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das Deutschthum hat unter den Slavsn Oesterreichs so tief
Wurzeln gesatzt, daß man nicht allein an Volks- und Mittelschulen,
sondern sogar an der Hochschule in gänzlicher Abneigung gegen die
veulsche Sprache und mit ihr, so lange es keinen czechoslavischen, pol-
nischen und großkroatischen Staat giebt, gegen das einzige bedeutende
Culturelement in Oesterreich verharrt. Wenn etwas die Thatsache
deutlich beleuchten kann, daß jedes weitere Vordringen des Slavismus
zugleich einen Rückgang des allgemeinen Culturlebens bedeute, so be-
zeugen es die trübseligen Erfolge der neuen czechischen Hochschule.
Und so traf auch die Kunde davon wie eine Bombe ins czecyische Lager,
ohne aber den Culturmachts-Dünkel der Czechen abzuschwächen. Sie
wollen das drückcnde Joch der Erlernung der deutschen Sprache in
den Mittelschulen auf sich nehmen, nur müssen die slaviscken Sprachen
an deutschen Mittelschulen Oesterreichs auch obligate Lehrgegenstände
werden. Es bedarf wohl erst keines Beweises, wie ungleichwerthig
diese Forderungen sind und zu welcher unsinnigen Belastung der
Deutschen sie führen müßten.

Deutsch zu kennen, ist einmal im Staate Oesterreicb nothwendig, die
Hörer an slavischen Hochschulen verschließen sich vollends vhne Kennt-
niß der deutschen Sprache dem Bindemittel, das ihnen eirizig und
allein in Oesterreich die Ergebnisse des fortschreitenden menschlichen
Wiffens und Forschens vermitteln kann; der Deutsche braucht eines solchen
Bindemittels nicht. Er ist, mit Göthe zusprechen, gelehrt, wenn ersein
Deutsch verfteht. Wozu soll er in seiner Allgcmeinheit in Oesterreich etwa
czechisch und polnisch und wendisch und neuslovenisch und kroatisch
erlernen, da ihm die Kenntniß sdieser Sprachen nur zeitweilige und
örtlich-beschränkte Bortheile gewähren kann, Vortheile, die durch die
Kenntniß einer fremden Cultursprache, wie französisch oder englisch,
unzweifelhaft weit überwogen werden ? Nie werden die Deutschen in
Oesterreich sich solchen slavischen Tauschbedingungen unterziehen.

Frankreich.

Bei denGeneralraths-Stichwah len sind 141 Re-
publikaner uny 33 Conservative gewählt worden. Die Republikaner
gewannen 16 und verloren 22 Sitze, ihr Verlust beträgt also 6 Sitze,
was für die Generalrathswahlen überhaupt, den einen gewonnenen
Sitz vom 1. d. M- abgerechnet, einen Verlust der Republikaner von
fünf Sitzen ausmacht. Bei einer Gesammtzahl von rund I500Sitzen
gewiß nicht viel, namentlich wenn man bedenkt, daß die Conservativen
mit den größten Hoffnungen in denKampf gezogen sind. Auf repub-
likanischer Seite wurden außerdem alle hervorragenden Persönlichkeiten
wieder gewählt, so die Herren Goblet und Sarrien vom jetzigen und
die Herren Ferry und Cochery von dem früheren Cabinet; dagegen
sind die Mitglieder des Ministeriums vom 16. Mai 1877, welche als
Candidaten austraten, mit Ausnahme von Caillaux, nicht wieder ge-
wählt worden, nämlich die Herren Fourton und Paris; ein weiteres
Mitglied dieses Ministeriums, de Meaux, hat sich kurz vor der Wahl
zuriickgezogen, um einer sicheren Niederlage zu entgehen. Ein Haupt-
führer der Conservativen, Herr Büffet, hat nicht zu candidiren gewagt
und seinen Sohn vorgeschoben, aber auch dieser wurde nicht gewählt.
Einer großen Zahl anderer hervorragender conservativen Candidaten
ging es ebenso. Die Conservativen trösten sich jetzt damit, daß auch
die Republikaner eigentlich keinen Sieg erfochten habsn. „Es giebt",
so schrieb der „Soleil"!, „weder Sieger noch Besiegte." Wo-
rauf ein republikanisches Blatt ganz richtig bemerkte, daß der-
jcnige, der eine Festung erobern will und zurückgeschlagen tvird, un-
möglich von sich sagen kann, er sei nicht besiegt worden. Ein an-
derer bedeutsamer Punkt wird vom „Voltaire" hervorgehoben,
indem er schreibt: „Ueberall wo die monarchistischen Candidaten sich
geweigert haben, sich frei heraus als solche zu bekennen, hieß dies so
viel wie: „Wir wiffen wohl, daß die Wähler sich wenig um die
Prinzen bckümmern; sie ziehsn es vor, für die Vicinalwege zu stimmen."
Und beinahe überall, wo die Candidaten den Wählern gesagt haben:
„Protestirt gegen die Ausweisung der Prinzen", haben die Wähler
qeantwortet: „Was liegt uns an den Prinzen? Wir wollen lieber
sür unsere Cantonalangelegenheiten stimmen." Die Republikaner da-
gegen haben die Frage ausrichtig gestellt: „Stimmt", sagten sie, „für
oder gegen die Republik!" Jetzt weiß man ganz gewiß, daß die den
republikanischen Candidaten gegebenen Stimmen deutlich und freiwillig
politische Stimmen sind. Von dieser Seite her kommt keine Ueber-
raschung- Folglich aus der einen Seite Aufrichtigkeit des Votums,
auf der andern Murktschreierci und Hinterlist. Die Herren Monar-
chisten haben ihre Prinzen feierlich der Verachtung des allgemeinen
Stimmrechts ouSgesetzt, und nachdem sie so Viel Lärm gemacht, selber
das Beispiel der Verachtung gegeben, da sie sich sozusagen überall ge-
weigert haben, als Kämpen für ihre Prinzen aufzutreten. Es ist in
der That, wie die „Frkf. Ztz." mit Rechl bemerkt, ein kläzliches

Armuthszeugniß für die Monarchistcn. daß sie so kurz nach der Aus-
weisung der Prinzen und nachdem sie selbst so viel Lärm darüber ge-
macht, die günstige Gelegenheit, dem Lande die Prinzenfrage zu einer
Art Plcbiszit zu unterbreiten, nicht zu benutzen wagten. Und darin
eben liegt ein enlscheidendes Merkmal der Niederlage der Monarchisten.

Rußland.

PetcrSburg, 5. August. Eine Abtheilung des preu-

ßischenGencralsstabsbeiMoskau. imHl. Troizki-

Kloster — das ist, wie wir bereits kurz erwähnt haben, das Neueste,
was die Sp ion e nriech erei eines gewiffen Theils der russischen
Presse zu Tage gefördert hat. Von einem „Scythicus" — vffen-
bar als Pendant zu dem bekannten deutschen Militär-Schriftsteller
„Sarmaticus". deffen Broschüre über cinen deutsch-russischen Krieg hier
viel böses Blut gemacht hat — zeichnenden Correspondenten geht der
„Now. Wr." diese Schauermär zu. Derselbe berichtet, daß in einem
der Vororte des genannten Klosters zur Zeit vier junge preußische Ossi-
ciere sich aufhalten, angeblich nm die russische Sprache, die sie schon
bei ihrem Eintreffen gut kannten. vollkommen zu erlernen und wie
ein geborener Ruffe zu sprechen. Das sei übrigens nichts Neues;
bereits vor Jahr und Tag habe der verstorbene Alffakow in seiner
„Ruß" hierauf ausmerksam gemacht. Die örtlichen Bewohner ver-
möchten durchaus nicht einzusehen, warum die deutsche Regierung zu
diesem Zwecke so viel Geld aufwände; die jungen Offlciere, die üb-
rigens alle „allerliebste Leute", höflich, gebildet, intereffant undliebens-
würdig seien, kämen ja regelmäßig mitKenntniffen derrussischen Sprache
hin, um die sie oft selbst solche baltische Deutsche beneiden könnten-
die bereits wehrere Jahrzehnte in russischen Diensten gestanden. Einer
der Bewohner der Lawra (des Kloster-Viertels) sagte zum Corrcson-
dentcn:

Wozu brauchen sie diese lebendige russische Volkssprache kennen zu
lernen und sich emen echt russischen Accent anzulegen, wenn das preu-
ßische Militär in der That nicht im Geringsten sich mit solchen Ge-
danken tragen sollte, wie nicht blos Herr „Sarmaticus", sondern auch
schon das Leiborgan des Fürsten Bismarck, die „Norddeutsche Allqe-
meine Zeitung", sie ventiliren, welch' letztere ja unlängst sehr entzückt
that Lber die strategische Studie des Herrn Sarmaticus, d. h wie ein
Orkan gegen die Mauern des den Deutschen so mißliebigen „slavischen
Mekka" anzustürmen, wie die Gelehrten unser Moskau nennen? Er-
lernen sie doch auch schon in Bcrlin, wie Jhnen bekannt ist, das Rus-
sische in vollkommen genügendem Maße und nicht blos, um unsere
Militärliteratur lesen zu können, sondern auch um unsere Conver-
sationssprache gründlich zu verstehen. Was treibt sie also hierher und
veranlaßt sie, trotz dcr bekannten deutschen Sparsamkeit, sogar zu sehr
bedeutenden Ausgaben? Was, um Himmels willen, kann sie dazu
veranlaffen?

Der also interpellirte Correspondent zuckte hierbei die Achseln und
meinte „was ist dabei zu machen?" worauf Jener bemerkte:

Was dabei zu machen ist? Das ist sehr einfack: man müßte
die Herren blos ersuchen, ihren Aufenthalt in Rußland nach Möglich-
keit abzukürzen. An sehr maßgebenden Motiven hierzu fehlt es nicht.
Wenn Deutschland xour tes rLisvus ä'Ltut nicht Anstand genommen
hat, Zehntausende von russischen Unterthanen hinauszuwerfen, ohne
dabei gar der Greise, schwangsren Weiber und Kinder zu schonen —
wie könnte es da uns gegenüber irgend welche Prätensionen erheben,
wenn wir die bei uns sich etwa aufhaltenden preußischen Osficiere,
deren Zahl sich hosfentlich auf nicht mehr, als einige Dutzend (??) be-
läust, aufsordern, sich schleunigst aus und davon zu machen! . . Oder
soll's hier etwa heißeu:8„guoä Ueel äovi, nou Uoet bovi?"

An diesei sonderbaren und sür die Ruffen nicht allzu schmeichel-
haften Anwendung des lateinischen Citats nimmt, wie die deutsche
„Petersburger Zeitung." bemerkt, die „Nowojs Wremja" keinen
Anstoß, die dasür an leitender Stelle fdiese Correspondenz
der besonderen Aufmerksamkeit ihrer Leser empfiehlt, darauf hinweist'
daß man sehr kluger Weise gerade einen Wallfahrtsort ausgesucht
habe, wo sich bei den Pilgern treffliche Auskundschaftungen ausführen
ließen, ferner die Vermuthung ausspricht, daß Oesterreich seinerseils
vielleicht im Kiew'schen Höhlenkloster ouch eine derartige Generalstabs-
Filiale anzelegt habe und im Uebrigen verheißt, noch weitere Er-
kundigungen über diese „liebenswürdigen Preußen" einzuziehen und
zu veröffentlichcn.

Amerika.

Netvyark, 7- August. Berichte aus Montana Colorado besagen,
daß das fortgesetzte Weichen der Sib erpr ei se Beunruhigung her-
vorgerufen hat. Man befürchtet, daß die Entwerthung einen Still-
stand der Bergbaugesellschaften zur Folze haben wird. Die Glendale-
Gesellschast in Montana, welche 1000 Bergleute beschästigt, wird am
15. August ihre Werke schließen, und andere Gesellschaften haben den-
selben Scbritt unter Erwägung. Montana producirt jährlich Silber
im Werthe von 12 Millioneu Dollars. — Ein hier eingegangenes
Televramm meldet, daß gestern der Proceß gegen Mr. Cutting
vor dem mexikanifchen Gerichtshofe in El Paso zur Verhandlung kam.

Der Ankläger, Senor Medina. crklärte, daß sein Geschäft und seiw
Rus durch die Veröffentlichung von Mr. Cutting's Schmähartikel ge-
litten hälten, weßhalb er Schadloshaltung verlange. Mr. Cutting:
weigerte sich, irgend eine Erklärung abzugeben, und lchnte es ab, die
Jurisdiction des Gerichtshofes anzuerkennen, wobe! er hinzufügte, daß
er sich in den Händen seiner Rcgierung besände. Der Richter erkannte
indeß gegen ihn als „schuldig" und gestattete 12 Tage, ehe das Urtheil
in Kraft treten solle. Das Urtheil ist ein sehr hartes und lautet auf
ein Jahr Zwangsarbeit und 6M Dollars Geldstrafe, an
deren Stelle im Unvermögensfalle eine Gefängnißstrafe von 100 Tagcn
tritt. — Die auf nächsten Sonnabend anberaumte Beerdigunz von
Mr. Tilden wird sehr einfach sein. Präsident Cleveland und meh-
rere Mitglieder des Cabinets werden derselben anwohnen.

Bulgarien.

Die russischen Blätter bringen seit einigen Wcchen wieder-
holt Meldungen von Unruhen in Macedonien und behaup-
ten dreist, daß dieselben von Banden erregt werden, die aui bulga-
rischem Gebiet organisirt sind. Diese tendenziösen Unwahrbeiteir
werden nnn in einem officiösen Artikel aus Sofia folgendermaßen
abgefertigt:

Es handelt sich bei all' diesen Nachrichten um nichts anderes,.
als um die böswillige Tendenz, in Constantinopel Mißtrauen gegen
den Fürsten Alexander und die bulgarische Regierung zu wecken. Die
russischen Blätter wiffen eben so gut, wie alle Welt, daß in Mace-
donien alljährlich um diese Zeit Banden auftauchen, deren Räubereien
kein Mensch mit irgend einem politischen Zwecke in Zusammenhang
bringt. Wie gewiffenhaft die bulgarische Regierung darauf bedacht ist,.
jede Hinüberleitung einer politischen Agitation von Bulgarien nach
Macedonien zu verhindern, trat unter Anderem im vergangenen.
Jahre zu Tage, als eine große Anzahl macedonischer Emigranten,.
welchen es gelungen war, das Waffendepot vcn Küstendil zn
plündern, die bulgarisch - macedonische Grenze zu überschreiten
versuchte. D!e bulgarische Regierung hatte damals die
energischsten Maßregeln ergriffen und in der That die Mehrzahl
der Emigranten an dem Ueberschreiten der Grenze verhindert. Neben-
her bemerkt, stand an der Spitze einer Bande von Macedoniern,.
welcher es trotz der getroffenen Maßregeln gelang, die Grenze zw
überschreiten, ein russischer Officier, der Kosak Kalmykow. Man ist in
Sofia überzeugt, daß die Meldungen über angeblich in Bulgarien or-
ganisirle Banden, welche behufs politischer Agitation nach Macedonien-
eindringen, in den Kreisen der europäischen Diplomatiekeinerlei Glauben
finden. Die bulgarische Regierung wünscht die besten Beziehungcn
mit der Pforte aufrechtzuerhalten, sie wünscht volle Ruhe auf der
Balkanhalbinsel und sie sördert etwaige politische Agitationen mit Ma-
cedonien in keinerlei Weiie, auch nicht durch die bloße Duldung einer
Unterstützung solcher Umtriebe durch Bulgaren oder macedonische Emi-
granten. Wenn es manchen macedonischen Auswanderern infolge des^
Mangels an Wachsamkeit seitens der türkischen Grenzorgane gelungen
sein sollte, die Grenze zu überschreiten, so kann es sich nur um einzelne
Fälle handeln, ein Ueberschreiten der Grenze in Banden wäre ein
Ding der Unmöglichkeit. Dem Auftauchen von Räuberbanden in Ma-
cedonien, eine, wie bereits gesagt, um diese Zeit regelmäßig wieder-
kehrende Erscheinung, wird in russischen Blättern in gewaltsamer Wcise
ein politischer Hintergrund verliehen, weil es diesen Organen darum
zu thun ist, den Balkan als den Heerd andauernder Beunruhigung
darzustellen, um daraus die Nothwendigkcit eines auswärtigen Ein-
greisens abzuleiten.

Fscülks vüd ZWsches.

Dr esdcn, 10. August.

— Die Verrnählung Jhrer Königl. Hoheit der Prinzessin Mariw
Josepha mit dem Erzherzog Otto Franz Josef von
Oesterreichsoll jetzt für den 20.October festgesetzt sein. Was die
damit zu verbindenden Festlichkeiten betrifft, so soll infolge ausdrück-
lichen Wunsches Sr. Maj. des Königs sür dieselben ein gewiffer
Familien-Charakter gewahrt werden ur.d alle prunkvolleren Arrange-
ments rc. sollen deshalb unterbleiben.

— Ueber das FreibergerUrtheil und das Socia-
Iistengesetz lesen wir in der „Neuen Freien Preffe": „Wenn man
den Socialdemokraten Paul Singer aus Berlin ausweist, so hält er
anderwärts seine Reden, bis auch sür ihn mit dcm Wiederbeginne der
Reichstagssession die Stunde dcr Rllckkehr schlägt. Dafür aber geht
das Martyrium mit ihnen mit, und fester, unausrottbarer wird bB
ihren Anhängern der Glaube an sie, während abseits von der Wirk-
ungssphäre des Socialistengesctzes, in geheimen Zusammenkünften, in
Spelunken und bei verhängtem Lichterscheine, im Auslande die Dinge


goffen, alle diese Räume erfüllt und durchwogt von einer festlich ge-
kleideten, freudig gestimmten Menge, von geistreichen, berühmten
Männern und schönen, liebenswürdigen Fraucn, stelle sich ihr Lachen,
Scherzen, Plaudern, Begrüßen, Promeniren vor, eine große Cour, die
der Kronprinz und das Großherzogliche Paar in dem palastartig ge-
schmückten Landhause des Schloffes abhielten und bei der sie für
Jeden, dem sie nahten, die freundlichsten Worte hatten, die schönste
Musik, Plätschern der Springbrunnen, die freundlichste und reichlichste
Bewirthung mit Bier, Wein und kalten Speisen, Feuerwerk aller Ar^
und über dem Ganzen die reinste, herrlichste Bergluft — nian ver-
suche sich Alles das vorzustellen, um sich einen Begriff von dem
romantischen, feenhasten Glanze zu machen, der Lber dem Ganzen
ausgebreitet lag.

Einen noch großartigeren Eindruck machte der von der BUrger-
schast veranstaltete, von Profeffor Hoff aus Karlsruhe arrangirte
historische Festzug, nach jenem berühmten Wiener Feftzuge Makart's
und dem griechischen Costümfest des Vereins Berliner Künftler im
Juni d.J., wohl der bedeutendste der neueren Zeit. Ueber 900 Per-
fonen nahmen daran Theil, 300 Pserde gelangten darin zur Verwendung.
Monatelang war schon in den bedeutendsten Werkstätten auf denselben
hingearbeitet worden, die Herstellung einzelner Costüme oder Rüstungen,
bei denen die Meininger vielleicht noch übermeiningisirt worden waren,
beanspruchte Unsummen. Allerdings lohnte der Erfolg auch die An-
strengung. Jn den engen Straßen Heidelbergs kamdasmalerische Moment
des Zuges wunderbar zur Geltung. und als er sich in seiner ganzen
imponirenden Länge die Hauptstraße hinaufwand, meinte man wirk-
lich beim Ueberschauen der ganzen Herrlichkeit dem Einzuge irgend
eines Mährchenkönigs beizuwohnen. Die erste Gruppe des Festzuges
führte die Gründung der Universität und der Zeit Ruprechts I.
vor 500 Jabren vor. Ein Herold mit dem alten Reichsbanner eröff-
nete den Zug, Pagen, Trompeter, Herolde folgten ihm. 6 Ritter in
eisernen RUstungcn sprengten einher, psälzische Edelleute, auf präch-
tigen Pferden mit kostbaren Rüstungen und Couvertüren, gefolgt von
ihren Retsigen mit langen Schilden und Speeren. Kinder mit be-
kränztem Haar unter der Aussicht frommer Nonnen und Mönche

streuten dem mit dem rothen Hute und Purpurmantel bekleideten
päpstlichen Legaten, dem 2 Bischöfe vorangingen, Blumen auf den
Weg, Jungfrauen der Stadt trugen das mächtige goldene Bild der
Gottesmulter. Hinter den Hofbeamten ritten unter schimmerndem
Baldachin Kursürst Nuprecht und seine Gemahlin Beatrix einher, ge-
folgt von Hofstaat, Edeldamen. Rittern, den ersten Professoren, und
auch der buntgekleidete Narr fehlte nicht. Unter .den Männern der
Wiffenschaft erblicken wir auch den großen Marsilius, den ersten
Rector. Auf einem mächtigen gothischen Thronsesfel sitzt die Ruperto-
Carola, zu ihren Füßen die wissenschaftlichen Hauptträger der Frömmig-
keit, Weisheit, Gerechtigkeit, Wahrheit und die Studenten. die hinter
herziehen, scheinen ihnen ewige Folgsamkeit geloben zu wollen.

An wichtige weltbewegende, minder feierliche Zeiten mahne uns
die folgende Gruppe. Ein Schaar von mächtig gerüsteten bekränzten
Knappen sprengt heran, in ihrer Mitte auf hohem Roß eine edle Ge-
stalt: Friedrich der Siegreiche, der soeben von dem gewonnenen
Treffen bei Seckenheim, freudig begrüßt von den Einwohnern seiner
geliebten Stadt und von schönen Frauen. Alles scheint in diesen
schweren Zeiten dem Mars unterthan, selbst die Studcnten haben ein
kriegerisches Aussehen.

Doch bald ziehen wieder die Zeiten und Werke des Friedens ein,
die schönsten Tage der Kunst und Wiffenschaft in der Pfalz beginnen.
Kurfürst Otto Heinrich zieht ein, gefolgt von einer herrlichen Schaar
Edelleute mit ibren Frauen in dem berückenden Farbenreichthum der
Costüme der Renaiffance. Das blitzt und flattert und glänzt und
schimmert! Und mit ihnen naht die schönste Blüthe jener Zeit, der
Humanismus. Vor dem Wagen der reformirten Universität schreitet
ihr Wiederhersteller Melanchthon, dicht umringt von eifrigen Zuhörern,
Lehrern wie Schülern, gefeiert vom Volk, unter diesem der berllhmte
Friedrich von Ketsch, damit ist die Verbindung mit dem schönsten noch
erhaltenen Werk jener Zeiten gegeben, dem nach dem Kurfürsten be-
nannten Bau des Schlosses, den uns der Bauwagen vorführt. Und
nun zieht das ganze lustige Leben der fröhlichen Pfalz an uns vorüber,
die Adelsleute, unter welchen die schönsten Vertreter der ersten Ge-
fchlechter jener Zeit einhersprengen und die Volkslaube, in einem von

Schwänen qezogenen Grottenwagen thront Palakia, Bacchus; Ceres
und Benus erscheinen hochragend zwischen Garben und Weinreben,
Höllengezücht, em Satyrenzug, das große Faß, kurz ein LppigeA, be-
rauschendes Bild jener Zeit entfaltet sich vor uns. Und daß dem
Reichthum nicht die äußere Macht fehle, naht Kurfürst Friedrich V.
mit seiner Gemahlin Beatrix (diese in einem über und übsr
mit Perlenschnüren besetzten Kleide, welches die Kleinigkeit von
2020 M. gekostet hat) und ihm huldigt nicht nur die Pfalz,
sondeni auch das Geburtsland seiner Gattin, England. Jn einer
grünen Caroffe fahren die pfälzischen Prinzessinnen vor, in einer rothen
englische Damen, dazwischen unendliches edles Gefolge zu Fuß und
zu Roß. Aber schwere Zeiten brechen herein, auf den Hochmuth folgt
die Demüthigung. Die böhmische Gesandtscbaft erscheint, der KUrfürst
nimmt die Krone Von Böhmen an, das Verderben bricht über den
„Winterkönig" und sein Land herein. Ein schwarzer Reiter versinn-
bildlicht den 30jährigen Krieg, ein schwarzes Roß den Orleans'schen
Erbfolgekrieg, die wiederholte Zerstörung Heidelbergs. Kurfürst Carl
Ludwig mit Louise von Degenfeld, seiner zweiten Gemahlin, sprengt
vorüber. Doch in unendlicher Lebenskraft ersteht wieder die alte
lustige Pfalz. Der einzige Jagdzug Carl Philipps mit Falkonieren,
Jägern, Meute, Pürschwagen, dem Zwerg Perl ', versetzt uns in die
üppigste Zeit des Roccoco. Und nach Carl Theodor kommen auch
wieder beffere Zeiten für die Universität, Carl Friedrich von Vaden
besteigt dcn Tron, erhält Heidelberg, und ein wi ederaufgerichteter, von
zwei Genien bewachter Obelisk zeigt uns die Wiederherstellung der
Hochschule an. Ein neuer Geist ist in die Jugend eingezogen: mit
Flinte und Degen erscheinen die Vurschenschafter der Freiheitskriege,
die modernen Corps schließen sich an und ein Herold mit der
Standarte des neuen deutschen Reiches beschließt den Zug, wie ihn
ein solcher mit der des allen eröffnete. Fünf Jahrhunderte sind so
in buntem, wechselvvllem Spiel an uns vorübergezogen, überglänzt
von einer hinterstehcnden Sonne, die sich des fröhlichen Maskenscherzes
freute uud wie wir im leichten Spiel ernste, tiefere Vedeutung sah.

Konrad Alberti.
 
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