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un ick will Dir daher erst jarnich mit die olle Jeschichten weiter uffhalten.
— Hier is et nämlich mittlerweile Friehling jeworden, wie De an die ver-
schiedenen Rejen- un Schneejestöber merken kannst. Verschiedene Straßen haben
neie Namen jekriegt, da mir Beede aber keene Droschenkutscher sind, brauchen
mir se uns ja ooch nich zu merken. Mir jefallen se merschtendeehls nich un
det is de Hauptsache. Davor haben se neilich den Jrundstein zu 'ne neie
Kirche jelegt un zu de Arbeeten haben se Soldaten jebraucht, indem de Bau-
verwaltung de Arbeeter aus ihre Ruhe nich erst uffstöbern wollte, weil de
Oberbirjermeester ja immer noch in den Jlooben verharrt, det de Arbeeter
in'n Interesse von ihre Jesundheit besser bähten, wenn se lieber 'n Bisken
spazieren jingen, frische Luft schnappten un sich von de anstrengenden Ver-
jniegungen, die se sich in'n Winter hatten unterziehen missen, erst mal orndt-
lich erholen mechten. Sechste, Jacob, so wird hier vor de Arbeeter jesorgt,
aber jloobste vielleicht, det det anerkannt wird, un det een Eenzijer een Lob-
lied uff den Majistrat un seinen Oberbirjermeester anstimmt? Se husten ihn
wat, un neilich Heerte ick sojar uff de Straße, wie de Oberbirjermeester mit'n
Kopp jejen 'ne Droschke jeloofen war, wie Eener sagte: „Na, een wahret
Jlick, nu hat er doch mal endlich eenen offenen Kopp jekriegt!" Haste Worte
vor die Sorte Torte?

De bast doch jeheert, det der Jnsiedler von Friedrichsruh, der Mann
mit 100 ziibitzeier a. D., Kreistagsdeputirter jeworden is. Ick weeß zwar
nich so richtig, wat een Kreistagsdeputirter is un wat der Alles zu sagen
hat, aber et muß doch een janz scheener Jroschen Jeld bei verdient werden,
sonst hätte Bismarck, so wie ick ihn kenne, den Posten doch janz bestimmt
nich anjenommen, da hätte er janz jewiß jesagt: „Ick danke." Det wäre
beinahe umjekehrt derselbe, als wollten se mir in't preißsche Herrenhaus rin-
wählen, wo ick mir denn ieber det Wildschadenjesetz meinen jeehrten Kopp
zerbrechen mißte, wo ick in meine Kammer doch blos Wild habe, wat ick mit
Petroljum un andere fein riechende Essenzen verdreibe.

diu, Jacob, mechte ick Dir 'ne Jewissensfrage vorlejen. Sage mal,
hast Du ooch manchmal Dalles? Ick beese, det kann ick Dir uff mein Wort
versichern. Du brauchst nu nich jleich zu jlooben, det ick Dir in de Steier
höher schrauben will, weil ick nach Deine Dallesverhältnisse frage, nee, ick
will uff janz wat Änderet raus. Mit den Draht is det nämlich 'ne komische
Sache, un de Hundertmarkscheine haben mit de Schutzleite det jemeinsam,
det se Beede blau sind, un wenn man Eenen braucht, denn hat man Keenen.
Un det Beste is, det det in de feinste Familjen vorkommt. Ratierlich, Alles
mit'n Schieduuter. Sechste, wenn so'n Minister mit sein Jehalt nich so
richtig auskommt: Du mußt mir recht verstehen, wenn det Jeld nämlich
zum Deibel is, aber de Zeit is noch nich rum, denn jeht er einfach bei'n
Welfenfonds und sagt: „Ick brauche so'n vier bis siebenmalhundertdausend
Märker, indem ick Umtriebe von den dooten Keenig von Hannover abwehren
muß; nu rickt mal raus mit de Asche!" Sechste, Jacob, det is noch 'ne
Staatsinrichtung, die meinen unjetheilten Beifall hat. Blos det Eene jefellt
mir nich, det die Wohlthaten jänzlich uff die Ministerkreise beschränkt bleiben.
Wie scheen wirde mir oder een Paar Bekannte, die ick jenauer kenne, sonne

kleene Zubuße zu Paß kommen. Aber vor unser Eenen fallt nischt ab,
wahrscheinlich weil wir jar keene Verbindungen mit det Welfenhaus unter-
halten. Un det Scheenste is, det se det mit det Zurickbezahlen nich so eilig
zu haben scheinen. Herr von Bötticher hat sich ja ooch sonne kleene An-
leihe bezähmt, aber nu haben se nach den neisten Modus die Quittung ver-
brennt - ■ der Mann in Friedrichsruh hat sich jewiß seine lange Reichsfeife
mit anjestochen — un nu kann er den janzen Zaster behalten. Weeßte,
Jacob, bei so wat werde ick immer janz melanchlötrig, indem ick die Herren
um ihre schweren Rejierungssorjen ooch nich 'n Bisken beneide.

Sovill is sicher, Jeder kann nich an't Spundloch sitzen un sich in-
schenken; aber wer dran sitzt, der derf ooch nich allzu blöde sind. Aber ick
freie mir, det wir ooch in de heechste Rejierungskreise Parteijenoffen haben,
nämlich die, die so sehr vor de „Theilerei" sind. Wenn De det nich ver-
stehst, denn frage man bei Eijeen Richtern an, der wird Dir schon Bescheid
stoßen, womit ick verbleibe erjebcnst un mit ville Jrieße Dein treier

Jotthilf Naucke.

An'n Jörlitzer Bahnhof jleich links.

Hobrlfxähnr.

Bald sonnig hell, bald wolkig trüb,

So wechselt täglich der April;

Bald neuer und bald alter Kurs —

Der Monat weiß nicht was er will.

Doch wie er auch so unstät schwankt,

Und wie er noch am Alten hängt —

Er wird mit Frühlings-Allgewalt

Doch in den neuen Kurs gedrängt.

* *

*

Die Meinung, daß der Minister v. Bötticher
die soziale Frage lösen werde, hat sich nun
doch theilweise bestätigt. Er hat wenigstens die
soziale Frage seines Schwiegervaters gelöst.

Die Bewohner von Friedrichsruhe, welche ohnedies in fortwährender
Unruhe sind, mögen sich neuerdings wieder durch ein seltsames Geräusch
in ihrem Frieden gestört sehen, denn der ehemalige Reichskanzler wird auf
seine alten Tage musikalisch. Nachdem er unter die nationalliberalen
Reichstagskandidaten gegangen ist, muß er sich im Quietschen üben.

* *

*

Wir Schreiner haben jetzt viel Staatsarbeit. Die lange Bank, auf
welche bisher die Sozialreform geschoben wurden, erweist sich nämlich als
unzureichend, und es sind tausende von Schreinern nöthig, um die erforder-
liche , noch längere Bank herzustellen.

Ihr getreuer Säge, Schreiner.

Aber nun griff eine neue Gewalt in sein Schicksal ein.

In dem Gasthaus, wo er Abends seinen Schoppen ganz abgesondert
von der übrigen Gesellschaft zu trinken pflegte, war ein holdseliges Töchterlein,
Auguste genannt, mit rothen Wangen und sehr gefährlichen schwarzen Augen,
eine üppige und pikante Erscheinung. Sie galt für sehr kokett, und auch ihr
Ruf war nicht ganz tadellos. Aber der Staatsanwalt hatte sich bis über die
Ohren in sie verliebt und er trug sich ernstlich mit der Absicht, sie zu heirathen.

Die Eltern, sehr einfache Leute, waren stolz, einen Staatsanwalt als
Schwiegersohn zu bekommen, und als Spürer um Auguste anhielt, bekam
er keinen Korb. Er war sehr eifersüchtig und glaubte bei der koketten Art
seiner künftigen Frau auch ganz besonders vorsichtig sein zu müssen. Er
wollte sich vor künftigen Nebenbuhlern und Hausfreunden gleich von vorn-
herein schützen. Als Jurist strenger Observanz hatte er das richtige Mittel
auch gleich bei der Hand; er wollte die Abschreckungstheorie auf seine
künftige Gattin anwenden.

Am Abend vor der Hochzeit saßen sie traulich zusammen; da sah Spürer
plötzlich seine Braut ernst an und sprach:

„Auguste, wirst Du mir auch immer treu bleiben?"

Sie sah ihn verwundert an.

„Gewiß," sagte sie lachend. Was sollte sie auch anders sagen. Er aber
blickte sie wieder drohend an.

„Eheliche Untreue wird an dem schuldigen Ehegatten mit Gefängniß
bis zu sechs Monaten bestraft."

„Unsinn!" lachte Auguste.

„Nach § 172 des Strafgesetzbuchs," setzte er mit Grabesstimme hinzu.

Auguste eilte davon und ließ sich nicht mehr blicken. „Den Menschen
heirathe ich nicht," sprach sie zu ihrer Mutter. „Es wird mir unheimlich."

Den anderen Tag erhielt der Staatsanwalt einen Absagebrief.

Er ist jetzt ganz einsam. Die Dame Justitia mit der Binde vor den
Augen ist seine einzige Geliebte. Der arme Mann ist und bleibt ein Opfer
seines Berufes.

: Der Welfenfonds. •>—- •-

(Eine finanzpolitische Studie.)

Am Anfang lag das schöne Welfengold verstreut w den Taschen der
Steuerzahler. Dort war es gar nichts nütze, denn die Inhaber kamen nur
iu Versuchung, es zu verkneipen oder sich mißliebige Druckschriften dafür zu
kaufen oder sonst einen gemeinschädlichen Gebrauch davon zu machen. Da

kam der Exekutor und schied, gleichwie am Anfang aller Dinge, das Flüssige
von dem Trockenen. Er leitete alles Geld, was flüssig zu machen war, in
die Staatskasse und die Steuerzahler blieben auf dem Trockenen sitzen. Zu
derselben Zeit begab es sich, daß das Königreich Hannover annektirt werden
mußte, weil die Preußen bei Langensalza geschlagen worden waren. Solche
unbequeme Königreiche kann man innerhalb einer wohlgeordneten Provinzial-
verwaltung nicht brauchen. Der Herrscher von Hannover war aber nicht
blos König, sondern auch Grundbesitzer. Konnte man den König absetzen,
so durfte man doch den Grundbesitzer nicht antasten, denn über die Interessen
der Agrarier geht eben gar nichts. Man mußte ihm also seinen Grundbesitz
abkaufen und dazu waren die vorräthigen Millionen gerade gut genug. „Heißt
ein Geschäft," sagte der König von Hannover, es kam aber anders. Plan
gab ihm nicht die Kaufsumme, sondern nur die Zinsen derselben, und diese
konfiszirte man ihm wieder, weil er sonst leicht hätte Schaden damit an-
richten können. Nun trat der Welfenfonds erst richtig in seine staatserhaltende
Thätigkeit. Der norddeutsche allgemeine Reichs-Pindter nahm sich der Sache
an und eröffnete eine große Reptilienzüchterci. Die Reptilien stürzten sich
in die Tinte und fabrizirten Weltgeschichte, daß es eine Freude war. Zuerst
modelten sie einen bekannten Preußischen Junker zum „Heros des Jahr-
hunderts" um und logen ihm alle möglichen „großen" Thaten an. Darauf
logen sie ein Heer von „Reichsfeinden" in die Welt und gaben sich den
Anschein, als müßten sie allein das Reich beschützen. Kam ein Kullmann
oder Hödel, so wurde er als Präparat für ausnahmsgesetzliche Zwecke her-
gerichtet, und schließlich brachten es die Reptilien sogar fertig, für Geld und
gute Worte einen äußeren Feind und einen drohenden Krieg zu konstruiren.
Sie putzten den Boulanger mit erlogenen Holzbaracken auf, und jagten damit
die Spießbürger ins Mauseloch. Das war die glorreichste Zeit des Welfen-
fonds, doch sie ging vorüber, der große Thierbändiger der Reptilien fiel und
zahlreichem Gethier wurde das regelmäßige Futter entzogen. Das war
ein großer Jammer und als es endlich schien, als sollte die alte Fütterung
wieder fortgesetzt werden, kam ein neues Unglück. Es hieß, ein Minister-
Schwiegervater habe mehr als eine Drittel-Million aus dem Reptilienquell
geschluckt. Das entsetzte die Reptilien, denn was hätten sie für dieses Geld
alles zusammenlügen können! Die Kunde entsetzte aber auch andere Leute
so sehr, daß sie schleunigst dementirt werden mußte. Nun ist das zwar nicht
gänzlich gelungen, denn etwas ist doch hängen geblieben, der Reptilienfonds
aber ist moralisch bankerott, man kann mit ihm keine großen Staatsmänner
mehr in die Welt lügen und keine Schwiegerväter kleiner Staatsmänner
mehr retten. Vielleicht wird er jetzt zur Unterstützung heruntergekommener
Agrarier verwendet.
 
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