Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Baldass, Ludwig; Verein der Museumsfreunde in Wien [Hrsg.]; Vereinigung Bildender Künstler Österreichs Secession [Hrsg.]; Wiener Secession [Hrsg.]
Ausstellung der Vereinigung Bildender Künstler Österreichs, Secession Wien: Drei Jahrhunderte vlämische Kunst: 1400-1700 : 11. Jänner - 23. Februar 1930 — Wien: Adolf Holzhausens Nachfolger, Nr. 110.1930

DOI Heft:
Zur Einführung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37754#0017
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
ZUR EINFÜHRUNG

Höchst ehrwürdig sind die Anfänge der altnieder'
ländischen Malerei, von denen die vorliegende Aus-
Stellung manches bedeutende Beispiel darbietet. Aus der
edlen Kunst des Miniaturenschmucks mittelalterlicher Hand-
schriften geht in einer malerischen Technik, die, wenn
auch keine neue Erfindung, so doch in ihrer Anwendung
durchaus neu ist, ein bisher ungeahnter Stil der Tafel-
malerei hervor, ein Stil voll von herbem Realismus,
innigster Frömmigkeit, wärmster Liebe für das Stoffliche
und größter Ehrfurcht vor der Materie der Farbe selbst.
Die unerhörte Leistung der Brüder van Eyck, der Schöpfer
des Genter Altars, wird auch heute noch, wo wir ihre Vor-
stufen zu erkennen vermögen, wie jede wahrhaft große
künstlerische Tat in gewissem Sinne ein Rätsel bleiben.
Die warme, gesammelte Empfindung, die aus den Werken
Hubert und Jan van Eycks zu uns spricht, wird aber in
jeder Zeit, selbst in unserer zerrissenen, allgemein verständlich
sein. Eine Reihe von hervorragender Begabungen schließt
sich den Begründern der niederländischen Malerei an, teils
gleichzeitig, teils ihnen nachfolgend. Große künstlerische
Individualitäten treten auf: der phantasiereiche und doch
erdnahe Meister von Flemalle, der sich zu pathetischem
Schwung erhebende, geniale Erzähler Roger van der
Weyden, der in seiner fast schüchternen Art der Befangen-
heit unendlich anziehende Dirk Bouts, der leidenschaft-
lich und groß empfindende Hugo von der Goes, der liebens-
würdige, menschlich heitere Hans Memling.
Schon in den späten Schöpfungen dieser Meister be-
ginnt gegen Ende des 15. Jahrhunderts ein allmähliches
Abnehmen der frommen Empfindung, eine Veräußerlichung
und Verweltlichung der Kunst, und damit hält das Ein-
dringen fremder, italienischer Renaissanceformen Schritt.
Der strengen mittelalterlichen Frömmigkeit tritt eine neue
Weltanschauung entgegen, ein Streben nach Freiheit und
Weltlichkeit. Der Maler will nicht mehr frommer Kunst-
werker, sondern denkender Künstler sein. In den Nieder-
landen ist hier, wie Dürer in Deutschland, der Bahnbrecher

11
 
Annotationen