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Windelband, Wilhelm; Günther, Siegmund
Geschichte der antiken Naturwissenschaft und Philosophie — Nördlingen, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.23232#0140
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126

B. Geschichte der alten Philosophie.

A. Die griechische Philosophie.

Einleitung.

Die Vorbedingungen der Philosophie im griechischen Geistesleben

des 7. u. 6. Jahrhunderts v. Chr.1)

7. Die Geschichte der Philosophie der Griechen setzt ebenso wie
diejenige ihrer politischen Entwickelung in geographischer Hinsicht eine
Erweiterung der durch die heutigen politischen Verhältnisse begünstigten
üblichen Vorstellung von Griechenland voraus, worin Athen durch seine
Litteratur die Peripherie und durch seine Glanzzeit die Vorgeschichte ver-
dunkelt hat. Das antike Griechenland ist das griechische Meer mit allen
seinen Küsten von Kleinasien bis Sizilien, von Kyrene bis Thracien. Das
natürliche Zwischenglied zwischen den drei grossen Kontinenten, war dies
Meer bewohnt und umwohnt von dem begabtesten der Völker, das, so-
weit geschichtliche Erinnerung reicht, an allen seinen Küsten früh heimisch
war (Homer). In diesem Umkreise spielt das später sog. Mutterland, d. h.
das Griechenland des europäischen Festlandes, anfangs nur eine sehr unter-
geordnete Rolle. Die Führerschaft aber in der Kulturgeschichte der Grie-
chen fiel demjenigen Stamme zu, der durch seine ganze Geschichte auf
die nächste Berührung mit dem Orient angewiesen war: den Ioniern. Sie
vor allem schufen die Grundlage der späteren griechischen Geistesentfaltung,
und sie begründeten die Macht Griechenlands durch ihren Handel. An-
fangs im Gefolge der Phönicier als Seefahrer und Seeräuber, gewannen sie
im 9. und 8. Jahrhundert immer grössere Selbständigkeit, und im 7. Jahr-
hundert wurden sie die Herrn des Welthandels zwischen den drei Konti-
nenten.

Uber das ganze Mittelmeer, vom Pontus Euxinus bis zu den Säulen
des Herkules dehnen sich die griechischen Pflanzstädte und Handelsplätze
aus, selbst das verschlossene Ägypten öffnet seine Schätze dem ionischen
Unternehmungsgeist, und an der Spitze dieser Handelsstädte und zugleich
des ionischen Bundes erscheint im 7. Jahrhundert Milet als die mächtigste
und vornehmste Stätte griechischen Wesens: sie wird auch die Wiege der
Wissenschaft. Denn hier in dem kleinasiatischen Ionien häufen sich die
Reichtümer der ganzen Welt zusammen, hier halten orientalischer Luxus,
Pracht und äussere Lebensfülle ihren Einzug, hier beginnt, während auf
dem europäischen Festlande noch Rauheit der Sitten herrscht, der Sinn
für die Schönheit des Lebens und für seinen höheren Inhalt zu erwachen.
Der Geist wird von der Not des täglichen Bedürfnisses frei und schafft
sich „spielend" die Arbeiten der edlen Müsse, der Kunst und der Wissen-
schaft: denn dies ist das Zeichen des Kulturgeistes, dass er in der Müsse
nicht zum Müssiggänger wird.

') In betreff der einzelnen Momente, an I verweise ich auf die entsprechenden Ab-

die bei dieser Einleitung zur Veranschau- schnitte in den historischen und litterarge-

lichung der Genesis des wissenschaftlichen I schichtlichen Teilen dieses Handbuchs.

Lebens der Griechen erinnert werden muss, j
 
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