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Weinbrenner, Friedrich
Architektonisches Lehrbuch (Band 2): Perspectivische Zeichnungslehre — Tübingen, 1819

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https://doi.org/10.11588/diglit.6993#0012

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§. 3. Wie sich das Liclit von dem Centrum aus verbreitet (Th. I. Heft i. §. 1.), so concentriren
sich bei dem Sehen umgekehrt die Lichtstrahlen in einem Punct in unserm Auge *). Von jeder
Grösse, bis zu dem unendlich Kleinen, kann man sich daher alle Objecte nach vorhergehendem §.
gezeichnet denken. Die Grössen der Gegenstände werden jedoch nicht nach dieser Grösse des Bildes,
sondern nur nach denen Winkeln, unter welchen wir sie sehen, von uns entnommen.

§. 4- Sind die Gegenstände, welche die Bildflache berühren, in gleicher Grösse wie die Objecte
aufgezeichnet, so heisst das Bild ein Bild in natürlicher Grösse. Sind sie hingegen entweder grösser
oder kleiner vorgestellt, so heisst das Bild im ersten Fall colossalisch, im andern verkleinert, und zwar
insbesondere Miniatur - Bild, wenn es um vieles kleiner ist als das Urbild.

*

§. 5. Die Winkel, unter welchen wir die Grösse der Gegenstände wahrnehmen, heissen
Sehwinkel {anguli optici). Dass ein Gegenstand grösser erscheint als ein anderer, hat seinen Grund
in der Verschiedenheit der Sehwinkel. Diese werden bestimmt, theils durch die Grösse der Gegenstände,
theils durch ihre Entfernung von dem Auge.

§.6. Je näher man daher bei einem Körper ist, desto grösser erscheint er. Je weiter mau
sich von ihm entfernt, desto mehr vermindert sich die Erscheinung seiner Grösse, bis sie endlich
ganz verschwindet **).

§. 7. Da die Sehwinkel bestimmt werden, theils durch die Grösse der Gegenstände, theils durch
ihre Entfernung von dem Auge, so können gleich grosse Körper nur in gleicher Entfernung gleich gross
erscheinen. Sind sie in verschiedener Weite von dem Auge gelegen, so erscheinen sie ungleich gross.
Daher kann ein kleiner Körper, wenn er dem x\uge näher als ein grösserer ist, demselben grösser
erscheinen als der grössere. Eine solche Erscheinung heisst eine optische Täuschung [fallaciu

*) Die Lichtstrahlen, welche sich durch die im Auge befindliche Krystall - Linse hinten1 auf der Netzhaut (Retina,)
abbilden, concentriren sich zwar daselbst auf einem Punct: wie aber yon diesem Punct aus die Seele den Unterschied
der Gegenstände abnimmt, und welch* Empfindung uns daselbst Gross und Klein, Hell und Dunkel u, s. w. verursachen,
um solche yon einander unterscheiden zu können, ist noeh unbekannt.

**) So verschwinden bei grosser Entfernung unsern Augen die einzelnen Formen der Gebirge mit den Farben, und wir
nehmen endlich nur noch den Gesammteindruck mit der Form der Gebirgsmassen wahr. Viele Fixsterne und andere
entfernte Weltkürper sind dem unbewaffneten Auge ganz unsichtbar; nur noch durch Fernröhre kann es sie erblicken.
Bei Bildern, in welchen nahe und entfernte Gegenstände, z. B. Landschaften, sich befinden , theilt man die
verschiedenen Gegenstände, wegen der Entfernung, in drei Hauptclassen : nahe, in der vordem Gegend; entfernteste,
in der hintern; und zwischen beiden gelegene, in dem Mittelgrund.

***) In der Astronomie finden optische Täuschungen sehr oft Statt, wenn man den Lauf zweier Sterne von verschiedener
Entfernung vergleicht. Wenn gleich der entferntere weit schneller als der nähere in seiner Laufbahn fortrückt,
so kann es doch scheinen, dass er still stehe, ja sogar dass er rückwärts gehe.

(
 
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