunfi werden wahr-
scheinlich alle so gewitzigt werden. Die Folge des verurtheilendeck Er-
kenntnisies wird nur sein, daß der trügerische Schein einer Zurück-
drängung der Socialdemokratie zunimmt, und daß sich das Publikum
in eine Sicherheit wiezen läßt, die je länger je weniger am Platze sein
wird. Der parlamentarische Correspondent der „Bresl. Ztg." schreibt.

„Der Bericht über die Erkenntnißgründe, wie er jetzt vorliegt,
scheint ziemlich dürstig zu sein; vor dcr Hand ist daraus »icht zu ent-
nehmen, welches die bestimmten Handlungen sind, durch welche die
Angeklagten ihre Theilnahme an einer strafbaren Verbindung an
den Taz gelegt haben sollen. Eine juristische Beurtheilung des Er-
kenntnisies bleibt daher am besten bis dabi» aufgeschoben, wo der
Wortlaut der Entschsidungsgründe vorliegt, ist abcr dann nicht zu um-
gehen.

Aber eine andsre Frage drängt sich auf. Welchen Nutzen hat sich
die Slaatsbehörde davon versprochen, daß sie diesen Proceß anstrengte?
Jm Jahre 1872 hat gegen Liebknecht und Bebel ein Proceß wegen Hoch-
verraths stattgefunden, in welchem sich die Anklage auf Umstände von
ähnlicher Allgemeinheilstlltzte, wie die gegenwärtige. Es ist damals auch
— von mir muß ick gestehen zu meiner Verwunderung — eine Berur-
theilung der beiden Angeklagten erfolgt, und sie haben eine längere Frei-
heitsstrafe verbllßt, durch welche sis damals ihrer parlamentarischeu
Thätigkeit entzogen worden sind. Liegt nun irgend ein Auzeichen da-
sür vor, daß jener Proceß irgend welchen Einfluß auf den Rückgang
der Socialdemokratie gehabt hat ? Und wenn nicht. kann man hoffen,
daß der gegenivärtigs Proceß einen besieren Einfluß haben wird?
Nach meinem Dasiirhalten wird dieser Proceß aus die Socialdemokratie
wirken wie ein Nadelstich, der nicht ernsthast schädigt, aber reizt.

Daß Leute, die eine bestimmte Ansicht haben, Alles thun, um
ihre Ansicht zur Geltung zu bringen, liegt zu ties in der Natur der
Sache begründet, als daß man boffen könnte, diesem Bestreben mit
den Mitteln einer Freiheitsstrafe entgegenzutreten. Wenn eine Partei
stark genug ist, trotz aller besonderen Mittel, die man gegen sie in
Anwendung gebracht hat, beinahe den zehnten Theil aller Wahl-
stimmen aus sich zu vereinigen, wird sie noch immer die Miltel finden,
eine gewisie Verständigung zwischsn ihren Angehörigen herbeizuführen
und Druckschriften und Zeitungen zu vertheilen.

Daß die Regierung den Proceß angestellt hat, ist nach meiner
Ansicht ein unzweideutiger Bsweis dafür, daß sie von den Erfolgen
des Socialistengesetzes hinsichtlich der Unterdrückung der socialdemo-
kratischen Partei nicbt befriedigt ist; voraussichtlich wird sie von dem
Erfolge dieses Processes nock weniger befriedigt sein. Die Ausweisung
ist in sehr vielen Fällen für den Betroffenen cine härtere Maßregel
als die Freiheits-Beraubuna; denn dem Gesangenen giebt die Re-
gierung mit dem uinvillkommenen Obdach zugleick den nothwendigen
Unterhalt, während die Answeisung in sehr vielen Fällen die schwersten
Entbehrungen im Gesolge hat. Trotzdem zählen Diejenigen »ach
Hundertsn, die den Gefahrcn der Ausweisung mit sehenden Augen
Trotz geboten haben. Es wäre eine Berblendung, darauf zu rechnen,
daß die Gcfahren des Gesänanisies irgend Jemanden abhalten werden,
diejenige Thätigkeit sür die Partei auf sich zu nehme», die den jetzt
Verurtheilten zur Last gelegt wird."

— Ganz dem edlen bescheidenen Sinne des Jubilars entsprechend,
vollzog sich am heutigen Sonnabcnd mit würdiger Einfachhcit die Feier
des fünfundzwanzigjährigen Jubiläums des Herrn
BankierJoseph Bondi alsVorsteherder israel'tischenCultusgemeindeim
Anschluß an den Bormittagsgottesdienst in der Synagoge. Jn fein«
sinniger Weise wußte zunächst Herr Oberrabbiner Dr- Landau den
freudigen Gedenktag für die Gemeiude in seine Predigt zu verflechten
uud die liebenswerthen, wahrhaft humanen Charaktereigenschaften des
Jubilars, die Bedeutung und die Aufgaben seines Amtes mit den
Worten der hl. Schrift vcrknüpfend, zu charakterisiren. Nach Schluß
des Gottesdienstes versammelten sich unter Führung des Herrn Ober-
rabbiners der Vorstand und die Mitglieder des Gemeinderaths, die
Angehörigen und zahlreichen Freunde des Jubilars in der kleinen
Synagoge, wo zunächst Herr Rechtsanwalt Emil Lehmann das Wort
ergriff zu einer eingehenden warm-beredten WUrdigung der Verdienste
(Fortsetzung in der 1. Beilage.)

Asche, das Schloß wurde zerstört. Zur Verherrlichung dieses Triumphes
ließ Ludwig XIV. eine Denkmünze vrägen mit dem Bilde einer
brennenden Stadt und dem Wort -„SeiäslbsrsLäeleta. Rex
äixit et k-totum est." Dieser Erdengott sprach's und die Flammen
loderten!

Und der Schauplatz, auf dcm diese furchtbaren Schicksale erlebt
wurden, ist ein glücklich gelegenes Stück Erde, eine unvertilgbar an-
muthige Natur, ein heiteres Waldthal, ein heimliches Gebirge. das
die Kunst unserer Tage in einen großen Garten verwandelt hat, zu
dessen Füßen die herrliche, lebens- und geschicbtsvolle Ebene sich er-
sireckt, soweit der Blick reicht, bis an den leuchtenden Strom und die
blauen Berge. Dieser Ort und seine Gegend vereinigen eine Fülle
gewaltiger und idyllischer, ernster und lachender Züge, die kein em-!
chfängliches Herz unberllhrt lasien. Auch die Größe seines Ruhms und >
seiner Leiden redet zu uns in der ausdrucksvollsten Gestalt, in dem
grandiosen Denkmal, ohne welches Heidelberg nicht vorzustellen ist.
Wenn die alten Kurfürsten die Universität ihre Tochter genannt
haben, warum soll ich das Schloß, das sie gegründet, nicht den äl-
teren Bruder der Universität nennen dürfen ? Es war ihr Schick-
salsgenosie: dieses große Epos in Stein, an dem die Zeitalter breier
Jahrhunderle, jedes in seiner Art, nach den Bedürfnissen und dem
Kunstsinn seiner Herrscher qleichsam rhapsodisch fortgebaut und fortge-
Lichtet haben, und das nun verlassen, ein Denkmal der Vergangenbeit
dasieht wie kein zweites in Deutschland. Seine Ruinen sind die Wunden
und Narben, die uns täglich und stündlich den Text predigen:
LsiäelberßL äeleta! Wunden und Narben sind auch Ehren.
„Du Stadt an Ehren reich!"

Doch ist dieses Schloß, so erhaben und rührend seine Eindrücke
sind, keineswegs düster. Es ist ein pfälzisches Schloß, und die
Pfälzer sind nicht düster. Es ist in seiner Art auch anmuthig und
heimlich und mit der idyllischen Natur, die es umgiebt, vermählt, wie
der Evheu mit seinen Trümmern. Kein Dichter hat diesen Doppel-
charakter unseres Schlosies so tief empfunden, so treffend ausgedrückt
als Hölderlin:

Schwer in das Thal hängt die gigantische
Schicksalskundige Burg, nieder bis aus
den Grund von den Wettern geriffen.

Doch die ewige Sonne gießt
Jhr verjüngendes Licht Uber das alternde
Riesenbi ld, und umher grünet lebendiger
Ephen, sreundliche Wälder
Rauschen über die Burg herab.

Es giebt Eindrücke, die man nie vcrgißt, so zauberhast ist ihre
Wirkung. Wer einmal vom Heidelberger Schloß in die Ferne geblickt
und die glühende Abendsonne sinken sah, wird dieses Vild bewahren.
„Aus Sonnenstrahlen webt ihr Abendlüfte ein goldenes Netz um diesen
Zauberort!"

Und wenn alle die Zanber, die Heidelberg und seine Gegend aus-
i übten, in dem empfänglichsten und ungetrübtesten Alter erlebt werden,
in einer Zeit, wo zugleich die W issenschaft und dieFreund -
s ch a f t die Gemüther erweitern, so müsien akademische Jugendtage,
die hier genosien sind, wohl Erinneruiigen zurücklasien, die verjüngend
fortwirken durch das ganze Leben. Darmn hat auch die Kunde, daß
Heidelberg jubilirt, daß unsere »Iwa mater ihr fünftes Jahrhundert
festlich vollenden will, überall freudige Erregrmgen geweckt und den
Wunsch, dieses Fest zu theilen. Jn Allen, die mit dem Ort und seiner
Unviversität von Jugend her vertraut sind, lebc das Gefühl, welches
unser Hölderlin in den ersten Worten seiner Ode an Heidelberg aus-
spricht:

Lange lieb' ich dich schon! möchte dich mir zur Lust
Mutter nennen und dir schenken ein kunstlos Lied.

Du der Vaterlandsstädte ländlich schönste, so viel ich sah!

Die Tochter des Ksnkrotteurs.

Roman aus der Gegenwart von Gustav Löffcl.

(18. Fortsetzung.) (Nächdruck verboten.)

VNl.

Die Familie Winter saß beim Morgenkaffee oder vielmehr sie
saß nicht beim Morgenkaffee, denn Frau Winter schlürfte ihren Cacao,
Frau Hedwig ihren Thee und Winter seuior trank von Zeit zu Zeit

einen Schluck Wosier. Das war das erste Frühstück der Winters-
Diesen vevschiedenen Geschmacksrichtuugen entsprechend, war Frau
Wiriter eine stattliche, voll entwickelte Dame, Frau Hedwig eine blasie
Blondine mit den Alluren einer Englände.in und Winter seuior so
kalt und nüchtern, wie das Glas, welches er mit geschäftsmäßiger
Präcision in bestimmten Pausen an seine Livpen führte.

Winter eeuior, Chef der bekannten Exporlstrma „Winter L Sohn",
hatte die Morgenzeitung vor sich ausgebreitet. Er studirte emsig
und mit sehr getheilten Gefühlen den Fall „Eschenhach." Als „einen
schlauen Fuchs" und ein „überaus vorsichtizes Männchen" hatte
Wilhelm ihn taxirt, und daß dieser halbe Naturmensch da so ziemlich
nach der Natur gezeichnet hatte, bewies schon ein flüchtiger Blick auf
die Person des hageren kleinen Herrn. Kalt und berechnend, aber
immer ein gewinnendes Lächeln auf den schmalen Lippen, so be-
trachtete Winter sevior die Menschen und Dinge. Mit derselben
kalten Höflichkeit empfing er den Mann, desien Aufträge ihm Tausen-
de werth waren, und den, der ihm eben so viel aus der Tasche nahm.
Sein wenig gefaltetes, glatt rasirtes Gesicht, deffen Augen durch eine
goldene Brille geschützt waren, verrieth überhaupt niemals, ob ein
Besuch willkommen oder unwillkommen war. Es war kein Baromeler
sür die Tagesstimmung, wie z. B. das des verstorbenen Commer-
zienraths; wie denn Winter seuior in Allem das gerade Gegenlheil
von diesem unglücklichen Manne war.

Auf ihn bezog er seine Worte, als er jetzt sagte: „Also kein
Mord! Die Obductivn hat den Schlaganfall außer allen Zweifel
gestellt."

„O!" machte seine Gemahlin bedauernd. Sie liebte starke Effecte
und der Fall Eschenbach war in diesem Punkte recht vielversprechend
gewesen.

„Aber das Glas, welches seiner Hand entfallen war!" wandte sie
ein. „Was hat denn dieses Glas enthalten?"

„Wasier!" erwiderte er trocken.

„Reines Wasser?"

(Fortsetzung in der 1. Beilage.)
 
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