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war das Lebensprincip in dem goldenen Zeitalter des Griechen-
thums. Alle Bitterkeit, welche Hölderlin gegen die moderne
Welt und speciell gegen seine eigene Nation im Hyperion aus-
gegossen hat, und alll die leidenschastlich sehnsüchtige Liebe, mit
der er das Alterthum umsaßte, beruhen auf diesem Grunde.

Deshalb ist nun das Jnteressanteste seiner Selbstbekennt-
nisse das Fragment einer Tragödie, in welcher er diesen Wider-
spruch, der ihn erfüllte, auf den Boden des Griechenthums selbst
versetzen wollte. Das tragische Motiv des „Empedokles" hat
eine gewisse Aehnlichkeit mit demjenigen des Faust. Es Le-
steht darin, daß das Jndividuum an dem Drange zu Grunde
geht, sich zum All zu erweitern, daß es von der Sehnsucht
erfüllt ist, Alles, was ist, in sich zu umfassen und besouders
mit dem ganzen Menschenleben sich zu identificiren, und daß
es mit der Einsicht in die Unersüllbarkeit dieses Strebens endet.
Aus den ausgeführten Parthien und aus den Betrachtungen
über den Gesammtplan des Werkes, welche Hölderlin hinter-
lassen hat, läßt sich wenigstens in allgemeinen Ziigen erkennen,
wie er seinen Helden, in welchem sich der Philosoph, der Dichter
und der Staatslenker zu ungetheilter Einheit verbinden, an dem
Widerspruche der wirklichen Welt, an der unharmonischen Ge-
theiltheit und Zerstückelung der äußeren Verhältnisse scheitern
lafsen wvllte.

Die Unmöglichkeit, in welcher sich das moderne Jndi-
viduum befindet, den gesammten Gehalt der allgemeinen Cultur
in seiner Vildung zur lebendigen Einheit zu bringen, ist also
der letzte Grund sür die elegische Versenkung in das classische
Alterthum, in der Hölderlin's tragisches Geschick sich besiegelte.
Und das ist nun in der That eine tiese Einsicht in das Wesen
des modernen Lebens. Diese Unmöglichkeit ist eine Thatsache.
So unendlich verzweigt, so vielfältig, so widerspruchsvoll ist
unsere Cultur geworden, daß das Jndividuum unfähig ist, sie
 
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