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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte (Band 1) — Tübingen, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.19222#0207
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Goethes Faust und die Philosophie der
Renaiffance.

Wir sind längst gewohnt, in dem größten Werke
unserer deutschen Literatur den allgemein menschlichen
Sinn in erster Linie aufzufassen. Wir sehen in Faust
und seinem Geschick den strebenden, ringenden, irrenden,
sündigenden und zuletzt erlösten Menschen. Aber dies
Typische in seinem Wesen und Erleben ist nnu vom Dichter
mit der wunderbarsten Kunst der Jndividualisierung und
anschaulichen Gestaltung dargestellt. Schon in den Cha-
rakteren ist es leicht, die individnellen Züge wiederzn-
erkennen, wenn man nur nicht beim Dichter sucht, was
er niemals bringt: Photographien, direkte Abklätsche des
Wirklichen. Wer eine Ahnung von dem Walten der dichte-
rischen Phantasie hat, der weiß, wie wenig das Einzelne
darin standhält, wie sich das Mannigfaltige des Er-
lebten ineinanderwebt, wie das Mögliche verwirklicht,
das Wirkliche zu Ende gedacht wird. So mischen sich
in den Menschen des Faust, vor allem im Gegensatze
von Faust und Mephisto, Goethe selbst, Merk, Herder,
so mag es manchen Typus des Wagner unter Goethes
Freunden gegeben haben, so schwimmen die Frankfurter
Jugendliebe und Friederike in der Gestalt Gretchens zu-
sammeu. Ähnlich ist es mit der landschaftlichen Szenerie.
Auch hier hat man an dem Spaziergang des Ostertages

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