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https://doi.org/10.11588/diglit.9076#0114
Nr. 63.
Preis pro Nummer 10 Pfennig.
1888
0'^
Erscheint monatlich zweimal.
Zu beziehen durch alle Buchhandluuqeu und Kolporteure.
Blitzdralitmcldnnften.
Berlin. Die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten sind so-
eben in Berlin feierlich eingezogen und von den Spitzeln der
Behörden empfangen wordein
— Der Papst hat seinen Besuch in der Reichshauptstadt
angekündigt. Man trifft Vorbereitungen zu festlichem Empfang. Windt-
horst, Forckenbeck und Stöcker befinden sich im Feftkomite: die Berliner '
Stadtverordneten defignirten ihr Mitglied Kuhnert i» dasselbe, doch'hat
der letztgenannte dankend abgelehnt.
^ Zlns Bayern. Mit der Sozialdemokratie wird eS geradezu
unheimlich, da man bei ihr keine einzige heimliche Verbindung
mehr entdecken kann.
PariS. Die Franzosen haben den König von Anam gefangen und
wollen ihn nach Algier oder gar nach Frankreich bringen. Die Royalisten
jubeln, das! Frankreich nun endlich wieder einen König hat.
Bulgarien. Trotz wiederholt aufgetauchter Gerüchte in regierungs-
freundlichen Blättern ist noch immer kein mißglücktes Attentat auf
den Fürsten Ferdinand verübt worden. Die Freunde des Fürsten sind
über dieses geringe Entgegenkommen, welches das fürstliche Popularitäts-
bedürfniß in Attentäterkreisen findet, sehr verstimmt.
Ein Albumblatt für das Zentrum.
Mir rasch wir in der Zeit des Dampfes leben!
ER geht voraus — die Kleinen folgen nach.
Wer wird an Worten heutzutage kleben,
Die man vielleicht vor zwanzig Jahren sprach!
Datz damals man den Brustton angeschlagen,
Mit dem des Mannes Ueberzeugung spricht,
Das hindert nicht, datz man in nnsern Tagen
Vor aller Welt das Gegentheil verficht.
Wir haben einst uus herzlich schlecht gestanden
Mit Pio Nono, der so schön geflucht —
Eh' wir genügend starke Worte sandeil,
Hat man im Knigge angestrengt gesucht.
Das „Los von Rom!" war damals die Parole,
Der Morgen dämmerte bei Hahnenkräh'n
Und mit Tiara, Fischerring und Stole
War uns der Papst — ein fremder Sonverain!
Von oben ward die Einsicht uns gespendet,
Datz wir im Irrthum lebten lange Zeit;
Wir gehen auch, seit sich das Blatt gewendet.
Gar höflich um mit Seiner Heiligkeit;
Und mag er zehnmal Mti-s, inontss wohnen,
Ist ein legales doch sein Regiment,
And er gehört zu den Institutionen,
Die „heimisch" man seit der Erleuchtung nennt.
Die wir verjagt nach fremder Länder Küsten,
Wer fagt jetzt noch, ste kämen nimmermehr?
Es heitzt fogar, die Jünger Jefn rüsten
Sich da und dort bereits zur Wiederkehr.
Warum auch nicht? Bedenklich hat gesplittert
Am Felsen Kirche nnsres Reichsschiffs Kiel;
Jetzt hat das Zentrum „Morgenlust" gewittert
Und manchen Trumpf hat Wiudthorst uoch im Spiel.
Die Pfäffleiu steh'u mit fpöttlicheu Geberdeu,
Das Wetter prüfend, Hand in Hand gefügt;
Es wird zunächst erbaulich dämmrig werden
Im Deutschen Reiche, wenn nicht Alles trügt.
In ihren Winkeln regen stch die Frommen;
Es steht so hübsch nach Mittelalter aus;
Die Zeit der Schleiereuleu scheint gekommen
Und lustig tummelt stch die Fledermaus.
Es klingen brünstiger die Unkenlieder,
Die wir verstummt gewähnt, aus jedem Sumpf;
Es riecht uach Moder und uach Schimmel wieder,
Recht brustbeklemmend, widerlich und dumpf.
Apokalyptisch miszgestalte Vi etiler
Bevölkern, wimmelnd, schattenhaft, den Raum.
Und alpgrdrückt sah rillen Kelzerriecher
Ich schnüffelnd schleichen letzte Nacht im Traum.
Nur immer zu! Es mutz durchwaten werden
Auch dieser Pfuhl, in dem es brodelnd gährt,
Damit stch's wieder mnthig regt auf Erden,
Damit ein Windstosz in die Nebel fährt.
Denn datz ste siegen, datz zurück ste drehen
Das Rad der Zeit und lösche:: alles Licht,
Sie, die im Dunkeln, wie die Eulen, seheu,
Das glauben ste im Ernst ja selber nicht.
Wann unterlag der alten Zeit die junge? .
Und wehe dir, wrnn jenes Rad dich streist!
Wie einen Halm zerbricht's in seinem Schwünge
Den schwachen Arm, der in die Speichen greift.
Das ist kein Mnth mehr, ist ein blindes Toben;
Wen vor die Brust das Eifenrad erst schlug.
Der ist sortau besorgt und ausgehoben,
Der haucht den letzten matten Athemzng.
Wer das rrkannt, der mag in diesen Tagen
Gehobnen Hauptes durch die Dämmruug grhu,
Der mag mit leicht ironischem Behagen
Wie „Hans im Glücke" Rom im Siege sehn.
Ans ist kein Papst der grobe Mönch aus Sachsen,
Der widrr'n Bannstrahl seine Bibel schwang,
Doch diesen: Spuk ist unser Volk entwachsen
And Rom im Sieg ist — Rom im Untergang.
Preis pro Nummer 10 Pfennig.
1888
0'^
Erscheint monatlich zweimal.
Zu beziehen durch alle Buchhandluuqeu und Kolporteure.
Blitzdralitmcldnnften.
Berlin. Die sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten sind so-
eben in Berlin feierlich eingezogen und von den Spitzeln der
Behörden empfangen wordein
— Der Papst hat seinen Besuch in der Reichshauptstadt
angekündigt. Man trifft Vorbereitungen zu festlichem Empfang. Windt-
horst, Forckenbeck und Stöcker befinden sich im Feftkomite: die Berliner '
Stadtverordneten defignirten ihr Mitglied Kuhnert i» dasselbe, doch'hat
der letztgenannte dankend abgelehnt.
^ Zlns Bayern. Mit der Sozialdemokratie wird eS geradezu
unheimlich, da man bei ihr keine einzige heimliche Verbindung
mehr entdecken kann.
PariS. Die Franzosen haben den König von Anam gefangen und
wollen ihn nach Algier oder gar nach Frankreich bringen. Die Royalisten
jubeln, das! Frankreich nun endlich wieder einen König hat.
Bulgarien. Trotz wiederholt aufgetauchter Gerüchte in regierungs-
freundlichen Blättern ist noch immer kein mißglücktes Attentat auf
den Fürsten Ferdinand verübt worden. Die Freunde des Fürsten sind
über dieses geringe Entgegenkommen, welches das fürstliche Popularitäts-
bedürfniß in Attentäterkreisen findet, sehr verstimmt.
Ein Albumblatt für das Zentrum.
Mir rasch wir in der Zeit des Dampfes leben!
ER geht voraus — die Kleinen folgen nach.
Wer wird an Worten heutzutage kleben,
Die man vielleicht vor zwanzig Jahren sprach!
Datz damals man den Brustton angeschlagen,
Mit dem des Mannes Ueberzeugung spricht,
Das hindert nicht, datz man in nnsern Tagen
Vor aller Welt das Gegentheil verficht.
Wir haben einst uus herzlich schlecht gestanden
Mit Pio Nono, der so schön geflucht —
Eh' wir genügend starke Worte sandeil,
Hat man im Knigge angestrengt gesucht.
Das „Los von Rom!" war damals die Parole,
Der Morgen dämmerte bei Hahnenkräh'n
Und mit Tiara, Fischerring und Stole
War uns der Papst — ein fremder Sonverain!
Von oben ward die Einsicht uns gespendet,
Datz wir im Irrthum lebten lange Zeit;
Wir gehen auch, seit sich das Blatt gewendet.
Gar höflich um mit Seiner Heiligkeit;
Und mag er zehnmal Mti-s, inontss wohnen,
Ist ein legales doch sein Regiment,
And er gehört zu den Institutionen,
Die „heimisch" man seit der Erleuchtung nennt.
Die wir verjagt nach fremder Länder Küsten,
Wer fagt jetzt noch, ste kämen nimmermehr?
Es heitzt fogar, die Jünger Jefn rüsten
Sich da und dort bereits zur Wiederkehr.
Warum auch nicht? Bedenklich hat gesplittert
Am Felsen Kirche nnsres Reichsschiffs Kiel;
Jetzt hat das Zentrum „Morgenlust" gewittert
Und manchen Trumpf hat Wiudthorst uoch im Spiel.
Die Pfäffleiu steh'u mit fpöttlicheu Geberdeu,
Das Wetter prüfend, Hand in Hand gefügt;
Es wird zunächst erbaulich dämmrig werden
Im Deutschen Reiche, wenn nicht Alles trügt.
In ihren Winkeln regen stch die Frommen;
Es steht so hübsch nach Mittelalter aus;
Die Zeit der Schleiereuleu scheint gekommen
Und lustig tummelt stch die Fledermaus.
Es klingen brünstiger die Unkenlieder,
Die wir verstummt gewähnt, aus jedem Sumpf;
Es riecht uach Moder und uach Schimmel wieder,
Recht brustbeklemmend, widerlich und dumpf.
Apokalyptisch miszgestalte Vi etiler
Bevölkern, wimmelnd, schattenhaft, den Raum.
Und alpgrdrückt sah rillen Kelzerriecher
Ich schnüffelnd schleichen letzte Nacht im Traum.
Nur immer zu! Es mutz durchwaten werden
Auch dieser Pfuhl, in dem es brodelnd gährt,
Damit stch's wieder mnthig regt auf Erden,
Damit ein Windstosz in die Nebel fährt.
Denn datz ste siegen, datz zurück ste drehen
Das Rad der Zeit und lösche:: alles Licht,
Sie, die im Dunkeln, wie die Eulen, seheu,
Das glauben ste im Ernst ja selber nicht.
Wann unterlag der alten Zeit die junge? .
Und wehe dir, wrnn jenes Rad dich streist!
Wie einen Halm zerbricht's in seinem Schwünge
Den schwachen Arm, der in die Speichen greift.
Das ist kein Mnth mehr, ist ein blindes Toben;
Wen vor die Brust das Eifenrad erst schlug.
Der ist sortau besorgt und ausgehoben,
Der haucht den letzten matten Athemzng.
Wer das rrkannt, der mag in diesen Tagen
Gehobnen Hauptes durch die Dämmruug grhu,
Der mag mit leicht ironischem Behagen
Wie „Hans im Glücke" Rom im Siege sehn.
Ans ist kein Papst der grobe Mönch aus Sachsen,
Der widrr'n Bannstrahl seine Bibel schwang,
Doch diesen: Spuk ist unser Volk entwachsen
And Rom im Sieg ist — Rom im Untergang.