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Die großen Porträtisten

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gründ die Büste Michelangelos hineingemalt und an der marmornen
Grabstatue, die ihm der Bildhauer Flaxmann unter der Kuppel der
St. Pauls-Kathedrale errichtete, ist abermals das Bildnis des großen
Florentiners angebracht, als schönste, wenn auch, natürlich, nekro-
logisch übertreibende Ehrung. Den Bildhauer des Moses, von dessen
Werken England kaum etwas besitzt oder besessen hat, liebte er
und empfahl ihn unermüdlich als Vorbild und Ideal. Alles andere,
was er sonst noch liebte, Tizian und Guercino, Rembrandt und
Correggio und Tintoretto, war ihm wichtig für das Handwerk, für
das Erlernen der Malerei, kaum anders als die verschlagene Kenner-
schaft Courbets, der aber seine Vorbilder, ces messieurs du Louvre,
verachtete und schmähte. Man erzählt, Reynolds hätte einmal
ein Bild von Tizian abgekratzt um dahinterzukommen, wie das
gemacht war. Niemand wird dies wörtlich nehmen. Ein Mann wie
Reynolds zerstört keinen Tizian. Vielleicht hat er ein wenig an
einer Ecke oder am Rande gekratzt, um die Pigmente zu studieren.
Aber die Anekdote ist, nimmt man sie zusammen mit seinem über-
lieferten letzten Wort, aufschlußreich: Die großen Ahnherren der
Malerei waren für ihn Lehrmeister des Handwerks. Michelangelo
dagegen, mit dem man ihn nie verglichen hat, war Ideal als Künstler.
Er predigte Nacheiferung dessen, was man nicht nachahmen kann.
Im übrigen war er der Meinung, daß es nur eine einzige Pforte zur
wahren Kunst gäbe, und den Schlüssel dazu hätten die alten Meister.
Es fragt sich, ob es für die englische Kunst ein Glück war, daß
noch zu Lebzeiten Hogarths die englische Malerei von einem Manne
geführt wurde, der nicht, wie Hogarth, nur an das Leben und die
schöpferische Naturanschauung glaubte, sondern eine Kunst trieb
und predigte, die einen Teil ihrer Kräfte nicht aus der unmittelbaren
Beobachtung des Wirklichen zog, sondern aus der Kunst der alten
Meister; der in schwachen Stunden ein wenig so aussah, wie ein
allerdings außerordentlich begabter Nachfahr van Dycks und diesen
Stil dann überhäufte, sei es mit Rembrandtschem Helldunkel, sei
es mit Tintorettos Farbe, sei es mit Tizianischem Goldton: der eine
importierte Venus schöner fand, als eine englische Köchin. Stellt
man die Frage und überdenkt man das Schicksal der englischen Male-
rei wie sie nach Reynolds wurde, so neigt man dazu, dieses Sich-
hineinstellen der englischen Maler in Reih und Glied mit den inter-
nationalen Ahnen als eine Schwäche zu empfinden. Und Reynolds
hat nur sehr wenige Porträts gemalt, die an menschlicher Kraft
dem Bischof Hoadley von Hogarth ebenbürtig sind. Aber er hat
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