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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 5.1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.9076#0016
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Deutscher Weichstcrg.

(Spezialbericht des „Wahren Jacob".)

Tagesordnung: Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen
der Sozialdemokratie.

Präsident: Die Sitzung ist eröffnet.

Ein Landrath: Lassen Sie uns die Sitzung mit dem üblichen
Massengesang beginnen!

Chor der Landräthe: Gegen Demokraten

Helfen nur Soldaten!

Gegen Sozialisten
Helfen Polizisten!

Abg. Kropatscheck: Bravo! Das verstehe auch ich!

Abg. Singer: Meine Herren, bei alledem ist uns amtlich bescheinigt
worden, daß der Spion Schröder den Druck der „Freiheit" aus seiner
Tasche bezahlt hat. Ich kann Ihnen die amtliche Bescheinigung des
Stadtraths von Schaffhausen vorlegen. Hier ist sie. (Legt das Papier
auf den Tisch des Hauses.)

Abg. v. Helldorff: Brauchen Sie gar nicht; ich glaub's Ihnen so
auch. Aber ich muß erklären, daß der Schröder, wenn er das gethan,
sich um die konservativen Bestrebungen verdient gemacht hat; denn wenn
die „Freiheit" erscheint, so ist es uns Konservativen viel leichter, die
Nothwendigkeit des Sozialistengesetzes zu begründen. Sie sind also im
Jrrthum, wenn Sie glauben, mit Ihrer Enthüllung dem Schröder einen
Schlag versetzt zu haben. Der Mann hat aus Patriotismus gehandelt.

Abg. Bamberger: Früher habe ich auch sür das Sozialistengesetz
gestimmt. Inzwischen ist mir aber vor meiner Gottähnlichkeit bange
geworden und ich stimme dagegen. Wenn bessere Zeiten kommen, so
werde ich auch wieder einmal dafür stimmen.

Abg. Rickert: Bravo, lieber Freund, ganz meine Meinung. Genau
so werde ich es auch machen.

Staatssekretär v. Puttkamer: Meine Herren, ereifern Sie sich nicht
so. Schade, daß ich nicht Kriegsminister bin. Wäre dies der Fall, so
würde ich mit zweimalhunderttauseud Mann nach der Schweiz rücken und
den Polizeihauptmann Fischer gefangen nehmen. Prozeßakten an sozial-
demokratische Abgeordnete mittheilen, ist ein schwerer Fall und man hat
schon gehört, daß wegen geringfügigeren Sachen Feldzüge unternommen
worden sind.

Abg. v. Marquardsen: Die Sache ist insofern kitzlich, als es sich

für uns in dieser Sache darum handelt, den Pelz zu waschen, ohne ihn
naß zu machen. Im Uebrigen bin ich gegen die Expatriirung. Denn
wenn wir einen Sozialisten für heimathlos erklären, so werden die Nach-
barstaaten sich weigern, ihn aufzunehmen. Wenn wir ihn hinausschieben,
so schieben sie ihn wieder herein; das wäre dann ein xerpstuum mobile,
von dem nicht nur der ausgewiesene Sozialist, sondern auch unsere Polizei
auf Jahre hinaus hin und herbewegt würde. Und das dürfen wir der
Polizei nicht zumuthen.

Abg. Windthorst: Meine Herren, Sie werden mir zugeben, daß
meine politischen Freunde und ich verstanden haben, in der Frage des
Sozialistengesetzes den richtigen Zickzack zu wandeln. Wir sind gegen das
Sozialistengesetz und sind eigentlich doch dafür und sind sür das Gesetz
und sind eigentlich doch dagegen. Mein Freund Reichensperger häutet
sich bekanntlich vor jeder Abstimmung über dies Gesetz und das soll ihin
ein Nationalliberaler einmal nachmachen. Wie ich stimmen werde, ist
klar; weniger klar ist, wie meine Freunde stimmen werden. Ich bin also
gegen das Gesetz; sollte sich die Situation, was ich nicht hoffe, so ge-
stalten, daß das ganze Gesetz in Frage kommt, dann werde ich dafür
sorgen, daß es verlängert wird.

Abg. Reichensperger: Dann bin ich bereit, mich abermals zu
häuten. (Stürmisches Bravo im Zentrum.)

Abg. Bebel: Mau wird die abgelegten Häute des Herrn Reichen-
sperger in der zoologischen Abtheilung des germanischen Museums zu
Nürnberg aufhängen. (Heiterkeit.) Sie werden für die spätesten Ge^
schlechter noch ein Denkmal der politischen Gewandtheit ihrer Vorsahren
bilden. Im Uebrigen hat man immer gesagt, es gäbe keine Spione in der
Schweiz. Nun, man hat eben den Wald vor lauter Bäumen nicht gesehen.

Abg. v. Kardorff: Die Göttin Justitia und ich haben eine wächserne
Nase. Sie begreifen also, daß mir die Enthüllungen der Herren Sozial-
demokraten gar nicht imponiren.

Abg. vr. Götz: Man hat mir nachgesagt, ich hätte meine Gesinnung
gewechselt. Das ist nicht wahr; ich bin nur so klug gewesen, jederzeit
mit dem politischen Umschlag zu gehen. Ich hätte gern ein Staatsmann
sein mögen, bin aber dabei abgefallen. (Heiterkeit.)

Abg. Stöcker: Wir leben jetzt in einer großen Zeit; das sehen Sie
schon an dieser Debatte. Eine lachende Zukunft liegt vor uns. Dem»
nächst werden wir sogar nur die Kleinigkeit von 280 Millionen für das
Militär zu bewilligen haben. Haben wir erst die Sozialdemokraten
draußen, so stellen meine politischen Freunde und ich sofort den Antrag,
sämmtliche Juden nach dem Lande, wo Milch und Honig fließt, zu ver-

Der "MrinZ von 'Mersien.

Eine »icht >a»z unwahre Geschichte.

Von Kclris Il'ux,

^ie neugierigen Bewohner der berühmten See- und Universitäts-
stadt L. waren in keiner geringen Aufregung, denn seit einigen
Tagen weilte ein Prinz in ihren Mauern, eiu leibhaftiger
Prinz von Persien. Er reiste zwar inkognito, doch mit dem
gewöhnlichen Vorbehalt, daß dieses Inkognito überall, wohin er kam,
schon vorher in den Zeitungen spukte. In L. gedachte der Prinz, wie
man hörte, einen längeren Aufenthalt zu nehmen und die gute Gesellschaft
versprach sich davon außerordentlich viel. Man wollte Bälle und andere
Vergnügungen arrangiren und den asiatischen Prinzen dazu heranziehen.

Anfangs hielten sich Seine persische Hoheit, die in dem ersten Hotel
der Stadt sich einlogirt hatten, sehr zurück. Das Gefolge des Fürsten
bestand ans zwei sehr verschwiegenen Dienern, offenbar Persern, die aber
ganz gut deutsch konnten. Sie bedienten den Prinzen ganz allein, und
die Kellner und Zimmermädchen, die von den neugierigen Stammgästen
des Hotels mit Fragen bestürmt wurden, konnten keine Auskunft geben.
Da man ihnen aber Trinkgelder gab, so sagten sie eben, was ihnen ein-
fiel, und bald liefen über den Prinzen die abenteuerlichsten Erzählungen
in der Stadt um. Man erfuhr, daß er allerlei geheimnißvolle religiöse
Zeremonien in seinen Gemächern vornehme. Er schien nach dem, was
man hörte, zu den Feueranbetern zu gehören. Dann hieß es, er habe
einen Ziegenbock eigenhändig geschlachtet und die Wände mit dem Blute
des Thieres bespritzt. Die jungen Damen der Stadt nahmen an dem
geheimnißvollen Perser ein sehr lebhaftes Interesse und die Wunder der
Märchen von „Tausend und eine Nacht" beschäftigten ihre Gedanken. Die
jungen Herren waren ernstlich böse, da von gar nichts als von diesem
geheimnißvollen Perser die Rede war.

Acht Tage nach seiner Ankunft fuhr der persische Prinz zum ersten
Mal aus. Es war ein hübscher junger Mann mit eleganter Haltung,
bleichem Gesicht, regelmäßigen Zügen und von einem vornehmen, geheim-
nißvollen Wesen. Seine Kleidung war europäisch, nur trug er auf dem
Haupte die hohe spitze Mütze der Perser.

Die Damenwelt gerieth in keine geringe Aufregung ob dieses Prinzen,
der so hübsch war und so geheimnißvoll auftrat. Hundert schöne Augen
blickten zärtlich und sehnsüchtig dem Perser nach, wenn er durch die
Siraßen dahinsuhr. Er schien es nicht zu bemerken, umsomehr aber seufzte
die elegante männliche Jugend über die sonderbare Geschmacksrichtung der
jungen Damen, die sich vom Fremdländischen so sehr angezogen suhlten.
Bekanntlich ist die Nation der Weiber immer so gewesen.

Besonders be>m Kommerzienrath von Arnheim interessirte man sich

lebhaft für den Perser und dies Interesse war von des Kommerzien-
raths ebenso schöner als stolzer Tochter Bertha angeregt worden. Bertha
war zwar schon verlobt, allein dies hielt sie nicht ab, eine Begegnung
mit dem Perser zu suchen. Sie wollte glänzen und dazu erschien ihr ihr
Bräutigam nicht recht geeignet. Von Arnheim war nämlich erst seit
einigen Jahren durch eine glückliche Spekulation reich und darnach auch
Kommerzienrath geworden. Er hatte einen langjährigen Freund, den
Justizrath Dornstett, der ihm vielfach Dienste geleistet hatte. Dornstett
halte einen einzigen Sohn, von Arnheim nur die Tochter Bertha und in
einer guten Stunde versprach man einander die Kinder zu vermählen.
Die Sache wurde wie ein Geschäft abgemacht und nachdem der junge^
Arnold Dornstett das juristische Studium absolvirt hatte, verlobte man
ihn mit der stolzen Bertha, die sehr gnädig auf den Bräutigam, einen
hübschen und sanften jungen Mann, herabsah. Indessen schob man die
Vermählung noch hinaus, bis Arnold eine entsprechende Anstellung haben
würde, und dies war der stolzen Bertha ganz recht. Bis dahin konnte
sich noch manches ändern.

Der Kommerzienrath konnte seiner Tochter, die er sehr liebte, nicht
leicht etwas abschlagen. Als sie ihn daher aufforderte, eine Soiree zu
geben und den persischen Prinzen dazu einzuladen, wollte er erst nicht
recht daran, denn, meinte er, man wisse doch kaum, womit man eine Ein-
ladung des landfremden Feueranbeters und Bockschlächters begründen
solle. Allein Bertha drang so sehr in ihn, daß er nachgab, zumal die
Tochter von der Mutter, einem durch Emporkömmlingsschaft dummstolz
aufgeblasenen Weibe, energisch unterstützt wurde.

Arnold, der glücklich sein sollende Bräutigam, machte zwar ein finsteres
Gesicht, allein man nahm aus ihn keine Rücksicht. Er sollte sich bei Zeiten
auf den Pantoffel der stolzen Bertha vorbereiten.

So kam der Abend heran, den man sür die Soiree festgesetzt, und
in den festlich erleuchteten Räumen des Herrn Kommerzienraths von Arn-
heim bewegte sich eine elegante Gesellschaft, die mit Ungeduld auf den
Glanzpunkt der Soiree, das Erscheinen des persischen Prinzen, harrte.
Herr von Arnheim hatte dem Prinzen geschrieben, die elegante Gesell-
schaft würde es sich zur hohen Ehre anrechnen, seine Hoheit in ihrer
Mitte zu sehen, und der Prinz hatte in gutem Französisch geantwortet,
er pflege sich zwar nicht aufzudrängen, allein einer solch liebenswürdigen
Einladung könne er nicht widerstehen und werde gerne kommen.

Und er kam. Seine Liebenswürdigkeit bezauberte alle jungen Damen,
besonders aber die stolze Bertha, welche auch auf ihn einen besonderen
Eindruck gemacht zu haben schien. Der junge Dornstett war schier un-
tröstlich, denn er ahnte Unheil, und ging voll finsteren Unmuths noch
vor dem Schlüsse der Soiree hinweg.

Am meisten entzückt von dem Perser war indessen die Frau Kom-
merzieuräthiu von Arnheim. Für sie war der asiatische Prinz eine Art
höheren Wesens. Verächtlich zog sie die Lipve empor, wenn sie den
 
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