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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 5.1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.9076#0077
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458

Die Kol'onicltpot'itiker.

^!?s wiegen sich die Philister
^ Behaglich in ihrem Wahn
Und lauschen beim Zeitungsgefchwister
Dem Flottengründungsplan.

Es soll die deutsche Mariue
Rasch werden emporgebracht
Und bilden eine kühne
Gewaltige Flotte der Schlacht.

Dem deutschen Reich zur Ehre
Soll dieser Schiffe Bug
Durchfurchen alle Meere
In imposantem Zug.

Was jetzt noch frei gewesen
An Land, das wird sogleich
Ganz ohne Federlesen
Geschlagen zum deutscheu Reich.

Dann wird man baldigst sehen,
Wo man sie noch nicht sah —
Die deutsche Flagge wehen
Ju Asien und Afrika.

Die reichen Schätze der Tropen
Mit ihrem goldigen Schein,
Die werden in Masse gehoben
Und kommen zu uns herein.

Da unsre Finanzen zerrüttet,
Ist doppelt das Glück uns hold;
Wir werden überschüttet
Mit Elfenbein und Gold.

Die tropischen Genüsse,
Sie werden uns alle bekannt,
Bananen und Kokosnüsse,
Die regnet's nur so iu's Land.

Und uus're Ritter und Grafen
Und große» Handelsherrn,

Die nehmen statt weißer Sklaven
Die schwarzen auch ganz gern.

Die schwarzen sind so willig —
Die weißen sind häufig auch roth —
Die schwarzen arbeiten so billig
Und groß ist das Angebot.

Ja, dann beginnt auf Erden
Die goldne Zeit sogleich
Und alle Krämer werden
Dann unermeßlich reich.

So hört die Philister man Prahlen,
Wie sie erobern die Welt,

Das Volk aber soll es bezahlen
Mit seinem baaren Geld.

Glaubt ihr, daß an fernen Polen
Das Glück wohl noch eurer harrt?
Es ist nichts mehr zn holen,
Ihr Schwärmer seid gründlich genarrt.

Ihr biederen Philister,

Ihr theilt nicht mehr die Welt!
Es ist nur das Zeituugsgeschwister,
Das euch für Narren hält!

Der Kol'ömncher.

Eine sonderbare Geschichte.

Erzählt von Kans Iluze.

mögen wohl zweihundert Jahre her sein, seitdem unsere
Geschichte passirt ist, und der Raugras Kuno von Dachsen-
stein beherrschte damals noch unumschränkt das Land seiner
Väter, das etwa zwei Quadratmeilen groß war. Seine
Mittel gestatteten es ihm nicht, sich an großen Aktionen zu betheiligen,
und so hatte er sich weder Ruhm noch Schätze erwerben können. Dagegen
hatte er viel gejagt und noch mehr gezecht, von letzterer Thätigkeit die
blühende Röthe seiner Nase ein untrügliches Zeuguiß ablegte. Dazu
hatte der edle Herr aber auch Schulden gemacht und zwar nicht wenige.

So saß er denn eines Tages im Ahnensaal seines Schlosses und
sann nach über seine traurige Lage. Die Juden begannen ihn zu quälen,
denn sie hatten ihm viel Geld zu hohen Zinsen vorgeschossen, und der
Raugras ward schon schwierig mit den Zinsen. Die schöne Zeit, da Kaiser
Sigismund dekretiren konnte: „Wer einem Juden etwas schuldig ist, braucht
nichts zu bezahlen", war längst vorbei uud die Gläubiger pflegten gleich
an's Reichskammergericht zu gehen, wenn ein souveräner Herr, wie der
Raugras Kuno, nicht zahlen wollte.

Was war zu thun? Der Rangraf Kuno fuhr sich in einer Stimmung,
die mau am Besten als moralischen Katzenjammer bezeichnet, verzweifelnd
durch die spärlichen grauen Haare — da ertönte Husschlaq auf dem
Schloßhofe. Der Junker Kurt von Scharseneck ritt mit zwei Pagen vor,
stieg ab uud erschien im Ahueusaal beim alten Raugrasen. Sie begrüßten
sich herzlich.

Der Junker Kurt vou Scharseneck war keine angenehme Erscheinung.
Ein kahler Kops, ein verlebtes Gesicht, gaben dem erst dreißigjährigen
Manne etwas Greisenhaftes. Er hatte einen Anflug von einem Höcker
und einen etwas schleppenden Gang. Aber der Junker war sehr reich
und das war sicherlich auch der Grund, weshalb er vom Raugrasen so
zuvorkommend empfangen wurde.

Der Raugraf ließ die letzten guten Flaschen Wein, die im Keller
waren, in Bereitschaft stellen und lud den Junker zu einem Imbiß und
Trunk ein. Die Wirthiu machte des Raugrasen Töchterlein Kunigunde,
und wie der Junker mit dem Raugrasen zn Tische saß, folgten seine
zwinkernden Augen begehrlich den graziösen Bewegungen des schönen
Mädchens, das mit unnachahmlicher Anmuth den Wein zu kredenzen
verstand.

Kunigunde war aber auch schön. Ein hübsches Gesicht mit keckem
Stumpfnäschen, funkelnde schwarze Augen, dichte rabenschwarze Haare
und ein kirschrother Mund gaben einen Mädchenkopf von verführerischem
Reiz, der sich auf einem schlanken Halse schalkhast wiegte. Dazri eine
schlanke Gestalt mit raschen Bewegungen, die durch ihre Anmuth be-
zauberten. Und Kuuigunge wußte, daß sie schön war; sie war kokett.
Sie batte schon Manchen bezaubert und unglücklich gemacht.

Man trank und der Wein stieg den Herren ein wenig in den Kopf.
Kunigunde schoß einen glühenden Blick nach dem andern zu den« Junker
hinüber und dieser fade Geck glaubte an den Eindruck seiner Erscheinung
ans das kokette Mädchen. Endlich erhob er sich und sagte mit großer
Freundlichkeit:

„Raugraf, ich bin nicht ohne einen bestimmten Zweck zu Euch ge-
kommen. Eure Tochter hat mein Herz gefangen uud ich bitte um ihre
Hand."

Kunigunde fand es für gut, erröthend hinaus zu eilen. Aber den
Rangrafen durchfuhr es wie ein freudiger Schreck. Da war ja der reiche
Schwiegersohn, der ihm aus seinen Verlegenheiten helfen konnte! Er griff
zu; er erhob sich auf seinen durch den Wein etwas unbehülflich gewor-
denen Beinen und sprach mit halb lallender Zunge:

„Einem so ehrenhaften Jnnker kann ich meine Tochter nicht ab-
schlagen. Aber sie soll selbst entscheiden. Kunigunde!" rief er mit
heiserer Stimm«'.

Sie erschien, die Augen gesenkt. Der Raugraf faßte sie unter dem
Kinn uud hob ihr Autlitz empor: „Junker Kurt vou Scharseneck hält
um Dich an!" schmunzelte er.

„Ich bitte um vier Wochen Bedenkzeit", lispelte Kunigunde ver-
schämt.

„Das ist lange und ich werde es kaum abwarten können", sagte der
Junker mit süßlichem Ton, Kunigunde so zärtlich anblickend, als seine
erloschenen Augen erlaubten. „Aber ich füge mich dem Wunsche aus so
schönem Muude. Ich reise aus vier Wochen nach Holland. Dann kehre
ich zurück und wiederhole meine Anfrage."

„Weise gesprochen", sagte der Raugraf, dem vor Allem darum zu
thun war, diesen kostbaren Schwiegersohn festzuhalten. Dann schied man.
Kunigunde nahm nun eine sehr unbefangene Miene an.

„Wie gefällt er Dir?" meinte der Alte.

„Ganz und gar nicht!" meinte sie. „Du willst doch nicht —" wollte
der Alte aufbrausen.

„Beruhige Dich", sagte sie, „ich nehme ihn. Ich muß Deinen und
meinen Finanzen aufhelfen; das sehe ich schon. Ich will meine Schönheit
wenigstens theuer verkaufen."

„Gutes Kind", sagie der Alte gerührt. Sie lachte^

„Nur keine Rührung", sagte sie frivol. „Ich habe sein Geld so
nöthig wie Du. Ich will Staat machen und an den Hof kommen."

„Aha!" sagte der Alte. „Aber warum hast Du denn Bedenkzeit
verlangt?"

„Weil ich nicht ohne entsprechende Ausstattung auftreten kann.
Sonst wird der Junker mich abweisen. In der Bedenkzeit müssen wir
die Mittel zu einer Aussteuer beschaffen!"

„Du bist klug", sagte der Raugraf seufzend. „Aber woher nehmen
uud uicht stehlen? Aus meinem Land ist nichts mehr herauszupressen
und die Juden borgen nichts mehr."

„Laß Gold machen", sagte sie. „Der Signore Vittori macht Dir Gold
genug."
 
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