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Ankel, Paul; Werckmeister, Karl [Editor]
Das Neunzehnte Jahrhundert in Bildnissen (Band 5) — Berlin: Kunstverlag der Photographischen Gesellschaft, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.63696#0014
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Christian Gottfried Ehrenberg-.
(Geb. am 19. April 1795 zu Delitzsch, gest. am 27. Juni 1876 zu Berlin.)
(Hierzu Bildnis No. 481.)

In den vierziger Jahren gab es in Berlin einen
höchst seltsamen Professor. Mit einem schlichten
kleinen Kätscher aus Leinewand, einer Anzahl
winziger Stangengläschen und einem Vergrösserungs-
glase bewaffnet zog er allwöchentlich nach der
Gegend des Plötzensees hinaus. Wo in Gräben
oder Tümpeln schmutziges Wasser stand, das sonst
niemand liebte, da machte er Station, griff Proben
aus dem Wasser auf, schaute mit der Lupe zu
und zog fröhlich weiter. Ein liebenswürdiger Mann
in schon reifem Alter. Er ist dem Berliner eine
Witzblattgestalt fortan geworden, dieser „Natur-
forscher“ im Sumpf, der durch ein grosses Glas
die Trübe auf irgend eine Wunderlichkeit sondierte.
Das war Ehrenberg. Dem Laien erschien er wie
der berühmte Schildbürger, der das Licht in einer
Mausefalle heimtragen wollte. Er aber las über
diese Beute ein Kolleg, bei dem die Spitzen der
Gelehrsamkeit zu seinen Füssen sassen. In diesem
Kolleg liess ein Humboldt sich belehren, ehe er
heim ging und die Feder zu seinem Buche vom
„Kosmos“ ergriff. Schwer hielt es, dem Laien auch
nur den Wissenszweig klar zu sagen, über den
dieser Geisteskönig las. Mikrologie hat man ihn
wohl genannt, die Lehre vom Kleinen. Es war das
aber nicht philosophisch gedacht. Mikrozoologie
gab es dabei: Tierkunde des Kleinen, unscheinbar
Winzigen. Oder Mikrogeologie: Erdkunde in Hin-
sicht auf die Arbeit dieses Winzigsten.
Man muss ein Stück zurückdenken, innerhalb
des neunzehnten Jahrhunderts nur, aber recht zum
Beweise, wie lang ein solches Jahrhundert ist. Heute,
wenn wir etwa von Tierkunde hören, ist es so
selbstverständlich, dass der Zoologe ein zusammen-
gesetztes Mikroskop anwendet. Jedes anatomische
Studium führt auf die Zelle, den Baustein jedes

lebenden Wesens. Die organische Zelle ist aber
nur in verschwindenden Ausnahmen mit blossem
Auge sichtbar. Das Vergrösserungsglas thut hier
dem Forscher genau so not wie dem Astronomen
sein Fernrohr. Ungezählte Wesen giebt es gar,
deren ganzer Leib aus nichts anderem besteht als
einer einzigen Zelle. Kein Wunder, wenn ihre ganze
Existenz unter unserer Sehschwelle liegt. Hier
braucht der Anatom gar nicht zu zergliedern. Um
das ganze Geschöpf zu sehen, zu beschreiben, ins
System einzuordnen, ist das Mikroskop schon nötig.
Solcher Wesen sind aber Luft, Wasser, Erde voll.
Wo der Laie einiges Wasser und nichts sonst sieht,
da wimmelt dem Mikroskopiker eine Milchstrasse
formenreichsten Lebens vorbei. Heute fängt das an,
selbst dem Laien etwas Selbstverständliches zu werden.
Aber fünfzig, sechzig Jahre zurück, — und auf ähn-
lichen Erkenntnissen konnte ein glücklicher Kopf
naturgeschichtliche Feldzüge aufbauen, die als wahre
Alexanderzüge in die Annalen der Forschung kamen.
Das Mikroskop ist so alt wie das Fernrohr.
Aber Jahrhunderte lang hatte der Tierkundige mehr
damit gespielt, als es benutzt. Vollends der Geologe,
der aus alten Gesteinsschichten die Erdgeschichte
wieder aufbaute, wusste lange kaum, dass es ein
solches Instrument gab. Dieses indifferente Vorspiel
schloss erst endgültig in den dreissiger, vierziger
Jahren. Von den verschiedensten Seiten machte
man mit dem Mikroskop eines Tages Ernst. In
dieser Kampfesreihe nun hat Ehrenberg einen nie
mehr bestreitbaren Ehrenplatz. Es war die Grossthat
seines Lebens, dass er mit einem Ruck zeigte, welche
unglaubliche Ausdehnung das mikroskopische Gebiet
besitze. Jeder Tümpel bei Plötzensee wimmelte von
Leben in den seltsamsten Formen. Aber mehr.
Auf ein Schiff im Ozean fiel Staub. Und dieser

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