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Aus dem Mpsium.
Unterhaltung unsterblicher Ausgewiesenen.
Voltaire: Ein Schauspiel für Götter. Vier Sozialdemokraten
werden ans der freien Schweiz ausgewiesen, die sich so oft ihres Asyl-
rechts rühmt. Nun, ich habe das auch kennen gelernt. Auch ich wurde
aus Genf ausgewiesen. Als mau mir 24 Stunden Frist gab, sagte ich:
„Wozu 24 Stunden? In fünf Minuten will ich jenseits der Grenze sein!"
Damit habe ich freilich diese Genfer Spießbürger schwer gekränkt.
Schiller: Sie haben auch Recht gehabt, daß Sie gleich gegangen
sind, lieber Voltaire. Ich habe es seinerzeit in meiner schwäbischen Heimath
anch nicht abgewartet. Nachdem der Herzog gesagt hatte, ich dürfe bei
Kassation und Festungsstrafe keine Komödie mehr schreiben, wies ich mich
selber aus. Man hätte mich sonst in den Asperg eingewiesen.
Voltaire: Ich glaube, wir sind überhaupt recht viel Ausgewiesene
hier im Elysium.
Chr. Aug. Wolf: Ja wohl; ich habe ja auch bei Strafe des
Stranges wegen meiner Philosophie innerhalb 24 Stunden die preußi-
schen Staaten verlassen müssen. Damals verstand man das Ausweisen
noch besser wie heute.
H erschel: Aber kommen Sie doch, kommen Sie doch, meine Herren;
ich habe gerade mein großes Fernrohr aufgestellt, mit dem ich seinerzeit
als Astronom so manchen Kometen entdeckt habe.
Voltaire: Was giebts?
Herschel: Ein wahres Ameisengewimmel sieht man längs der
Schweizer Grenzen. Was sind denn das für Leute, die sich da herum-
treiben? Sie sehen alle so merkwürdig aus?
Heinrich Heine: Kein Wunder, daß sie merkwürdig aussehen.
Herschel: Sie scheinen alle zu schnüffeln.
Heinrich Heine: Das thuu sie freilich. Haha! Keune die Sorte!
Herschel: Wie heißt man sie denn?
Heinrich Heine: Man nennt sie mit dem ersten Buchstaben Spitzel.
Herschel: Spitzel, was ist denn das?
Heinrich Heine: Man merkt gleich, daß Sie keine Politik treiben!
Ein Spitzel ist ein Geschöpf, welches das Schnüffeln handwerksmäßig be-
treibt.
Herschel: Ach so!
Heinrich Heine: Und welches es zuweileu macht wie der Kuckuck
und seine Dynamit-Eier Anderen in's Nest legt, damit sie dieselben aus'
brüten und die ausgeschlüpften Anarchisten verpflegen sollen.
Thomas Münzer: Sonst nahmen die großen Hansen das Aus-
weisen vor. Was wollen denn die kleinen Schweizer Staatsmännlein
damit bezwecken?
Lord Byron: Das alte Rezept: Mit großen Herren ist nicht gut
Kirschen essen, also verderbt's nicht mit ihnen. Wenn Spießbürger Staats-
männer werden, dann schüttelt man am Besten den Staub von den Füßen.
Herschel: Aber was haben die Leute denn gethan.
Freiligrath: Sie haben ein Blatt herausgegeben und was sie
ihrer heimathlichen Regierung darin sagten, waren allerdings keine Schmei-
cheleien. Sie kommen dafür aus der Schweiz hinaus. Es geht ihnen
wie einst mir, nur werden sie nicht von Kantönli zu Kantönli getrieben.
Frau von Stael: Mit der Feder haben sie ihre heimathliche
Regierung angegriffen? Mein Gott, das habe ja sogar ich gethan und
bin weder Sozialdemokratin noch Anarchistin gewesen.
Heinrich Heine: Das glaube ich Ihnen.
Herschel: Das Gewimmel an den Grenzen nimmt zu. Was wollen
sie denn?
Mazzini: Abfangen will man die Ausgewiesenen. Ein großer
Staatenbund ist zwischen dem deutschen Reich, Oesterreich und
Italien geschlossen worden; wer die Ausgewiesenen abfängt, soll sie an
das Reichsgericht in Leipzig ausliefern.
Heinrich Heine: Die Sache muß ungemein wichtig sein, weil eine
eigene Allianz geschlossen worden ist.
Voltaire: Sehr wichtig!
Garibaldi: Wie leicht man doch heute die Allianzen zu Stande
bringt. Früher ging das nicht so schnell.
Herschel: Aber was sehe ich? Die schweizerisch-französische Grenze
ist noch unbesetzt; da sieht man keine schnüffelnden Leute.
Earnot: Hoffentlich nicht. Mein Enkel, der an der Spitze Frank-
reichs steht, wird sich erinnern, daß ich auch über die Schweizer Grenze
habe fliehen müssen.
Heinrich Heine: Hoffentlich werden einige deutsche Professoren
dickleibige Werke über die Vortheile solcher Staatenbündnisse schreiben
und dann wird das Ganze in der schönsten Beleuchtung erscheinen. In
England oder Amerika können sich dann die Ausgewiesenen mit der Lektüre
dieser Werke amüsiren!
Kirre öemagogtiche He schichte.
Daß Gefangenwärter hübsche Töchter haben können, bewies Herr Knurr-
hahn, Gefangeuwärter zu Rabenhorst, einer längst verschollenen Residenz
der Fürsten von Weinbold.
Emma, so hieß die hübsche Tochter, war ein liebenswürdiges Kind
von achtzehn Jahren mit feurigen Augen, rothen Wangen, feiner Nase,
eirundein Gesicht und einem Wüchse von den weichsten, ebenmäßigsten
Formen.
Kein Wunder, daß sie bei so bewandten Umständen keinen Mangel
an Anbetern hatte; denn auch in Rabenhorst gab es, wie anderwärts,
Leute, welche die Schönheit lieben.
Unter allen Anbetern Emma's war Emil der Bevorzugteste,
„Wer aber war Emil?" höre ich fragen.
Emil war ein Dichter, ein Versemacher. Er liebte mit aller Gluth
seines Herzens die niedliche Emma und erlaubte sich, sie Abends aus einer
Putzhandlung, wohin Emma ging und arbeitete, abzuholen und bis in
die Nähe des Gefangenhauses, ihrer elterlichen Wohnung, zu geleiten.
Noch lieber hätte er sie bis in's Haus geleitet, wenn nicht Emma's Vater
sein schmuckes Töchterlein einem Unteroffizier der Garde des Fürsten von
Weinbold zugesagt hätte.
Dem alten Knurrhahn und dem Unteroffizier zum Trotz hatten sich
die beiden Liebenden ewige Treue und Verschwiegenheit ihres Verhältnisses
bis zu jenem Tage geschworen, an dem Emil großjähng und zugleich
Herr eines nicht unbedeutenden Vermögens geworden sei.
Bis dahin mußten, viel zu lange für die Liebesgluth, noch sechs
Wochen verstreichen.
Hier müssen wir einschalten, daß Emil seiner Angebeteten hin und
wieder glühende Liebesbriefe schrieb, in welchen er sie, um sie nicht zu
verrathen, „Germania" nannte. Da er Dichter war, so nahm er Abschrift
von den zärtlichen Ergüssen, die er später als „Liebesbriefe" drucken
lassen wollte. In diesen Briefen spielte er oft, für den Laien unverständ-
lich, auf das Verhältniß seiner Germania zu Knurrhahn und dem Unter-
offizier an. Das sollte für Emil verhängnißvoll werden.
Um den Lesern ein klares Bild über diese Liebesbriefe zu verschaffen,
haben wir weder Kosten noch Mühe gespart, eines jener Dokumente zu
erlangen, um dessen Inhalt mitzutheilen. Einer dieser Briefe lautete:
„Theuerste Germania!
Dir, die ich von Herzen liebe, gelten meine heißesten Seufzer. Dir,
nur Dir strebe ich zu gefallen, für Dich bin ich jeden Augenblick be-
reit, mein Herzblut zu verspritzen und die Feinde, die Dich beherrschen
wollen, mit einem Schlage zu vernichten. Ich wäre im Stande, Deinet-
wegen eine Verschwörung anzuzetteln, um Dich aus den Ketten Deiner
Tyrannen zu befreien.
Aber nur Geduld, Du armes Herz! Binnen sechs Wochen bin ich soweit
um Dir zeigen zu können, wozu ich fähig bin. Dann soll Dir die
Freiheit lächeln und Du sollst über Deine und meine Feinde triumphiren.
Habe ich nur erst das Geld, wovon ich mit Dir sprach, dann sollst Du
meine Unternehmungen sehen. Ich werde dies durch die That beweisen!
Germania hoffe! Dein Emil wird Dich befreien!"
Das Pult, worin dieser und ähnliche Briefe Emils lagen, war un-
verschlossen und wurde häufig, wenn Emil nicht daheim war, des Mor-
gens von dessen Waschfrau durchstöbert und mancher dieser Briese gelesen.
Die Waschfrau hielt Emil, nach den Ausdrücken in den Briefen, zum
Mindesten für einen Demagogen, wenn nicht für etwas Schlimmeres.
Als Emil eines Tages die Waschfrau wegen eines Versehens tüchtig
auszankte, kündigte die gute Dame und ging zum Staatsanwalt, um den
gefährlichen Menschen zu deuunziren. Wie Staatsanwälte nun mal sind,
so witterte auch dieser in Emil einen großen Staatsverbrecher; der Ver-
dacht wurde durch die koufiszirten Briefe bestärkt und der arme Emil in
das Gefängniß geworfen.
Diesem wäre es ein Leichtes gewesen, den Jrrthum durch ein paar
Worte aufzuklären, aber das durfte er unter den jetzigen Umständen nicht
wagen; denn wenn er sagte, an wen jene Briefe gerichtet waren, so konnte
es sehr leicht Knurrhahn erfahren und dieser die Heirath seiner Tochter
mit dem Unteroffizier beschleunigen.
Emil sagte im Verhöre deshalb weiter nichts, als jene Briefe seinen
an seine Geliebte gerichtet und hätten durchaus keinen politischen Zweck.
„Wer ist denn diese Germania?" fragte der Staatsanwalt.
„Meine Geliebte! Eine nähere Erklärung darf ich Ihnen jetzt nicht
geben."
„Ha ha", sagte der Staatsanwalt; „ich kenne diese Ausflüchte! Warum
kommt in Ihren Briefen das Wort „Freiheit" vor? Warum wollen Sie
die Germania befreien und wovon?"
„Durch eine Heirath mit ihr will ich sie aus den Händen ihres sie
höchst despotisch behandelnden Vaters und von den Bewerbungen eines
ihr verhaßten Menschen befreien."
„Larifari! Beharren Sie bei dieser Aussage?"
„Ja!"
„Nun gut", erwiderte der Mann des öffentlichen Gewissens, „ich werde
Sie in ein einsames Gefängniß werfen lassen, weil ein solches den Ge-
fangenen zu einem klaren Nachdenken über seine Verbrechen auffordert.
Ein so einsames Loch ist ein herrlicher Wecker des schlafenden Gewissens."
Der geehrte Leser wird hierbei die Bemerkung machen, daß in Raben-
horst schon theilweise das Zellensystem eingeführt war.
Mau führte den Gefangenen fort.
O Emma, wärst du in diesem Augenblick zu Hause gewesen und
hättest es mit ansehen können, wie man deinen Liebling, deinen Abgott
in ein einsames Gefängniß geführt!
Aus dem Mpsium.
Unterhaltung unsterblicher Ausgewiesenen.
Voltaire: Ein Schauspiel für Götter. Vier Sozialdemokraten
werden ans der freien Schweiz ausgewiesen, die sich so oft ihres Asyl-
rechts rühmt. Nun, ich habe das auch kennen gelernt. Auch ich wurde
aus Genf ausgewiesen. Als mau mir 24 Stunden Frist gab, sagte ich:
„Wozu 24 Stunden? In fünf Minuten will ich jenseits der Grenze sein!"
Damit habe ich freilich diese Genfer Spießbürger schwer gekränkt.
Schiller: Sie haben auch Recht gehabt, daß Sie gleich gegangen
sind, lieber Voltaire. Ich habe es seinerzeit in meiner schwäbischen Heimath
anch nicht abgewartet. Nachdem der Herzog gesagt hatte, ich dürfe bei
Kassation und Festungsstrafe keine Komödie mehr schreiben, wies ich mich
selber aus. Man hätte mich sonst in den Asperg eingewiesen.
Voltaire: Ich glaube, wir sind überhaupt recht viel Ausgewiesene
hier im Elysium.
Chr. Aug. Wolf: Ja wohl; ich habe ja auch bei Strafe des
Stranges wegen meiner Philosophie innerhalb 24 Stunden die preußi-
schen Staaten verlassen müssen. Damals verstand man das Ausweisen
noch besser wie heute.
H erschel: Aber kommen Sie doch, kommen Sie doch, meine Herren;
ich habe gerade mein großes Fernrohr aufgestellt, mit dem ich seinerzeit
als Astronom so manchen Kometen entdeckt habe.
Voltaire: Was giebts?
Herschel: Ein wahres Ameisengewimmel sieht man längs der
Schweizer Grenzen. Was sind denn das für Leute, die sich da herum-
treiben? Sie sehen alle so merkwürdig aus?
Heinrich Heine: Kein Wunder, daß sie merkwürdig aussehen.
Herschel: Sie scheinen alle zu schnüffeln.
Heinrich Heine: Das thuu sie freilich. Haha! Keune die Sorte!
Herschel: Wie heißt man sie denn?
Heinrich Heine: Man nennt sie mit dem ersten Buchstaben Spitzel.
Herschel: Spitzel, was ist denn das?
Heinrich Heine: Man merkt gleich, daß Sie keine Politik treiben!
Ein Spitzel ist ein Geschöpf, welches das Schnüffeln handwerksmäßig be-
treibt.
Herschel: Ach so!
Heinrich Heine: Und welches es zuweileu macht wie der Kuckuck
und seine Dynamit-Eier Anderen in's Nest legt, damit sie dieselben aus'
brüten und die ausgeschlüpften Anarchisten verpflegen sollen.
Thomas Münzer: Sonst nahmen die großen Hansen das Aus-
weisen vor. Was wollen denn die kleinen Schweizer Staatsmännlein
damit bezwecken?
Lord Byron: Das alte Rezept: Mit großen Herren ist nicht gut
Kirschen essen, also verderbt's nicht mit ihnen. Wenn Spießbürger Staats-
männer werden, dann schüttelt man am Besten den Staub von den Füßen.
Herschel: Aber was haben die Leute denn gethan.
Freiligrath: Sie haben ein Blatt herausgegeben und was sie
ihrer heimathlichen Regierung darin sagten, waren allerdings keine Schmei-
cheleien. Sie kommen dafür aus der Schweiz hinaus. Es geht ihnen
wie einst mir, nur werden sie nicht von Kantönli zu Kantönli getrieben.
Frau von Stael: Mit der Feder haben sie ihre heimathliche
Regierung angegriffen? Mein Gott, das habe ja sogar ich gethan und
bin weder Sozialdemokratin noch Anarchistin gewesen.
Heinrich Heine: Das glaube ich Ihnen.
Herschel: Das Gewimmel an den Grenzen nimmt zu. Was wollen
sie denn?
Mazzini: Abfangen will man die Ausgewiesenen. Ein großer
Staatenbund ist zwischen dem deutschen Reich, Oesterreich und
Italien geschlossen worden; wer die Ausgewiesenen abfängt, soll sie an
das Reichsgericht in Leipzig ausliefern.
Heinrich Heine: Die Sache muß ungemein wichtig sein, weil eine
eigene Allianz geschlossen worden ist.
Voltaire: Sehr wichtig!
Garibaldi: Wie leicht man doch heute die Allianzen zu Stande
bringt. Früher ging das nicht so schnell.
Herschel: Aber was sehe ich? Die schweizerisch-französische Grenze
ist noch unbesetzt; da sieht man keine schnüffelnden Leute.
Earnot: Hoffentlich nicht. Mein Enkel, der an der Spitze Frank-
reichs steht, wird sich erinnern, daß ich auch über die Schweizer Grenze
habe fliehen müssen.
Heinrich Heine: Hoffentlich werden einige deutsche Professoren
dickleibige Werke über die Vortheile solcher Staatenbündnisse schreiben
und dann wird das Ganze in der schönsten Beleuchtung erscheinen. In
England oder Amerika können sich dann die Ausgewiesenen mit der Lektüre
dieser Werke amüsiren!
Kirre öemagogtiche He schichte.
Daß Gefangenwärter hübsche Töchter haben können, bewies Herr Knurr-
hahn, Gefangeuwärter zu Rabenhorst, einer längst verschollenen Residenz
der Fürsten von Weinbold.
Emma, so hieß die hübsche Tochter, war ein liebenswürdiges Kind
von achtzehn Jahren mit feurigen Augen, rothen Wangen, feiner Nase,
eirundein Gesicht und einem Wüchse von den weichsten, ebenmäßigsten
Formen.
Kein Wunder, daß sie bei so bewandten Umständen keinen Mangel
an Anbetern hatte; denn auch in Rabenhorst gab es, wie anderwärts,
Leute, welche die Schönheit lieben.
Unter allen Anbetern Emma's war Emil der Bevorzugteste,
„Wer aber war Emil?" höre ich fragen.
Emil war ein Dichter, ein Versemacher. Er liebte mit aller Gluth
seines Herzens die niedliche Emma und erlaubte sich, sie Abends aus einer
Putzhandlung, wohin Emma ging und arbeitete, abzuholen und bis in
die Nähe des Gefangenhauses, ihrer elterlichen Wohnung, zu geleiten.
Noch lieber hätte er sie bis in's Haus geleitet, wenn nicht Emma's Vater
sein schmuckes Töchterlein einem Unteroffizier der Garde des Fürsten von
Weinbold zugesagt hätte.
Dem alten Knurrhahn und dem Unteroffizier zum Trotz hatten sich
die beiden Liebenden ewige Treue und Verschwiegenheit ihres Verhältnisses
bis zu jenem Tage geschworen, an dem Emil großjähng und zugleich
Herr eines nicht unbedeutenden Vermögens geworden sei.
Bis dahin mußten, viel zu lange für die Liebesgluth, noch sechs
Wochen verstreichen.
Hier müssen wir einschalten, daß Emil seiner Angebeteten hin und
wieder glühende Liebesbriefe schrieb, in welchen er sie, um sie nicht zu
verrathen, „Germania" nannte. Da er Dichter war, so nahm er Abschrift
von den zärtlichen Ergüssen, die er später als „Liebesbriefe" drucken
lassen wollte. In diesen Briefen spielte er oft, für den Laien unverständ-
lich, auf das Verhältniß seiner Germania zu Knurrhahn und dem Unter-
offizier an. Das sollte für Emil verhängnißvoll werden.
Um den Lesern ein klares Bild über diese Liebesbriefe zu verschaffen,
haben wir weder Kosten noch Mühe gespart, eines jener Dokumente zu
erlangen, um dessen Inhalt mitzutheilen. Einer dieser Briefe lautete:
„Theuerste Germania!
Dir, die ich von Herzen liebe, gelten meine heißesten Seufzer. Dir,
nur Dir strebe ich zu gefallen, für Dich bin ich jeden Augenblick be-
reit, mein Herzblut zu verspritzen und die Feinde, die Dich beherrschen
wollen, mit einem Schlage zu vernichten. Ich wäre im Stande, Deinet-
wegen eine Verschwörung anzuzetteln, um Dich aus den Ketten Deiner
Tyrannen zu befreien.
Aber nur Geduld, Du armes Herz! Binnen sechs Wochen bin ich soweit
um Dir zeigen zu können, wozu ich fähig bin. Dann soll Dir die
Freiheit lächeln und Du sollst über Deine und meine Feinde triumphiren.
Habe ich nur erst das Geld, wovon ich mit Dir sprach, dann sollst Du
meine Unternehmungen sehen. Ich werde dies durch die That beweisen!
Germania hoffe! Dein Emil wird Dich befreien!"
Das Pult, worin dieser und ähnliche Briefe Emils lagen, war un-
verschlossen und wurde häufig, wenn Emil nicht daheim war, des Mor-
gens von dessen Waschfrau durchstöbert und mancher dieser Briese gelesen.
Die Waschfrau hielt Emil, nach den Ausdrücken in den Briefen, zum
Mindesten für einen Demagogen, wenn nicht für etwas Schlimmeres.
Als Emil eines Tages die Waschfrau wegen eines Versehens tüchtig
auszankte, kündigte die gute Dame und ging zum Staatsanwalt, um den
gefährlichen Menschen zu deuunziren. Wie Staatsanwälte nun mal sind,
so witterte auch dieser in Emil einen großen Staatsverbrecher; der Ver-
dacht wurde durch die koufiszirten Briefe bestärkt und der arme Emil in
das Gefängniß geworfen.
Diesem wäre es ein Leichtes gewesen, den Jrrthum durch ein paar
Worte aufzuklären, aber das durfte er unter den jetzigen Umständen nicht
wagen; denn wenn er sagte, an wen jene Briefe gerichtet waren, so konnte
es sehr leicht Knurrhahn erfahren und dieser die Heirath seiner Tochter
mit dem Unteroffizier beschleunigen.
Emil sagte im Verhöre deshalb weiter nichts, als jene Briefe seinen
an seine Geliebte gerichtet und hätten durchaus keinen politischen Zweck.
„Wer ist denn diese Germania?" fragte der Staatsanwalt.
„Meine Geliebte! Eine nähere Erklärung darf ich Ihnen jetzt nicht
geben."
„Ha ha", sagte der Staatsanwalt; „ich kenne diese Ausflüchte! Warum
kommt in Ihren Briefen das Wort „Freiheit" vor? Warum wollen Sie
die Germania befreien und wovon?"
„Durch eine Heirath mit ihr will ich sie aus den Händen ihres sie
höchst despotisch behandelnden Vaters und von den Bewerbungen eines
ihr verhaßten Menschen befreien."
„Larifari! Beharren Sie bei dieser Aussage?"
„Ja!"
„Nun gut", erwiderte der Mann des öffentlichen Gewissens, „ich werde
Sie in ein einsames Gefängniß werfen lassen, weil ein solches den Ge-
fangenen zu einem klaren Nachdenken über seine Verbrechen auffordert.
Ein so einsames Loch ist ein herrlicher Wecker des schlafenden Gewissens."
Der geehrte Leser wird hierbei die Bemerkung machen, daß in Raben-
horst schon theilweise das Zellensystem eingeführt war.
Mau führte den Gefangenen fort.
O Emma, wärst du in diesem Augenblick zu Hause gewesen und
hättest es mit ansehen können, wie man deinen Liebling, deinen Abgott
in ein einsames Gefängniß geführt!