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Der wahre Jakob: illustrierte Zeitschrift für Satire, Humor und Unterhaltung — 14.1897

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https://doi.org/10.11588/diglit.6610#0067

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Den Heuchlern.

Ihr habt uns oftmals glaubenslos gescholten
Und jeder Hoffnung auf ein Jenseits bar;
Uns hat der Tadel als ein Lob gegolten,
Denn was ihr denunzirt ist nur zu wahr.
Wir glauben nicht in eurem engen Sinne,
Uns zwingt kein Ich, das vor dem Tode bebt;
Wir Haffen sie, die kreuzgeschmückte Spinne,
Die allzulang ihr tückisch Uetz gewebt.

Und habt ihr denn, euch Gläubige zu nennen,
In eurem engen Zinne nur, ein Recht?
Ihr mögt die Dogmen noch so laut bekennen
Ihr seid und bleibt ein heuchlerisch Geschlecht.
Und wer die Nieren prüfte und die Herzen,
§>b ihr im Glauben wandellos und fest,
Er fände wohl herabgebrannt die Nerzen
Auf einen armen, jämmerlichen Rest.

Doch lebt in uns ein tiefer, starker Glaube,
Den keine Drohung, keine Marter schreckt.
Der alte Wahn kriecht kümmerlich im Staube,
Denn nur die Selbstsucht hat ihn ausgeheckt.
Uns läßt der Glaube todesmuthig schweben
Auf Adlerflügeln über Welt und Zeit;
Der Menschheit nur gebührt ein ewig Leben,
Der Menschheit nur gebührt die Seligkeit.

Feldmarschmässig.
Von Hans Hyan.
„Wenn das man gut geht, Kinder!" sagte der
lange Manthey, und kratzte sich den Kopf.
„Ach, was soll da gut oder schlecht gehen", meinte
Wander, ein Mechaniker seines Zeichens, „hier
heißt's seine Pflicht thuu und das Maul halten!"
„Und sich ruhig malträtiren lassen", ergänzte
giftig ein Dritter, von seinem Gewehr aufblickcnd,
mit dessen Reinigung er gerade beschäftigt war.
„Mir ist noch Keiner zu nahe getreten", er-
widerte ihm Wander, der eine geometrische Zeich-
nung entwarf.
„Na freilich, sie sehen sich eben ihre Leute an",
murrte der Vorige, ein sehr blasser Mensch mit
einem abstoßenden Gesicht. Habt ihr neulich gesehn,
wie der Siebert den Beutler unters Kinn ge-
stoßen hat, wegen nichts und wieder nichts?"
Manthey nickte.
„Ja, da war ich ja bei."
„Na, siehstc! Ne halbe Stunde hat er Blut
gespuckt, der arme Kerl, und der Lump, der
Siebert, hat sich halbtodt lachen wollen dadrüber,
so'n. . ."
„Pst! Sei vorsichtig!" warnte der Mechaniker.
„Den Deibel auch!" und „Verdammt noch
mal!" riefen die beiden Andern gleichzeitig,
„wollen doch mal sehen, wer uns hier das Maul
verbieten will!"
Aber dabei sahen sie sich doch scheu um in
der schon dunklen Kaserncnstube, die nur von
einer einzigen Gasflamme ihr spärliches, tiefe
Schatten werfendes Licht erhielt.
„Der Hauptmann sollt' es man blos wissen!"
grollte der lange Manthey.
„Unser Hauptmann? Na, der ist nu schon der
richtige! Das ist auch so'n Menschenschinder; wenn
der einen iu'u Kasten bringen kann, thut er's
nich mehr wie gerne."
Der Mechaniker blickte den Blassen scharf au.
Daun sagte er, das Skizzenbuch schließend, in
einer ruhigen, bestimmten Weise:
„Da thust Du dem Manne bitter Unrecht. Unser
Hauptmann ist ein Ehrenmann durch und durch!"
„Natürlich, die gut katzbuckeln und schmarotzen
können, die zieht er bei jeder Gelegenheit vor!"
lachte der Andre höhnisch.
Die stramme Gestalt des Mechanikers richtete
sich noch ein wenig höher und das aufsteigende
Blut färbte sein bräunliches Gesicht noch um einen
Schein dunkler, aber er bezwang sich und schwieg.
Wanders Verehrung für den Hauptmann lag
folgender Fall zu Grunde. In den letzten Tagen
des Manövers hatte Wander Gelegenheit, einer
Artillerie-Schießübung mit scharfer Munition bei-
zuwohnen. Die Batterie fuhr hinter einem Erd-
wall auf. Die Geschütze wurden gerichtet. Man
schoß mit Shrapnells. Da, während der Geschütz-
führer eben wieder den Zeitzünder an einem
Shrapnell einstellte, das ein Kanonier auf dem
Arme hielt, befiel diesen auf einmal ein furcht-

barer Müskelkrampf. Er biß die Zähne zusammen
und trotz des wüthenden Schmerzes hielt er den
Arm fest eingestcmmt. Aber in dem Augenblick,
als ihm der Unteroffizier das Geschoß abnahm, um
cs in den Lauf zu bringen, riß der Krampf den
Arm in die Höhe. Ein Rnck! Ein Schrcckensrnf aus
dem Munde des Geschützführers — das Shrapnell
lag mit dem brennenden Zünder auf der Erde.
Auch Wanders Hauptmann hielt hoch zu Roß
unweit der Batterie. Er sah das Geschoß fallen,
hörte den Schrei nnd sprengte heran. Noch im
Reiten sprang er vom Pferde. Und mit dem
Ruf „Rette sich, wer kann!" ergriff er die Bombe
und warf sie in weitem Bogen in den Graben
hinter dem Erdwall, wo sie unschädlich krepirte...
Und in das Hoch, das die Soldaten dem
tapferen Manne ausbrachten, hatte auch er, Wan-
der, der Sozialdemokrat, aus vollem Herzen ein-
gestimmt. Aber sollte er hier davon sprechen,
zu diesen beiden Menschen, von denen der eine
ein Trottel und der andere ein Gauner war?!
„Auch das ist eine Begleiterscheinung dieses
Militärsystems, daß es einen mit allem möglichen
Gesindel in einen Topf wirft," brummte Wander
leise in sich hinein und laut, zu seinen Gefährten
gewandt, fragte er:
„Hat einer von euch Beiden dem Unteroffizier
gesagt, ich sei Sozialdemokrat?"
Der lange Manthey war aufrichtig entrüstet.
Und auch der Blasse that, als sei er einer solchen
Angeberei ganz unfähig; dennoch schlug er vor
Wanders großem, eindringlichen Auge das seine
scheu zu Boden.
Gleich darauf kamen die übrigen Kameraden
aus der Jnstruktionsstundc, von welcher die drei
ersteren anderer dienstlicher Obliegenheiten wegen
für diesen Tag befreit waren.
Etwa eine Woche nach diesen: Gespräch erhielt
Wander aus der Heünath einen Brief. Seine
Braut schrieb ihn:. Die Kameraden fanden später
das Couvert, auf dessen Rückseite die Absenderin
in zierlich korrekter Schrift ihren Rainen ge-
schrieben. Was in den: Brief stand, hat Niemand
erfahren, denn das Bricfblatt selbst hatte Wander
wohl sogleich, nachdem er es gelesen, vernichtet.
An diesen: Tage kam Wander betrunken des
Nachmittags zum Dienst. Sein Hauptmann
wollte ihn: wohl und so wurde die Sache ver-
tuscht. Wander kau: mit einer Strafwache davon.
Aber der stramme, jugendliche Mensch war seit-
dem wie ausgemechselt. Er sprach nut Niemand,
schlich trübsinnig umher und schien, wie mit einem
Schlage sein sicheres, zweckbewußtes Auftreten
verloren zu haben.
An: übernächsten Tage erhielt Wander beim
Appell drei Tage Mittelarrest. An seinen Bein-
kleidern hatte das strenge Auge des Vorgesetzten
Schmutzspritzer wahrgenommen und an den:
Aerinel seines Waffenrockes fehlte ein Knopf.
„Na, Du dreckiger Sozialdemokrat, Du solltest
lieber Deine Uniform putzen, statt faule Schmöker

zu lesen." Mit diesen Worten begrüßte der eben
ins Zimmer tretende Unteroffizier Siebert seinen
Untergebenen, als dieser am Tage nach der Ver-
büßung seiner Arreststrafe — es war ein Sonn-
tag — bei einem seiner geliebten Bücher Erholung
und Vergessen suchte.
Wander klappte mit einem heimlichen Seufzer
das Buch zu und nahm seinen Waffenrock vor,
um abermals die längst spiegelblanken Knöpfe
daran zu putzen.
„Du bist ein Mistfink, mein Boy" — der
Unteroffizier war früher einmal Heizer auf einen:
transatlantischen Dampfer gewesen —, „aber wir
treiben Dir Deine Schmutzereien schon noch aus.
Goddam!"
Daß er an diesen: Sozialdemokraten, der
allerdings bisher ein musterhafter Soldat gewesen
war, sein Müthchen so lange nicht hatte kühlen
können, das wurmte dem Unteroffizier. Denn
Siebert gehörte zu denjenigen Menschen, die jeden
Untergebenen hassen, an dem sie ihre erbärmlichen
Herrcnrechte nicht geltend machen dürfen.
Er riß Wander die Uniform aus der Hand und
sah sie sorgfältig nach. Und da — war ein grau-
samer Zufall oder die Hand eines Nichtswürdigen
in: Spiele — der oberste Knopf an Wanders
Nock war blind und vollständig beschmiert.
„Du Schwein! Du Schweinigel! Was ist das
hier, Du ekelhafter Schmierfink? Du .. .!" Der
Unteroffizier goß seinen ganzen Vorrath an ge-
meinen Schimpfreden über Wander aus. „Aber
warte, ich will Dich lehren, den Sozialdemokraten
spielen, Du Dreckbengel! Putzen sollst Du, daß
Dir die Klauen bluten, oder das Donnerwetter
regiert Dich! In einer halben Stunde trittst Du
feldmarschmäßig bei mir an, in meiner Stube,
verstehst Du, Du Lump?"
Der Soldat stand wie aus Erz gegossen. Auch
nicht eine Wimper zuckte in seinen: braunen Ge-
sicht, nur die Augen traten ein wenig hervor und
wurden starr und glasig. Und die Stirnader
schwoll, als wolle sie zerplatzen.
Eine halbe Stunde später stand der Infanterist
Wander feldmarschmäßig adjustirt vor seinem
Unteroffizier. Dieser lag auf den: Bett und
rauchte eine Zigarre. In der Stube war es heiß
und dunstig und die Wintersonne sah blaß und
trübselig ins Fenster, das rothe Gesicht Sieberts
nut matten, zitternden Flecken betupfend.
Siebert schnauzte den strammstchenden Wander
an: „Wegtreten, Du Schwein!" Und als der
Soldat sich entfernte, rief er: „Halt! Kehrt
marsch!"
Der Soldat trat vor Sieberts Bett und der
Unteroffizier sagte in nachlässig schnarrendem
Ton: „Jetzt ziehst Du Dich aus bis aufs Hemde!
Und dann trittst Du in zehn Minuten wieder
feldmarschmäßig bei mir an! Haste verstanden,
Du altes Spanferkel?"
Der Soldat schwieg.
„Ob Du verstanden hast, Hallunke? Ich soll
dir wohl erst das Maul aufmachen?"

Dieser Nummer liegt eine Beilage „Nerurtßeilt" Lei.
 
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