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Windelband, Wilhelm
Präludien: Aufsätze und Reden zur Philosophie und ihrer Geschichte (Band 1) — Tübingen, 1915

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https://doi.org/10.11588/diglit.19222#0277
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Fichtes Geschichtsphilosophie.

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gebildet hat, so hat er an ketnem Punkte eine tiefer-
gehende Veränderung daran vorgenoinmen, als an diesem.
Es wird zum Verständnis davon wünschenwert sein, ein
wenig weiter zurückzugreifen.

Die neue, die kritische oder transszendentale Philo-
sophie setzt den Grnndgegensatz im Denken und Leben
des 18. Jahrhunderts voraus und hat daran ihr Problem.
Wenn wir dies Zeitalter das der Aufklärung nennen,
so geschieht es im Hinblick auf die rationalistische Ober-
strömung, welche, von den theoretischen Jdealen der
Klarheit und Deutlichkeit erfüllt, die Welt mit ihrer Ver-
standeseinsicht durchdringen und das Leben des Einzelnen
wie der Gesamtheit danach gestalten wollte. Aber daneben
läuft durch die ganze Zeit eine irrationalistische llnter-
strömung, welche aus dem Gefühl, „daß das Ganze unserer
Existenz, durch Vernunft dividiert, nicht restlos aufgeht",
in tiefer leidenschaftlicher Bewegung ihren ursprünglichen
Lebensinhalt zur Geltung bringen will. Jn der deut-
schen Literatur ist das Verhältnis dieser beiden Strö-
mungen durch den bekannten Gegensatz der regelrechten
Dichtnng nach der Vorschrift Gottscheds und der genialen
Bewegung von Sturm und Drang bekannt. Jn der all-
gemeinen europäischen Literatur sind es die beiden großen
Namen Voltaire und Rousseau, deren frenndliche nnd
feindliche Beziehung diese Zusammenhänge wohl am ein-
leuchtendsten hervortreten läßt. Die kritische Philosophie
nnn richtet sich auf diesen Gegensatz gerade in dem
Sinne, daß es die Grenzen der Geltung zwischen beiden
Strömungen genau zu bestimmen gilt. Kant hat den
Versuch, Welt und Leben, Erkenntis und Sittlichkeit so
weit wie irgend mvglich mit der Vernnnft zu dnrchdringen
und rational zn gestalten, so weit und so energisch wie
kein anderer durchgeführt und um so schärfer damit die
Grenze bestimmt, bis wohin das möglich ist. Man kann
alle seine Untersnchungen auf die Formel bringen, dcn
 
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