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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte (Band 1) — Tübingen, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.19222#0163
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Nach hundert Zahren.

(Zu Kcmts hundcrtjährigem Todestage. 1904.)

Wenn man auf die Bewegungen der Philosophie in
den letzten Jahrzehnten zurückblickt und in der Gegenwart
Umschau hält, so ist man wohl versucht, sich staunend zu
fragen, ob denn wirklich schon ein Jahrhundert dahin-
gegangeu ist, seit der große Denker in Königsberg die
müden Ailgen schloß: so unmittelbar lebendig sind uns
seine Probleme und Begriffe, so unablässig arbeiten wir
noch heute an der Ausspinnung der Gedanken, die er
angelegt hat. Uud diese historische Macht der kritischen
Philosophie zeigt sich gerade darin, daß sie nicht etwa
in der Gestalt eines geschlossenen Schulverbandes weiter
gewirkt, sondern die ganze Breite des wissenschaft-
lichen Lebens befruchtend durchdrungen hat. Zahlreiche
eindrucksvolle und gcdankenmächtige Systeme der Philo-
sophie sind iu der direkten Weiterentwickelung aus dem
Kritizismus erwachsen; aber keines von ihnen hat dauernd
die Allgemeinheit und Tiefe der Wirkung auszuüben ver-
mocht wie das kantische. Dabei erleben wir den eigen-
artigen Vorgang — ein leuchtendes Beispiel von den
sachlichen Notwendigkeiten, die in der Geschichte der Philo-
sophie walten —, daß, nachdem Kants Lehre ihren zweiten
Siegeszug gehalten hat, abermals aus ihr kräftige Triebe
hervorzubrechcn beginnen, die jenen der ersten Entwicke-
lung verwandt und ähnlich sind.

So stehen wir heute, nach hundert Jahren, wiederum
vor der Frage: was soll aus dem Kritizismus

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