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Vignola
Le Vignole moderne / Der neue Vignola oder Elementar-Buch der Baukunst: Grundsätze der fünf Säulenordnung / Principes des cinq ordres — Leipzig, 1818

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https://doi.org/10.11588/diglit.1709#0055
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mehrèrm Grunde können wir die Griechen als Erfinder der schönen Baukunst ansehen,
und nach den drey Säulen Ordnungen, die wir von ihnen haben, zu urtheilen, sind wir
ihnen die schönsten Proportionen der Baukunst schuldig. Die Römer, ihre Nachfol-
ger in der Kunst, haben uns in den zwey übrigen Säulen Ordnungen, die sie erfunden,
nur unvollkommene Nachahmungen der drey erstem hinterlassen, die jedoch jetzt sehr
im Gebrauche sind. Vergebens haben unsere geschicktesten Architecten einige Ver-
suche in dieser Rücksicht gemacht, die jedoch den Beyfall ihrer Zeitgenossen und
der Nachkommenschaft nicht erringen konnten, woraus erhellt, dafs die Schönheiten
der Baukunst auch ihre Grenzen haben. Sie erreichte eine hohe Stufe der Vollkommen-
heit unter August, fieng aber unter seinen Nachfolgern an in Verfall zu gerathen und
auszuarten. Nero, der leidenschaftlich für die Kunst eingenommen schien, gebrauchte
sie mehr aus Üppigkeit und Eitelkeit, denn aus Geschmack und Prachtliebe. Unter
Trajans Regierung wurde die berühmte Säule errichtet, die den Namen dieses Kaisers
führt, und noch in Rom zu sehen ist. Alexander Sever konnte, ohnerachtet seiner
Vorliebe für die Baukunst, doch ihren Untergang mit dem Abendländischen Kaiser-
thume nicht verhindern ; die Westgothen zerstörten dann die schönsten Denkmähler
des Alterthums, und entstellten sie so, dafs von Ebenmaas, Schicklichkeit und Ver-
hältnifs, ihrem Hauptverdienste, keine Spür übrig blieb; daraus entstand eine neue Bau-
art, die Gothische genannt, welche sich bis zu Carls des Grollen Zeiten erhielt. Die
Franzosen, von Hugo Capet aufgemuntert, waren mit Erfolg beflissen, die alte wieder
herzustellen. Robert, sein Sohn und Nachfolger, brachte dieselbe Liebhaberey auf
den Thron, die Baukunsft veränderte nun allmählig ihre Gestalt, und wurde zu geziert
und zu délicat; die Künstler dieser Periode, welche die Schönheit in einem Übermaafse
.der Verfeinerung suchten, verschwendeten die Zierrathen, welche sie von den Arabern
und Mauren erhalten hatten; erst seit der Herrschaft der letztem, bemühten sich unsere
Architecten, die Schönheit und Einfachheit der alten Kurist wieder zu erstreben; das
war die Epoche unserer schönen, nach dem Muster der Griechen und der Römer, und
nach den Regeln der guten Baukunst, aufgeführten Gebäude.
Unter allen alten Baumeistern, welche uns Regeln über ihre Kunst auRp-
stellt haben, ist Fitruv, ein Zeitgenosse Atigitst’s, der Einzige, dessen Schriften bis
auf uns gekommen sind; sie sind erst von Phïlàndër und Barbara, später von
Perault commentirt worden, dessen Bemerkungen den meisten Beyfall gefunden ha-
ben. Diejenigen, die seit ihm geschrieben haben, sind: Alberti, Diola, Palladio
Scamoz~i, Buttant, Delorme, Serlio und Fignola, über die Säulenordnungen; Da-
oller, ein Ausleger des Vignola, und F. Blondei> über die Baukunst. J. F. Blondei,
königh Franz. Professor der Architectur, über die Vertheilung und Verzierung der Ge-
bäude, nebst mchrerii andern; aber unter allen diesen gelehrten Künstlern ist J. ß, de
Fignola derjenige, der zu seiner Zeit die richtigen Verhältnisse der Säulenordnungen
am besten kannte; der erste, der uns ihren Maafstsab nach den Ausmessungen, die er
selbst mit den schönsten Gebäuden des Alterthums vorgenommen hatte, hinterliefs.
VON DEN WESENTLICHEN EIGENSCHAFTEN EINES

BAUKÜNSTLERS.

Wir haben gesehen, dafs der Baumeister der Oberste und der Aufseher der Bau-
leute ist; er mufs also ein Mann seyn, dessen Kenntnifs und Erfahrung das Zutrauen
der Personen, die bauen lassen, verdient. Ein guter Baumeister ist keine gewöhnliche
 
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