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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 5.1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.9076#0031
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Aus Jacobs Kimmetsahrten.

I. Der Ackermannstaat.

ÜWÄW ch träumte eines Tages so vor mich hin und wußte nicht, was
thun. Da kam mein alter Freund Ahasver, der ewige Jude,
der auch Langeweile hatte.

, Komm", sprach er, „wir machen eine Himmelfahrt."

„Eine Himmelfahrt?"

„Jawohl! Ich habe auf einigen kleineren Sternen Jdealstaaten nach
dem Geschmack hervorragender deutscher Politiker eingerichtet uud Du
kannst sie Dir zu Nutz und Frommen Deiner Landsleute einmal ansehen."

Der ewige Jude hat schon lange einen lenkbaren Luftballon. Er
will aber das Geheimniß der Lenkbarkeit erst preisgeben, wenn er
einmal zur Ruhe kommen wird. Das könnte noch sehr lange dauern.

Doch was geht mich das an? Wir stiegen also empor und warfen
einen Ballast-Sandsack aus, der einem Reporter der „Kreuzzeitung"
gerade auf die Nase fiel und ihm den Kneifer zertrümmerte. So ge-
gelangten wir unbeachtet in die höheren Regionen. Wir kamen an
einem Sterne vorbei, wo wir große Massen von Vögeln einsam sitzen
sahen.

„Was ist das? ' fragte ich.

„Hier legt der selige Chemiker Liebig seine große Guano-Kolonie an,
mit der er bewirken will, daß es Guano auf die Erde hinab regnet.
Damit wird er eine nie dagewesene Fruchtbarkeit des Bodens bewirken."

„Genial, wie immer", sagte ich.

Auf einem andern Sterne fahen wir Gewehre, Säbel, Patronentaschen
und Pickelhauben auf den Bäumen wachsen.

„Was ist das?" srug ich verwundert.

„Einige selige Nationalliberale haben endlich das Mittel gefunden,
den großen Ausgaben für den Militarismus Schranken zu setzen. Dem-
nächst wird es die Waffen- und Ausrüstungsstücke kostenfrei auf die Erde
hinab regnen."

„Ah!"

Wir sahen auch eiu kleines Sternchen, das vom seligen Pastor
Knaak geschoben wurde. Der Herr Pastor sah ganz vergnügt aus und
hatte eine gelbe Flanelljacke an.

Endlich hielt unser Ballon; wir hatten unseren Stern erreicht. Es
war ein recht niedliches Planetchen und sah ganz anheimelnd aus.

„Nun sollst Du sehen", sprach Ahasver, „wie behaglich Alles nach
dem System Ackermann hier eingerichtet ist."

Ich sah mich um. Was mir auffiel, war, daß alle fünf Schritte
ein Schutzmann aufgestellt war.

Zunächst begegnete mir ein sehr hübsches junges Mädchen, die mich
freundlich anlächelte.

„Schönes Kind", sagte ich. „was suchst Du?"

„Einen Mann."

„Da möchte ich Dich wohl heirathen."

Darauf hin trat der nächste Schutzmann an mich heran und sagte:

„Nach der Gewerbeordnung müssen Sie dazu den Befähigungsnach-
weis erbringen."

„Und worin besteht der?" srug ich verwundert.

„Die jungen Paare werden ein Jahr in einem Zinimer zusammen-
gesperrt. Erst wenn sie dann noch entschlossen sind, sich zu heirathen,
erfolgt die definitive Eheschließung."

„Ich danke", sagte ich und ging davon, während mir die Schöne
einen bedauernden Blick nachsandte.

Wir kamen an einem schönen Tempel vorüber und ich wollte ihn
zeichnen. Der nächste Schutzmann kam.

„Wo ist Ihr Arbeitsbuch?"

„Habe ich nicht!"

„Dann haben Sie kein Recht hier zu zeichnen. Wir müssen erst
wissen, wo und was Sie früher gezeichnet haben und welcher Art Ihre
moralische Aufführung dabei war."

Ich schob meine Mappe wieder ein. Wir kamen an einen Wirth-
schaftsgarten, von wo man eine schöne Aussicht hatte. Ich ließ mir ein
Seidel Münchener Spatenbräu kommen.

Eben setzte ich den Krug an den Mund, als ein Zollbeamter herantrat.

„Mein Herr, bevor das Bier die Zahngrenze passirt, haben Sie erst
den Eingangszoll von fünf Pfennig pro Seidel zu entrichten."

„Warum?"

„Wir schützen damit die Bierproduktion auf unserem Planeten
gegen die verderbliche Konkurrenz des Münchener Bieres."

„Nanu", meinte ich, „da wird doch nicht auch ein Ausgangszoll
zu entrichten sein?"

„Verspotten Sie unsere Gesetze nicht", sagte der Schutzmann ernst.
Ich zahlte.

Aber gleich darauf traten zwei Steuerbeamte heran.

„Das Gesetz befiehlt uns, von jedem Fremden, der sich setzt, eine
Sitzsteuer von 5 Pfennig und eine Athmungsstener von 10 Pfennig pro
Stunde zu erheben", sagten die Beamten.

„Athmnngssteuer? Sitzsteuer?"

„Die Wohlfahrt des Staats erheischt große Ausgaben. Und wir
können den Landeskindern nicht Alles zumuthen. Wer die Annehmlich-
keiten des Aufenthalts auf unserem schönen Planeten genießen will, darf
sich auch seinen Pflichten gegen unsere Staatskasse nicht entziehen."

Die Schtacht von Waterloo.

Neue historische Enthüllung.

Von Kans ItuX.

?er alte Hans war ein ehrsamer Dorfschuster, der gar viel er-
zählen konnte, denn er hatte in seinen jungen Jahren unter
dem ersten Napoleon gedient und dessen Kriege mitgemacht.
Er erzählte gern und viel und sein einziger Aerger war, daß
der alte Michel, der Dorfschneider, der auch unter Napoleon gedient hatte,
Alles wieder anders erzählte. Das hinderte indessen die Beiden nicht,
allabendlich im Wirthshause ihre Heldenthaten zum Besten zu geben.
Wenn der berühmte Röhrle, von dem Napoleon bekanntlich gesagt hat,
daß er „ein Herrgottsakermenter" sei, noch dazu gekommen wäre, so hätten
die drei das originellste Kleeblatt gebildet.

Eines Abends ging es auch wieder an's Erzählen und der alte Hans,
der Dorfschuster, war diesmal ganz besonders gut aufgelegt. Heute wollte
er seinen Konkurrenten völlig ausstechen, denn er hatte einen ganz neuen,
uud was noch mehr sagen wollte, auch ganz guten Gedanken.

Hans ließ sich seinen Bierkrug frisch füllen; dann schlug er mit der
flachen Hand auf den Tisch und rief: „Heute kann ich Euch etwas ganz
Neues erzählen, was Ihr noch nicht gehört habt. Ihr werdet Maul und
Nase aufsperren!"

„Erzählt, Hans!" riefen die Bauern und setzten sich neugierig um
ihn zusammen. Der Michel sah neugierig, aber etwas scheel darein.

„Na", sagte Michel, „Ihr habt doch alle schon von der Schlacht von
Waterloo gehört."

„Jawohl!" riefen die Bauern.

„Und wie dabei", fuhr der Hans fort, „der Kaiser Napoleon ge-
schlagen wurde, weil die Engländer ihn so lange aushielten, bis die
Preußen herbei kommen konnten."

„Jaja!" scholl es rings.

Nun nahm das Gesicht des alten Hans einen feierlichen Ausdruck an.

„Ja", sagte er, „so glaubt man und so schreiben auch die Gelehrten
in ihren dicken Büchern. Aber die sind alle schlecht unterrichtet. Der
alte Hans ist mit dabei gewesen. Der weiß es besser."

„Ei!" rief Michel.

Hans sah verächtlich zur Seite; dann aber begann er unter dem an-
dächtigen Schweigen seiner Zuhörer:

„Die Schlacht von Waterloo ist nicht verloren gegangen durch die
Ankunft der Preußen, sondern durch die schönen Augen der rothen Lene"

„Ach!" rief ein junger Bauer.

„Nur Geduld, Steffen", rief Hans, „Du wirst noch Dein blaues
Wunder hören und merke Dir: der Hans erzählt nur immer was er
selber erlebt hat.

„Also es war am Abend vor der Schlacht von Waterloo. Ich war
damals bei der alten Garde, die Napoleon am treuesten anhing. Napo-
leon hatte ein besonderes Wohlgefallen an mir. Manchmal ließ er mich
aus dem Glied treten und fragte mich nach meinem Schatz, und wenn
ich dann fagte, daß ich mehrere hätte, dann lachte er und meinte: „Hans,
Du bist doch ein Teufelskerl; soweit Hab' ich's noch nicht gebracht!"

„Wie beim Röhrle!" rief boshaft Michel.

Aber Hans fuhr fort:

„Selbstverständlich hatte mich der Kaiser zu seinem Leibschuster er-
nannt, und ich hatte für sein ganzes Fußzeug zu sorgen, für seine hohen
Kanonenstiefeln ebenso wie für seine Galaschuhe mit den Diamantschnallen
und für seine Pantoffeln.

„Also am Abend vor der Schlacht ließ mich der Kaiser rufen und sagte:

„Hans, morgen werden wir eine große Bataille haben."

„Jawohl, Majestät", meinte ich, „aber wir werden sie gewinnen."

„Meinst Du?" sagte Napoleon.

„Natürlich!"

„Nun", fuhr Napoleon fort, „um eine große Schlacht zu gewinnen,
muß man auch gute Stiefeln haben. Die meinigen sind etwas defekt ge-
worden, Du mußt mir sie flicken".

„Zu Befehl, Majestät."

„Aber Du mußt sie gut flicken und noch in dieser Nacht!"

„Noch in dieser Nacht!"

„Wenn Du sie gut flickst und ich gewinne die Schlacht in denselben,
so mache ich Dich, wenn wir wieder nach Paris kommen, zu meinem
Hofschuster."

„Majestät find immer großmüthig gegen mich."

„Nun geh'", sagte Napoleon, „und mache Dich an die Arbeit!"

„Ich nahm die Stiefeln und ging. Welch leichtsinniger Mensch war
ich damals! Ich hatte das Schicksal von Europa in der Hand. Denn
wenn ich die Stiefeln gut flickte, so mußte Napoleon siegen, Europa hätte
jetzt eine ganz andere Gestalt und ich wäre Hofschuster in Paris! Ach,
Lene!"

Hans schien sich eine Thräne aus den Augen zu wischen. Die Bauern
hörten athemlos zu.

„Als ich in mein Zelt kam", fuhr Hans fort, „da fand ich einen
Brief von der rothen Lene, worin sie schrieb, ich müsse sofort zu ihr
kommen. Ihr müßt wissen, daß ich in die rothe Lene bis über die Ohren
verliebt war. Sie war Marketenderin bei der Artillerie der alten Garde
 
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