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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte (Band 1) — Tübingen, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.19222#0105
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Zum Gedächtnis Spmozas.

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sein, um sich die mächtigen Züge dieses Antlitzes neu
zu beleben, welches näher oder ferner einmal vor jedem
aufgetaucht ist, der das Ringen des Menschengeistes nach
voller und höchster Erkenntnis betrachtet hat.

So gut wie nur irgendeiner der Heroen der mensch-
lichen Denkarbeit ist Spinoza der leuchtende Beweis dafür,
daß es keine wahre Genialität und keine höchste Ent-
faltung geistiger Kräfte gibt ohne die Größe des Cha-
rakters. Wenn die Geschichte der Philosophie immer mit
einer gewissen Feierlichkeit bei dem Namen Spinoza an-
hält und über seine Bedeutung mit besonderer Vorliebe
sich ergeht, so rührt das vor allem daher, daß bei ihm
ebenso sehr der Mensch unser Herz gewinnt, wie der
Philosoph unsern Geist fesselt; und es ist weniger der
Reiz des Tragischen in seinem Geschick, welches er mit
manchem teilt, als vielmehr der ergreifende Eindruck
wahrer innerer Größe, worauf dies allgemeine Jnteresse
an seiner Persönlichkeit beruht. Wenn die lautere Klar-
heit seiner Gedanken noch durch etwas übertroffeu werden
kann, so ist es durch die fleckenlose Reinheit seines Cha-
rakters; in ihm ist kein Winkel, in den sich die Lüge ver-
kriechen kann, und alles, was er tut, was er lebt, was
er lehrt, trägt an sich den Stempel reinster Wahrhaftigkeit
und vollster Überzeugtheit. Jene innere Sicherheit, welche
sich in der „mathematischen Gewißheit" seiner philosophi-
schen Überzeugung ausprägt, stammt zugleich aus dem
Charakter, der, fest in sich gegründet, mit ruhiger Milde
durch das Leben geht. Diese innerliche Festigkeit aber
erwächst nur daraus, daß sich alle Kräfte seiner ganzen
Lebensentfaltung mit klarem Bewußtsein auf ein großes
Ziel hinrichten, und jene nach allen Seiten strahlende
Wahrhaftigkeit wurzelt eben darin, daß es Spinoza von
Jugend auf voller und heiliger Ernst war um die Wahr-
heit. Die Arbeit des Denkens war ihm Pflicht und Selig-
keit zugleich, die Wissenschaft war ihm Religion. Aber
 
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