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Ankel, Paul; Werckmeister, Karl [Hrsg.]
Das Neunzehnte Jahrhundert in Bildnissen (Band 5) — Berlin: Kunstverlag der Photographischen Gesellschaft, 1901

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https://doi.org/10.11588/diglit.63696#0166
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die Sprache des Gesetzes übertragene Lehrbuch des
Meisters. Eine solche Wirkung eines Lehrbuchs
musste auf ganz hervorragende Eigenschaften seines
Gehalts wie seines Verfassers sich gründen, und in
der That finden wir diese durchaus bestätigt.
Als Sohn des königlichen Hypothekenbewahrers
Ferdinand Windscheid ist Bernhard Windscheid
am 26. Juni 1817 zu Düsseldorf geboren. Nach
vollendetem Rechtsstudium in Bonn und Berlin
und bestandener erster Staatsprüfung 1837, erwarb
er im folgenden Jahre die juristische Doktorwürde,
ward in Bonn 1840 Privatdozent und rückte
daselbst 1847 zum ausserordentlichen Professor
auf. Er ging in demselben Jahre als ordentlicher
Professor nach Basel und 1852 nach Greifswald.
Seit 1857 entfaltete Windscheid in München
eine sehr umfangreiche Lehrthätigkeit und ward
1871 auf Vangerows Lehrstuhl nach Heidelberg
berufen, das er 1874 mit Leipzig vertauschte.
Dort hat er als Lehrer bis zu seinem Tode (1892)
gewirkt; nur während der Zeit von 1880—1883
war er als Mitglied der Kommission für die
Abfassung eines „Entwurfs zu einem Deutschen
Bürgerlichen Gesetzbuche“, der einzige Theoretiker,
zumeist in Berlin thätig; da ihm indessen „persönliche
und dienstliche Verhältnisse die längere Abwesenheit
von Leipzig nicht gestatteten“, schied er aus der
Kommission, der er seit ihrer Einsetzung (1874)
angehört hatte, 1883 aus.
Ein öffentliches Wirken hat Windscheid sonst
nur in seiner Anteilnahme an der altkatholis.chen
Bewegung bethätigt, er ist kurz vor seinem Tode
Protestant geworden. An eine Studie zur Lehre
des Code Napoleon über Ungiltigkeit der Rechts-
geschäfte (1847) fügte er die Arbeiten über die
„Lehre von der Voraussetzung“ (1850), die
„Wirkung der erfüllten Bedingung“ (1851), die
„actio des römischen Civilrechts vom Standpunkt
des heutigen Rechts“ (1856). In diesen Schriften
schon entwickelte der Verfasser neue, den herr-
schenden Anschauungen widerstreitende Gedanken;
der römischen actio stellte er den modernen Begriff
des „Anspruchs“ als gleichwertig gegenüber. Alle
diese systematischen Arbeiten sind als Vorstufen zu
Windscheids Lebenswerk, dem „Lehrbuch des Pan-
dektenrechts“ anzusehen, das zuerst 1862—1870 in
drei Bänden erschien; 1891 kam es in siebenter
Auflage heraus. Dieses in seiner Art einzige Werk
bietet die allergrösste Vollständigkeit der Sammlung
und Bearbeitung der Litteratur auf dem weiten
Gebiete des Civilrechts. Für jede neue Ausgabe
unterzog sich Windscheid der stetigen Bearbeitung
aller Erscheinungen, die er scharf prüfte, treffend
in den Noten beurteilte und, wenn es geboten war,
fügte er deren Resultate in den Text selbst hinein.

Hierbei schaltete der Verfasser völlig unparteiisch
und wies selbst Anschauungen nicht zurück, die
seiner eigenen Ansicht entgegenstanden, sobald sie
in ihrer wissenschaftlichen Begründung den An-
forderungen genügten, die man stellen musste. So
zog er gleichsam das Facit aller Anschauungen auf
dem Gebiete des Civilrechts und ward jedem Be-
arbeiter dieser Fragen ein unentbehrlicher Wegweiser.
Genaueste Auslegung der Quellen und Einfügung
der Ergebnisse in ein logisch scharf und klar ge-
dachtes System zeichnet Windscheids Lehrbuch vor
allem aus; sorgsam abgemessene Definitionen treten
neben die Rechtskonstruktionen, die er durch die
Noten in jedem Teile zu stützen weiss. Er strebte
danach, die Rechtssätze ihrer römischen Form
zu entkleiden und ihren noch für die Gegen-
wart lebendigen Gehalt herauszuheben; deutsche
Ausdrücke für die römischen hat Windscheid
früh schon eingeführt. Bei dem Aufbau der ein-
zelnen Rechtssätze weist er auf das Abgestorbene
als Solches hin, doch hebt er dabei stets hervor,
nur die Gesetzgebung, nicht die Wissenschaft sei
imstande, das nicht mehr Lebendige vom Rechts-
körper abzusondern. Das ganze System stellt somit
die höchste Durchbildung des Pandektenrechts in
der Behandlung dar, die seit dem Anfang des neun-
zehnten Jahrhunderts in Deutschland diesem Zweige
der Rechtswissenschaft zu teil geworden war, und
demgemäss musste auch der Erfolg des Werkes
sein, denn die meisten praktischen Juristen Deutsch-
lands sind durch Windscheids Pandekten gebildet
worden, da deren Ansehen die Theorie des ge-
meinen Rechts beherrschte. Wer die grosse, hagere
Gestalt des Leipziger „Ordinarius“ der Juristen-
fakultät auf dem Katheder gesehen, die fast einen
müden Eindruck zu machen schien, während die
hohe, nicht allzu starke Stimme nur mit Anstrengung
den weiten Raum ausfüllte, wer dem langsamen,
aber die Rechtsinstitute fein analysierenden Vortrage,
den ein Lächeln des Redners ab und zu zu be-
gleiten pflegte, gefolgt ist, der wird sich doch ge-
fesselt gefühlt haben von dieser Sonderart und bis-
weilen innerlich bewegt worden sein, wenn sich
ihm die tiefste Cemütsregung des Lehrers mitteilte,
mit der er von der nahen Erfüllung seines Jugend-
traumes sprach, dem allgemeinen Deutschen Bürger-
lichen Gesetzbuche.
Der schlichte, bescheidene und von Wohlwollen
erfüllte Mann besass dennoch eine Würde, die
durch tiefes und mildes Gemüt gehoben ward.
Ihm wohnte bei der Ausführung des von ihm
als richtig Erkannten stets eine gelassene und
zähe Energie inne. Seinem Werke aber ist eine
einzigartige historische Bedeutung geworden. Es
bildet den Schlussstein in dem Gebäude, das die

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