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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte (Band 1) — Tübingen, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.19222#0275
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Über Friedrich Hölderlin und sein Geschick. 259

darstellt, was im kleinen bei Tausenden und Abertausen-
den sich als Verwirrung und Verwilderung des Geistes
erkennen läßt.

Jn der Tat, das moderne Jndividuum ist das resig-
nierende. Wir alle sind „die Entsagenden" der „Wander-
jahre". Nicht von jener Resignation auf die persönlichen
Wünsche ist die Rede, welche zu allen Zeiten eine Pflicht
des sittlichen Menschen gewesen ist, sondern von der be-
wußten Resignation auf eine alles umfassende Kenntnis
des gesamten Kulturgehaltes. Wir haben keine Philo-
sophie mehr und werden nie wieder eine haben, welche
alle Erkenntnisse der Wissenschaften zu einem Weltbilde
zusammenarbeitete. Aber darum darf das Leben des
einzelnen nicht aufhöreu, im Ganzen zu wurzeln und sich
mit dem Wesen der Gattung eins zu wissen. Je inehr
das Streben in die Breite sich verbietet, um so not-
wendiger ist es, in die Tiefe zu graben. Mögen wir
uns ein jeder in die Besonderheit seines Berufs mit seinem
Wissen und Können verlieren, so darf nns doch das Ver-
ständnis für die höchsten Werte des Menschenlebens, denen
sich unser kleines Leben an bestiinniter Stelle einzuordnen
hat, uicht verloren gehen; uud von der philosophischen
Besinnung dürfen wir verlangen, daß sie uus eben diesen
Zusammenhang der höchsten Wertbestimmungen zum Be-
wußtsein bringe und uns aus unserem Sonderdasein in
die Höhe der Huinauität emporhebe. Das bleibt uns
immer übrig, deu reiuen Gehalt allen menschlichen Kultur-
lebens, die Jdeale unserer Geschichte im Bewußtsein zu
erhalten und ihnen unser persönliches Leben einzuordnen.
Jn unserem Erkeniien uud Wisseu sind wir keiue unbe-
fangen einheitlichen Meiischen mehr: aber im tatkräftigen
Glauben an die Jdeale sollen >vir es immer bleiben.

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